Freitag, 15. Juli 2011

Tokio und der Schweinkram



Szene aus Akihabara: Ein Typ fotografiert seine Freundin
im bevorzugten Look - knappes Röckchen, scheuer Blick.  
Wir verbringen nur fünf Tage in Tokio, aber in der kurzen Zeit kommen Doreen und ich ordentlich herum. Wir laufen viele Kilometer, und legen richtig Strecke auf dem Gleis zurück. Das meiste davon mit der Yamanote-Bahn: ein Schnellzug, der die inneren Stadtbezirke auf  ringförmig angelegten Gleisen erschließt. Komfortabel, schnell und preiswert. Wer die zentraleren Bereiche von Tokio mit all ihren Sehenswürdigkeiten erkunden mag, braucht nichts anderes. Per Yamanote-Bahn machen wir etliche Entdeckungen voller Identität und Charakter. Und stolpern häufig über Situationen und Momente, die einen nur Tokio erleben lässt. Dass die Stadt Fantasien erfüllt, ist kein Zufall. Tokio ist im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört worden. Vieles wurde wieder aufgebaut, vieles ist neu entstanden. Tradition und Popkultur gehen Hand in Hand. Was daraus entsteht, das wirkt auf mich so eigen, so anders, so faszinierend wie sonst wenig auf der Welt. 

Wer weiß, was Japaner an Pachinko-
Automaten fasziniert - bitte melden! 
Da gibt es zum Beispiel Spielhallen, wo dir die Ohren schmerzen, sobald sich die Tür öffnet. Im Inneren sitzen Menschen vor blinkenden, leuchtenden und klimpernden Automaten - so genannte Pachinko-Maschinen. Im Inneren purzeln Metallkugeln durch ein Spielraster aus Chromstäben nach unten, ganz einfach. Aber in den Spielhallen stehen Dutzende, Hunderte Pachinko-Automaten dicht an dicht, und werfen dir eine Wand aus Lärm entgegen, die im ersten Moment alle deine Sinne lähmt. Ich verstehe die Faszination von Pachinko genausowenig, wie die der einarmigen Banditen in Las Vegas. Aber die Pachinko-Hallen sind gut besucht. Und ich habe sowas bisher nur in Tokio gesehen. Genau wie die Lesehallen für Manga-Comics, wo etliche Erwachsene stundenweise eine Liege mieten und in fantasievolle Bilderwelten abtauchen. 

Ähnlich schräge Szenerien eröffnen sich Doreen und mir beim Bummel durch den Stadtteil "Electric City" Akihabara, mit seinen endlosen Reihen voller Shops für Geeks und Freaks, und seinen Straßen voll sexy Popkultur. Vor vielen Schaufenstern stehen als Schulmädchen, Mangagirl oder Videospielheldin verkleidete Frauen und wollen uns mit kurzem Rock und scheuem Blick Werbeblättchen andrehen. Kann mich zu keinem näheren Blick überwinden - käme mir dabei ein bisschen wie ein Kinderschänder vor, und Doreen wäre bei allzu genauem Hingucken vermutlich ebenfalls wenig begeistert. Deshalb bleiben meine Augen meistens auf die Auslagen der Händler gerichtet. Spannend genug, denn dort stapeln sich ohne Ende begehrenswerte Spielsachen für groß und klein, Mann und Frau. 20 Jahre alte Videospiel-Systeme, noch neu verpackt. Gleich daneben die neuesten Handys und Fernseher. Oder ein Laden für kunstvoll gestaltete Fingernägel und Wimpern und Handtäschchen und überhaupt unfassbar viel witziges Zeug zum aufrüschen. Putzige Haarklammern, kunterbunte Klamotten, lila Ladekabel für den ipod, sowas eben. Damit trauen sich hier erwachsene Frauen auf die Straße, und auch Männer. Einfach weil sie es mögen, und weil niemand schief guckt. Ich würde mir diese Offenheit für Deutschland wünschen. 

Eines von rund 20 Regalen
voller Manga-Comics, in einer
von etlichen Büchereien in
Akihabara.
Lust auf einen
Videobummel durch
einen Shop in Akihabara?
Klick für Video!
Noch so ein japanisches Ding, dass mir in Tokio an vielen Ecken auffällt: der ganze Bohai um Manga und Comics. Als Freund der japanischen Popkultur war mir bewusst, dass Comics in Japan einen viel größeren Stellenwert haben als bei uns in Europa - dass die Szene mehr als nur eine Nische besetzt. Aber dass sie das ganze Leben der Tokioter durch dringt? Dass jedes zweite Werbeplakat als Manga gezeichnet ist, sogar die Warnhinweise vor schließenden Türen in der Bahn?  Dass es riesige Bibliotheken gibt, voller Bücher für Fans der Bildersprache? Geh rein, sieh dich um, und du weißt - die Kreativität der Texter und Zeichner macht vor kaum einem Thema halt. Erotische Bilder sind eher die Regel als die Ausnahme. Dass Kinder zu den Regalen freien Zutritt haben, gibt mir als behütet aufgewachsenem Westeuropäer im ersten Moment etwas zu denken. Habe mich mit Doreen darüber unterhalten. Sie hat eine interessante Ansicht zu dem Thema: Sie findet die Vorliebe der männlichen Tokioter für gezeichnete nackte Frauen gut: "Besser als wenn sie sich echte Pornos angucken. Finde, das zeigt, dass die Männer Respekt vor Frauen haben". Schon möglich. Zumindest tun gezeichnete Bilder niemand weh. 

Der Ueno-Park:
kurzer Blick,
schnell mal Klick
Gute Ideen aus Akihabara, die
auch Doreen gefallen : Mini-Blumen-
sträuße für kleine Blumenvasen...
Die japanische Gesellschaft wird in den europäischen Medien oft als streng beschrieben. Regeln über alles, sozusagen. Mir kommt es vor, als würden die Regeln aber weniger vom Staat diktiert, als von den Leuten gemacht. So als wären sie über Generationen gewachsen; würden ständig aktualisiert und von den Menschen freiwillig befolgt. Weil jeder einsieht, dass Regeln zum harmonischen Zusammenleben notwendig sind. Zum Beispiel habe ich es in der Tokioter S-Bahn nie erlebt, dass jemand mit Telefonaten oder Musik aus den Kopfhörern die Herumstehenden belästigt. Sehe das als Zeichen von Achtung voreinander. Japanern wäre es unangenehm, wenn sie aus der Rolle fallen und "ihr Gesicht verlieren". Ich finde es außerdem vorbildlich, wie sehr sich die Menschen verantwortlich fühlen für das, was sie tun. Gäbe es bei mir daheim in München-Perlach ähnlich wenig Papierkörbe wie in Tokio, jede Wette, die Straßen würden binnen zwei Wochen ausschauen als wäre die Müllabfuhr auf Streik. Aber hier lässt niemand Trinkdosen oder Bananenschalen einfach auf den Boden fallen. Die Denkweise "irgend jemand räumt das schon weg, nach mir die Sintflut" scheint den Tokiotern völlig fremd zu sein. Nenn mich Spießer, meinetwegen. Aber ich mag es, wenn ich auf der Straße nicht zwischen Obstresten und Papiermüll balancieren muss. Für mich ist die Sauberkeit ein Grund mehr, weshalb Doreen und ich uns in Tokio vom ersten bis zum letzten Moment gut aufgehoben gefühlt haben. 

Der Tag vor unserer Abreise hält für Doreen und mich eine besondere Überraschung bereit. Wir steuern das Viertel Nishi-Nippori an, bleiben dabei etwas abseits der üblichen Touristenpfade. Hier möchte Doreen einen alten "Suwa-Schrein" besichtigen; eine kleine religiöse Shinto-Tempelanlage mitten in einem älteren Wohngebiet voller traditioneller Häuser. Viele davon aus Holz gebaut. Der Schrein ist nicht ganz leicht zu finden. Er setzt sich von der Umgebung kaum ab; besteht aus ein bisschen Freifläche, darauf ein kleiner Gebetstempel aus rot bemaltem Holz, daneben ein kleiner Brunnen. 
Durch einen etwa körperhohen Zaun und viele schattenspendende Laubbäume ist das alles so raffiniert von der Außenwelt abgeschirmt, dass du den Trubel der Großstadt in dem Moment vergisst, wo du durch das Zugangstor trittst. Doreen und ich, wir haben uns auf einen kleinen Fels gesetzt, die Anlage betrachtet, die wundervolle Ruhe mitten in Tokio genossen. Okay, das Zen haben wir nicht erreicht. Aber wir hatten so einen angenehmen Spaziergang und waren so nah dran an der Erfüllung, wie zwei Reisende aus Deutschland binnen fünf Tagen nur an sie herankommen können. Wir wollen es auf jeden Fall noch mal probieren. Japan, wir kommen wieder. Dann länger. 

Mein letztes Sushi in Tokio kommt erst noch,  
Richard 


4 Kommentare:

  1. Der Eindruck, die Japaner sähen keine echten Pornos, täuscht aber gewaltig ;-) Ich kenne kein Land, wo es so schräge Filme gibt. Und ihr hättet euch ruhig mal in ein Maid Café trauen können - da geht es zwar sehr seltsam zu, aber ohne Schweinkram. Im Prinzip ist es die japanische Version von Hooters - nur dass Japaner sich hier nicht von halbnackten Kellnerinnen bedienen lassen, sondern von kieksenden Frauen in Schulmädchenuniform. Tja, wer's mag. Zu essen gibts Kaffee + Kuchen.

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  2. Ich beneide Euch um das Sushi! Mmmmmhhhhhh...

    Gute Reise weiterhin!

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  3. @Matthias: Dann habe ich ja jetzt schonmal eine Anregung für meinen zweiten Besuch in Japan bzw. Tokio. Maid Café dann aber wohl besser ohne die Freundin. Begründung siehe Blog ;-)

    @SD: Das Sushi ist tatsächlich in Hong Kong besser und günstiger. Wir hauen uns hier damit fast jeden Tag damit die Bäuche voll...

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  4. Hallo Ihr beiden,

    ist mir ja ganz neu das du richard Sushi isst. Aber das muss jeder selber wissen. Ist halt Geschmackssache. ich für meinen Teil hab es zwei oder dreimal probiert und mir standen jedesmal die Haare zu Berge. Das ist nichts für mich.

    Liebe Grüße Jutta

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