Sonntag, 9. Januar 2011

Valparaiso: Das Hostel des Grauens



Vor zwei Tagen haben wir uns in Santiago vom oben zu sehenden Weihnachtsbaum - laut Reiseführer sind rund 70 Prozent der Chilenen katholisch - verabschiedet; sind zu einem der vielen Busbahnhöfe; haben mit dem Linienbus Santiago verlassen; und sind nach 140 Autobahn-Kilometern in Valparaiso angekommen. Schade, dass die Fahrt nach anderthalb Stunden vorbei war. Hätte ruhig länger dauern können. Busse in Chile sind nämlich toll. Wird sicherlich nochmal ein Thema für sich. Hier nur  soviel: in Chile legt man offenbar selbst die größten Entfernungen per Bus zurück, sogar die 4000 Kilometer von Nord nach Süd.  

Tja, also, ankommen in Valparaiso - ich schreib ab jetzt Valpo, ich vertipp mich nämlich ständig bei dem Namen - ist so eine Sache für sich. Du fährst nach Verlassen von Santiago durch wunderschönes Land; die ganze Zeit vorbei an sanft geschwungenen Hügeln von vielleicht 100 bis 300 Meter Höhe; erfreust dich an riesigen Buchstaben an manchen Hängen, die Hollywood-like das Vorhandensein eines kleinen Dorfes in der Nähe versprechen. Wir fahren durch kleine Täler; die Vegetation zunächst eher trocken und palmig; rund 30 Kilometer vor Valpo wechseln die Farben; erste Nadelwälder, mit Palmen mittendrin - skurriler Anblick. Und dann, kurz nachdem dich der Bezirk Valpo per Schild willkommen heißt, siehst du die ersten Hochhäuser und Siedlungen aus Holz und Wellblech. Nicht wirklich Vavelas bzw. Slums, aber doch irgendwie mit dem Aroma davon. Bisschen einschüchternd für verwöhnte Mitteleuropäer wie uns. Doreen nimmts locker. Sie will ja auch mal in so einer Behausung übernachten, erzählt sie mir später. Aber ich hoffe, dass der Bus bitte weiterfährt. 

Tut er auch. Aber wie alle großen Bahnhöfe dieser Welt, ist auch die zentrale Busanlaufstelle von Valpo nicht gerade in Grünwald gelegen. Sondern eher im Hasenbergl. Die Straßen und Häuser hier machen einen deutlich schäbigen Eindruck; und vom Pazifik - Valpo war mal der größte Magnet für Frachtschiffe in Südamerika - ist weit und breit nichts zu sehen. Trotzdem Glück im Unglück: eine wiederum sehr nette Chilenin- bis jetzt hatten wir NUR nette Kontakte - im Busterminal händigt  uns eine Karte aus, laut der das am Vorabend reservierte Hostel nur ein paar Gehminuten entfernt ist. Also, 12 Kilo auf dem Rücken geschultert, Daypack vor die Brust, und losmarschiert, schnurstracks die Av Independencia runter. Über bröselnde Gehsteige und vorbei an geschätzt 30 Autowerkstätten - Chile scheint eine sehr ausgeprägte Tuningkommune zu haben - nähern wir uns dem Ziel. Die Häuser werden ein bisschen schicker; es blättert nicht mehr ganz so viel Farbe ab; Hoffnung keimt, dass unser Hostel vielleicht doch ganz nett sein könnte. 

Als die Hausnummern an den Eingängen allerdings sehr stark der Nummer gleichen, die wir suchen, rückt ein völlig verkommenes Gebäude ins Bild: schwarz, kaputt, verödet. Av Independencia Hausummer 2231. Verdammt. Unser Hostel. Ich tippe den Klingeltaster an. Eine Frau brüllt irgendwas Spanisches in den Lautsprecher. Nach fünf Minuten fruchtlosen Dialogs - no habla espanol, habla inglese? -  surrt endlich der Türöffner. Die Dame ist nett, aber sie zeigt uns ein Bild des Verfalls: unser Zimmer. Klein, verkommen, fensterlos, nur eine Dachluke mit zerbrochenem Glas. Auf dem Bett: Sand, offenbar aus der Dachluke herabgefallen. Und kleine Würmer. Zum Glück ist Doreen in solchen Situationen entschlossener als ich. Sie will gehen, ein Internetcafe finden und dort eine andere Bleibe suchen. Ich zaudere, glaube nicht dass wir so kurzfristig was anderes kriegen. Aber wir gehen. Und ich sollte Doreen noch sehr dankbar sein dafür, dass sie mich im Hostel des Grauens zur Tür hinausgeschoben hat…

Längst mit Valpo versöhnt, 
Richard 



Hollywood á la Chile: viele Dörfer und andere vermeintliche Besuchenswürdigkeiten laden mit solchen Großbuchstaben den Vorbeireisenden zum Besuch ein. 

Meine Süße guckt skeptisch. Aber nicht weil Busfahren doof ist, das ist nämlich toll in Chile. Sondern weil sie es nicht mag, wenn ich die Kamera auf sie halte ;-)




3 Kommentare:

  1. ...hallo ihr beiden, nun beginnt wohl allmählich das wirkliche Abenteuer.
    ...mit vielen Höhen und Tiefen, doch so schnell lasst ihr euch bei Tiefen wohl nicht den Mut nehmen
    ...also dann mogelt euch durch die Dinge, die nicht so angenehm sind und habt doch Spass dabei

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  2. Doreen, es gibt überhaupt keinen Grund, warum Richy die Kamera nicht auf Dich halten dürfte! Du siehst toll aus :-)
    UND ich bin stolz auf Dich, dass Du Euch aus diesem Hostel des Grauens rausgeholt hast. Bei den Würmern wärs bei mir vorbei gewesen... Ahhhhh...
    DANKE, dass Ihr so fleißig mitm Schreiben und Photos einstellen seid! Ich genieße es total, ein wenig dabei sein zu können ;-)

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  3. Hallo Ihr Zwei!

    Danke für Euren netten Worte. Ein bisschen Motivation nach gestern ist super :o)

    Ja, Kurt, das Abenteuer beginnt, aber wir sind trotz des Schocks wieder im "Luxus" gelandet, wenn man das hier in Chile so nennen kann. Haben ein super nettes Hostel bzw. Bed & Breakfast gefunden mit sehr vielen Kunstwerken und netten Gastgebern. Guckt mal hier: http://www.hostalnomades.cl/Facilities.html

    Das Hostel des Grauens, Sabinchen, war echt der Hammer. Erst das Haus von außen und dann das Zimmer ohne Fenster, das meiner Meinung nach im letzten Jahr nicht einmal gereinigt wurde. Uaaaaah!

    Wir genießen es auch Euch teilhaben zu lassen. So erleben wir alles viel intensiver, weil wir uns so viel wie möglich für Euch merken möchten.

    Alles Liebe!
    Doreen

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