Dienstag, 31. Mai 2011

Flug nach Seattle? Gestrichen!

Blick vom Hafen aus: die schönste Seite von Seattles Skyline...  

Space Needle. Das
Wahrzeichen von Seattle.
Kann eine Woche abwechslungsreicher sein als die, die gerade hinter uns liegt? Doreen und ich, wir haben vor acht Tagen die Westküste der USA erreicht. War ein holpriges Ankommen in Seattle, im Bundesstaat Washington. Eigentlich hätten wir am 20. Mai von Dallas aus hierher fliegen sollen; vom zentralen Süden der USA, hoch in den Nordwesten bis knapp vor die kanadische Grenze. Am Morgen des 20. Mai schien alles klar. Wir hatten am Vorabend online eingecheckt; die Fahrt vom Motel zum Flughafen lief problemlos; die Sonne lachte vom Himmel; am Flughafen hatte ich die Schlüssel für den Mietwagen abgegeben und war bereit zum einsteigen. Plötzlich kommt Doreen auf mich zu, mit einem interessanten Lächeln im Gesicht: "Unser Flug ist gestrichen". Ich: "Was?". Sie: "Wirklich". Das sind so die Momente, wo du im ersten Moment denkst, welch fiesen Scherz jemand mit dir treibt. Eine Verspätung, okay. Aber gleich der ganze Flug perdu? Nach einem Blick auf den Bildschirm mit der Liste der Abflüge ahnte ich, dass der Tag anders laufen würde als geplant. Hinter jedem dritten Flug konnte ich ein blinkendes "Canceled" lesen. Entsprechend lang die Menschenschlage vor dem Schalter der American Airlines, wo ein einsamer Mann und eine müde Frau sich der Nöte und Umbuchungen aller Passagiere annahmen. Ungefähr vier Stunden später war klar, dass ein Sturmtief irgendwo in Zentral-USA für die Flugausfälle verantwortlich war. Sodass Doreen und ich an diesem Tag keinen Flug mehr kriegen würden, sondern erst übermorgen.

Unser kleines "Cottage"
in Seattle. Wünschte,
wir hätten mehr Zeit
darin verbringen können.
Okay, dadurch konnten wir einen weiteren Abend in Dallas verbringen. Konnten ein zweites Mal BJs Restaurant & Brewhouse besuchen, das vielleicht beste Esslokal bisher in USA. Merken: wenn in Arlington, dann dort das selbstgebraute Weißbier kosten. Trotzdem schade um die zwei Tage. Vor allem, weil wir in Seattle nach den anstrengenden Reisen der letzten Wochen mal was anderes sehen; ein bisschen Alltag erleben; und dabei abschalten wollten. Doreen genauso wie ich. Deshalb hat sie über die Webseite www.homeaway.com für fünf Tage ein kleines "Cottage" reserviert: eine Art Ferienhäuschen, mitten in einer ganz normalen Nachbarschaft im südlichen Stadtteil Burien gelegen. Ich hätte die paar zusammen hängenden Tage an einem Ort dringend gebraucht. Hatte mich so sehr auf das banale Gefühl gefreut, endlich mal wieder meine Klamotten im Kleiderschrank unterbringen zu wollen. Endlich mal wieder mehr als nur das Zahnbürstel aus dem Rucksack kramen. Hatte mir ein kleines Zuhause in der Ferne gewünscht. Durch den Flugausfall blieben von fünf geplanten Tagen der Entspannung nur drei übrig. Von denen wiederum zwei für Stadtbesichtigungen eingeplant waren. 


Pike Place Market. Ein Markt voller
Überraschungen. Einem echt
riesigen Comic-Movie-Sammler-
Shop zum Beispiel. 
Seattle fasziniert mit seiner Mischung
aus alter und moderner Architektur. 
So  mussten wir eben nach drei Tagen schon wieder raus aus Seattle, waren "on the road again", wieder auf der Straße unterwegs. Das mag ein bisschen nach Trucker-Romantik klingen, nach Glück auf der Straße und so weiter. Aber in Wahrheit kosten so häufige Ortswechsel, wie Doreen und ich sie zurzeit erleben, viel Kraft. Warum? Weil jede Fahrt von A nach B mit viel Organisation verbunden ist: Zielfindung, Routenplanung, Unterbringung, Einkäufe? Wohin fahren? Auf welcher Route? Müssen wir Zwischenstopps machen? Wann kommen wir an, und kriegen wir dort was zu essen? Ich habe inzwischen gelernt: ich mag das Gefühl, beim Start einer Reise zu wissen, wohin sie mich bringt und wo ich dort übernachten werde. Bin offenbar kein lustiger Vagabund, der im Fall des Falles unter dem Sternenhimmel glücklich wird. Bei einer Pauschalreise - oder bei Weltreisenden mit viel Geld - kümmert sich das Reisebüro um die Organisation der alltäglichen "Nebensächlichkeiten". Doreen und ich, wir machen das alles selbst. Das fühlt sich an wie ein Job. Das kostet Zeit, und manchmal richtig Nerven. Dann zicken Doreen und ich uns auch schonmal an, weil jeder denkt, er trüge zu viel Last auf seinen Schultern. Zumindest geht mir das zurzeit manchmal so. Und ich glaube zu wissen, warum das so ist. Weil Doreen und ich momentan fast jeden Tag ein neues Ziel ansteuern. Mir ist das in letzter Zeit zu viel geworden. 

Überraschung: Seattle verfügt
über ein gutes Bahn- und Bus-System.
Plus eine witzige Einschienenbahn!
Die steilen Straßen im Zentrum
erinnern an San Francisco.
Trotz dem einen oder anderen Zoff hatten wir in Seattle eine schöne Zeit. Wir sind mit unserem Leihwagen gleich am ersten Abend durch die Stadt gecruist. Sind am nächsten Tag mit der Straßenbahn in die Stadt rein. Haben zu Fuß inmitten der Wolkenkratzer-Schluchten viel Schönes entdeckt. Den "Pike Place Market" zum Beispiel, einen buntgemischten Markt für allerlei Nebensächlichkeiten. Besonders faszinierend: ein unglaublicher Sammler-Shop voller Comics, Aufsteller und Merchandise, für Star-Wars-Spider-Man-Kino-Videospiel-Nerds das Paradies auf Erden. Außerdem punktet Seattle bei mir mit seiner entspannten Atmosphäre; dem sehenswerten Hafenblick; einem erlebenswerten Skulpturenpark; und seinen tollen Coffee-Shops, wo es richtig guten Cappuccino gibt. Schön an Seattle finde ich außerdem, dass sich die Stadt zu Fuß erkunden lässt. Anders als in den meisten Städten in den USA brauchst du nicht zwingend ein Auto, um so simple Dinge wie einen Besuch beim Postamt zu erledigen. Es ginge auch ohne. Oder mit dem Fahrrad. Fast wie daheim in München. 

Doreen macht sich´s in unserem kleinen Wohnzimmer
gemütlich. 
Ich und mein Versuch, den
Barbecue-Grill zu zähmen.
Letzten Endes habe ich viele schöne Seiten von Seattle aus Zeitmangel aber links liegen lassen. Macht nichts. Doreen und ich, wir haben uns entschlossen, dass wir statt Citykennenlerning lieber unser Häuschen genießen möchten. Ist ja sozusagen unsere erste gemeinsame Wohnung. Also haben wir einen Nachmittag lang auf der Couch gefaulenzt. Haben gekniffelt, gekuschelt, Musik gehört, Fernsehen geschaut, ein bisschen telefoniert. Ich durfte mein Schwesterherz in Deutschland anrufen und ihr zum Geburstag gratulieren. Hat dank Doreens praktischer International--Prepaid-Festnetz-Telefonkarte - von AT&T, gekauft bei Walmart -  unser Budget kaum belastet. Abends hat Doreen in der Küche eine leckere Avocado-Guacamole gemischt; ich hab mich am Barbecue-Grill um Gemüseerwärmung und Steakbrutzelei bemüht; danach sind wir im romantischen Schlafzimmer direkt unterm Dach friedlich eingeschlummert. Dass Doreen zwischendurch für eine Stunde spurlos verschwunden war, lässt sich leicht erklären: Das Highlight des Cottage ist nämlich das große Badezimmer "mit seinen warmen Farben und den verspielten Vintage-Armaturen" (Zitat Doreen). 


Wenn ich schonmal in Seattle bin,
muss ein kurzer Besuch im "Campus",
der Microsoft-Zentrale, drin sein. Immerhin
verdanke ich es auch der Xbox,
dass ich diese Weltreise machen kann!

Während ich so vor mich hin tippe, liegt Seattle einige Tage hinter uns. Wir haben unseren silbernen Kia Rio mittlerweile nach Süden gescheucht, Richtung Kalifornien; haben unterwegs erneut etliche Ortswechsel hinter uns gebracht; sind in den Bergen der Cascades auf eine urbayrische Stadt gestoßen; wurden kurz darauf von einem Schneesturm überrascht; haben gefährliche Straßen umkurvt und sind an Küsten gelandet, deren Anblick uns den Atem geraubt hat. Alles binnen einer Woche. Vielleicht mehr darüber im nächsten Blog. Inzwischen sind wir einem kleinen Fischerort in Oregon ins Netz gegangen: Bandon hat uns mit seinem Charme geködert. Es gibt fast nichts anzuschauen, nur Ruhe zu genießen. Hier bleiben wir für drei Tage. Herrlich. 

Freue mich auf´s Nichtstun, 
Richard 


Freitag, 20. Mai 2011

Texas, vom Schwimmreifen aus betrachtet



We explored the smaller 
roads of Texas. And were
 rewarded with 
unforgettable impressions. 
Teurer Sprit hin, Umweltschutz her: Die USA werden von Benzin angetrieben. Nur mit vier Rädern (oder einer Harley) kannst du hier ernsthaft überleben. Sogar zum "Supermarkt ums Eck" sind´s hier meistens drei bis zehn Meilen. In München bewältige ich ja fast alle Wege mit dem Fahrrad, da hab ich mich in den letzten Wochen also ganz schön umstellen müssen. Aber die Fahrerei lohnt sich. Von Austin aus haben wir die letzten Tage unseren kleinen Ford-Focus-Leihwagen einige Male durch die texanische Prärie getrieben, die Landschaft erkundet. Oft hatten wir nur ein vage definiertes Ziel. Der Weg ist das… und so weiter. Auf diese Weise haben wir viele unvergessliche Eindrücke sammeln können. Einsame Landstraßen, die sich stundenlang über sanft geschwungene Hügel winden. Zehn Meilen lang nur Büsche, dann vielleicht mal die Einfahrt zu einer Ranch. Eine Tierleiche am Straßenrand, die von Geiern gefleddert werden. Eine einsame Tankstelle. Hier und da mal eine Kleinstadt.

Beautiful Fredericksburg. Lots of indications
 that this village was founded by Germans. But 
what the signpost means with the term 
"German cuisine"? No idea. 
Eine davon zwingt uns zum halten: Fredericksburg wirkt einfach zu einladend. Die Stadt hat sich viel Charme aus der Gründerzeit bewahrt. Fredericksburg wurde um 1860 herum von deutschen Aussiedlern aus dem Sand gestampft, erzählt einer der hiesigen. Das zeigt sich noch heute an allen Ecken und Enden. Die Weingüter drumherum tragen die Namen "Becker" oder "Jenschke"; in der wundervollen Mainstreet finden sich viele kleine Lokale, die "german Food" und "original Deutschbier"  anpreisen. Das schöne an Fredericksburg ist, dass das alles unaufdringlich und untouristisch, sondern eher selbstverständlich und wie von Herzen rüber kommt. Als ich mich mit einen Immbolienmakler namens Eric über die Preise der Häuser hier in der Gegend unterhalte, erzählt er, dass viele Menschen hier immer noch viele deutsche Sprachfetzen unter ihren texanischen Slang mischen.

Eric erzählt aber auch, dass viele hier immer noch sehr unter der letzten Finanzkrise leiden. Etliche Familien müssen ihre Häuser verkaufen, weil sie die Raten nicht stemmen können. Das erklärt die teils verblüffend niedrigen Hauspreise; die häufigen "Zu Verkaufen"-Schilder an Grundstücken; und einige andere Szenen, die Doreen und ich erleben. 

Now you know why this guy is 
calling himself Art… or maybe not. 
Während wir in Austin an einer roten Ampel warten, bemerke ich am Straßenrand eine Frau mit einem Pappschild und dem Aufschrieb, dass sie dankbar wäre für etwas Essen. Ein paar Kreuzungen weiter bittet ein anderer Mann per Pappschild ernsthaft um Geld für die Beerdigung seiner Mutter. Am Nachmittag sitzen wir in einem Denny´s-Restaurant bei einer Portion Fritten und plaudern mit einem Typen namens Art. Er erzählt, dass er sich seit zehn Jahren in Austin als Straßenkünstler durchschlägt. Während wir plaudern, portraitiert er uns, schenkt uns die Kohlezeichnung und lässt den Nebensatz fallen, dass er sich über eine kleine Spende freuen würde. All das sind deutliche Anzeichen dafür, dass vieles von dem stimmt, was uns ein sozial engagiertes Pärchen vor gut zwei Wochen bei einem Frühstück in Florida erzählt hat. Nämlich, dass die USA ein gesellschaftliches Problem haben. Weil sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. Weil die finanziell gesunde Mittelschicht immer weiter schrumpft. Weil in den USA, und so wie ich das sehe ganz besonders in Texas, offenbar nur anerkannt wird, wer das schönere Haus und das größere Auto hat. 

You drive through nowhere, and suddenly 
find things like this: a farm full of strange art.
Viele Menschen in den USA werden offenbar vom sozialen Druck zum Geldausgeben motiviert, und überschätzen dabei ihre Reserven. Es gibt in München-Trudering einen Dealer für US-Luxusschlitten: "Geiger Cars". Selbst bei dem habe ich noch keine derart fette Ballung mächtiger Pickups und Jeeps gesehen, wie hier in Texas auf jedem beliebigen Supermarkt-Parkplatz. Dennoch verfeuern sie hier gnadenlos den Sprit, in Zeiten, wo sich in den USA der Preis für eine Gallone "Regular" binnen einen Jahres um 30 Prozent verteuert hat. Außerdem sehe ich alle paar Meilen Plakate mit Werbesprüchen nach dem Motto: "Schulden? Arbeitslos? Egal, wir finanzieren ihnen trotzdem den neuen Truck Sowieso Modell 2011 mit 345 Horsepower." Die nächste globable Finanzkrise ist nur ein Frage der Zeit, da halte ich jede Wette. 

I just like this picture. Serves
no purpose whatsoever.
Solche Erfahrungen und Eindrücke gehören während einer Weltreise dazu, überhaupt keine Frage. Aber dank Auto können Doreen und ich flüchten. Raus aus der Großstadt, für einige Tage Station machen im beschaulichen "New Braunfels" rund 30 Meilen nördlich von San Antonio. Der Trip ist ein bisschen mit der Hoffnung verknüpft, dass das Städtchen mein wieder mal aufkeimendes Heimweh lindert. Vor gut 150 Jahren von deutschen Siedlern gegründet, lebt New Braunfels heute von einem Mix aus Partyfeeling und Alte-Welt-Romantik. Keine Ahnung, was das "Wurstfest" kann, das findet nämlich erst im Herbst statt. Aber das Restaurant "Friesenhaus" empfängt uns mit dem Charme billig zusammen gestellter Ikea-Möbel, und das "Edelweiss Inn" mit dem Currymief des pakistanischen Geschäftsführers. Außerdem kommen wir blöderweise genau zur Saison-Eröffnung der hiesigen "Schlitterbahn" an. Größter Wasserrutschen-Park der USA, muss ich mehr sagen? Der Trubel hat astronomische Motelpreise zur Folge, die mir Tränen in die Augen treiben. 

Gruene: nice historic little 
village close to New Braunsfeld. 
Visit if you ever come to Texas!
Dafür macht sich New Braunfels prima als Basis für ein paar Tagesausflüge. Beispielsweise an den idyllischen Canyonlake, und in ein Nachbardorf namens "Gruene". Hier vereinigen sich der historische Ortskern und ein paar Neubauten in Holz- und Fachwerk-Bauweise zu einem sehr besuchenswerten Ziel. Doreen stößt in den Shops auf richtig hübschen Schmuck und einfallsreichen Hausdekor. Ich wiederum mag die Motorradbar voller Harley-Rocker und dem Barmann, der uns "Willkommen" heißen kann, weil seine Eltern aus Deutschland eingewandert sind. In Gruene finden wir außerdem die "Gristmill", einen Biergarten, schöner als fast alles, was ich aus München kenne. Und wir entdecken eine attraktiv angelegte Ferienhütten-Siedlung aus Holz, die sich direkt an das Ufer des kleinen "River Guadelupe" schmiegt. Die Hütten sind uns zwar momentan etwas zu teuer. Aber sollte Doreen irgendwann mal zwei romantische Wochen mit mir verbringen wollen, dann lade ich sie hierher ein. 

Toobin in the Guadelupe River.
Popular pastime in Central Texas.
Dann werden wir sicher wieder die paar Schritte runter ins Tal wandern, runter zum River Guadelupe. Da wo sich Menschen in mächtige Aufblasreifen setzen und sanft den Fluß hinunter treiben. "Toobin" eben, siehe letzter Blogeintrag. Natürlich hat meine Neugier gesiegt, und ich habe Doreen zum ausprobieren überredet. Ist eine interessante Erfahrung. Toobin ist Entspannung pur. Bäume und Häuser ziehen in geringstmöglichem Tempo an dir vorüber. Du entwickelst genug Muße, um die im Wasser liegenden Schildkröten beim Luftholen zu beobachten. Wirkt unfassbar entschleunigend. Drei Stunden haben Doreen und ich auf diese Weise die Natur und einander genossen. Und begriffen, dass es in Texas viel mehr zu entdecken gibt als Cowboys und Country-Romantik. 

Take it easy, 
Richard 

Mittwoch, 18. Mai 2011

Besuch beim Walker Texas Ranger


Shot from the Atari-Videogame 
"Toobin". They really do this in  
Texas. See next blog for
pictures! 
Cowboys and Longhorn cattle 
in the centre of the Fort Worth Stockyards. 
Vor einer einer Woche sind Doreen und ich in Dallas angekommen. Cowboys und Rinder habe ich hier in Texas erwartet. Aber nicht, dass es "Toobin" wirklich gibt. Diesen merkwürdigen Zeitvertreib habe ich bisher immer nur mit einem abgedrehten Atari-Videospiel aus den 80er-Jahren verbunden. Das Game macht einen drahtigen Kerl in Badehosen zum Helden einer munteren Geschicklichkeitsprüfung. Der Kerl liegt in einem XXL-Schwimmreifen, und der Spieler soll ihn durch Stromschnellen lotsen, vorbei an Krokodilen und Felsspalten. Ganz klar eine Idee, auf die können nur zugekokste Gamedesigner kommen. Dachte ich damals. Von wegen. Sowas machen Texaner wirklich, wenn sie sich entspannen wollen. Sie schlüpfen in Bikini oder Badehose. Lassen sich in den ausgedienten Schlauch eines LKW-Reifens sinken; setzen sich damit in einen Fluss; und lassen sich von der Strömung mitnehmen. Ab und zu wird mit rudernden Händen der Kurs korrigiert, vor allem wenn Stromschnellen den Schlauch in die Felsen und den Puls in die Höhe treiben. Hier in Hill County zwischen Austin und San Antonio machen sie das seit Jahrzehnten. Willkommen in Texas.

Hier  scheinen mir die Menschen stolz auf ihre Heimat zu sein, noch mehr als sonst überall in den USA. Das hier ist der "Lone Star State". Hier sehe ich öfter den einen Stern der texanischen Flagge von den Fahnenmasten baumeln, als die 50 Sterne des US-Star-Spangled-Banner. Warum das so ist? Vielleicht, weil Texas für ein paar Jahre eine eigenständige Republik war, was die anderen Bundesstaaten der USA nicht von sich behaupten können. Vom Charakter her scheinen mir Texaner und Bayern übrigens sehr verwandt. Texaner haben ihren eigenen Kopf. Sie möchten sich von den "Großkopferten" nicht alles diktieren lassen, wollen das ausleben, wonach ihnen ist:  24 Stunden am Tag einkaufen. Das Bier zum Auto tragen, ohne es in einer Papptüte zu verstecken. Die Dame in der Touristeninfo erzählt, dass viele Texaner wieder Colts sichtbar am Körper tragen möchten. Momentan ist das verboten, aber die Waffenlobby arbeitet an der Gegen-Kampagne. 

Nach Alaska gilt Texas als größter der insgesamt 50 Bundesstaaten in den USA. Ist also von der Fläche her größer als Deutschland. In Texas drängen sich mehrere Millionen-Metropolen zum Besuch auf. Dallas zum Beispiel, San Antonio oder die Hauptstadt Austin. Aber Doreen und ich beschließen, dass wir uns auf kleinere Städte beschränken. Wir wollen nach den vielen überwältigenden Eindrücken in Florida diesmal eher Landschaft und Ruhe genießen. Um es vorwegzunehmen: Auf diese Weise lernen wir die USA ganz anders kennen als in Florida. Nicht so spektakulär und übertrieben, dafür bodenständig und erdig.

Doreens first drive in the USA. 
She handles the car
 like a dream. Just great!
The Stockyards historic museum 
shows some interesting stuff. 
Zoom onto the Dead-or-Alive-Reward. 
Wir haben uns für den ersten Abend in einem schäbigen Motel in Fort Worth eingemietet. Eine der vielen Spar-Unterkünfte, die es überall in den USA gibt. Wo dich die Lobby mit dem Curryaroma der indischen oder pakistanischen Betreiber empfängt; wo Sauberkeit Ansichtssache ist; und das Frühstück sich auf lauwarmen Kaffee und überzuckerte Muffins reduziert. Aber was soll´s, die Bude ist die einzig bezahlbare in den zentral gelegenen "Stockyards". So nennt sich der historische Teil von Fort Worth. Hier sind Häuser aus ehrlichem Holz gebaut, statt aus Spannplatte plus Kunststoff-Fassade mit Maserung, wie sonst überall. Hier begrüßen dich die Menschen mit "How´s it goin", und die Cowboys rufen "Yeeehar!" . Doch, das tun sie wirklich. Jeden Tag um 11:30 Uhr gibt´s einen kleinen Viehtrieb mitten durch die Mainstreet. Freitags und Samstags außerdem Rodeo. 

Classic texan impression.
Just some landscape. Like it
or ignore it. 
Die Lage unseres Motels ist jeden Dollar wert. Wir können zur Abwechslung mal das Auto stehen lassen, zu Fuß die Umgebung erkunden, eines der vielen Lokale aufsuchen, und zusammen nicht nur was essen, sondern auch was trinken. Für 20 Dollar zwei Steaks mit lecker Spinat und Kartoffeln und Pommes und noch vielen weiteren Beilagen: Ja, das Essengehen in den USA macht uns ein weiteres Mal Spaß und ist gar nicht teuer. Dass uns beim Verlassen des Lokals ein Regenschauer unter das Vordach eines benachbarten Etablissements namens "White Elephant Saloon" treibt, kommt Doreen und mir nur auf den ersten Augenblick wie Pech vor. Denn es gibt Interessantes zu lesen. Eine Wandtafel beschreibt eine Schießerei, die hier am 8. Februar 1887 stattgefunden hat. Die Streithähne: Longhair Jim und Luke Short, ein Kumpel von Wyatt Earp und Doc Holliday - Namen wie aus einem Western-Bilderbuch! Außerdem war Chuck Norris oft hier zu Gast, zwecks Dreh für die TV-Serie "Walker Texas Ranger". Wir beschließen, den Schauer bei einem Absacker im Saloon ab zu warten. Und erleben einen wundervollen Abend voller Bilderbuch-Folklore. 

The White Elephant Saloon:  
Great music, people, Whisky-Coke. 
Hinter uns fällt die schwere Tür in den Rahmen, vor uns eröffnet sich ein Blick zurück in die Zeit. Mei, ist das urig hier. Ein großer Raum, gewachstesHolz, das schwache Dämmerlicht bringt die grelle Neon-Lichtreklame für "Busch Beer" und anderes texanisches Braugut wirkungsvoll zur Geltung. An den Decken wecken Dutzende Cowboyhütte die Neugier, vor allem daran angebrachte Messingtafeln mit eingravierten Namen. Hinterlassenschaften ehemaliger Saloon-Besucher?


Betty Boop ist still big in the USA. 
Doreen´s a big fan of her hairdo.
An der langen Bar und an schweren Tischen machen es sich die Gäste des heutigen Abends gemütlich. Ein paar Touristen sind darunter, aber die meisten scheinen aus der Gegend zu sein. Sie plaudern, trinken Bier, nuckeln an Jack-Daniels mit Cola, und jubeln der Livemusik zu. Mehrere Bands wechseln sich im Lauf des Abends ab, und was für eine buntgemischte Musik-Mischung dürfen Doreen und ich erleben. Graumelierte Männer in Jeans, Lederweste und Cowboyhut fiedeln Honkytonk-Musik; eine 14-jährige traut sich mit ihrer Country-Gitarre vor das Volk und erntet tosenden Applaus - offenbar schleicht sich ihr Gesang über das texanische Landleben nicht nur mir bei mir ins Herz. Ein paar Tage später sollten Doreen und ich eine 16-jährige in einem anderen Saloon erleben, die ebenfalls von Ort zu Ort tingelt, die Zuhörer begeistert und so Stück für Stück an ihrer Karriere arbeitet. Haben wir die Geburt zweier neuer Countrystars erlebt? Vor ein paar Wochen wäre mir die Fiedelei noch herzlich egal gewesen. Aber neuerdings stellen Doreen und ich tatsächlich den Countrysender ein, wenn wir im Leihwagen durch die Prärie schaukeln. Hoffentlich legt sich das bald wieder. Sonst werde ich wohl doch noch einen Cowboyhut aufsetzen und den größten Teil der Musik auf meinem ipod in die Tonne treten müssen.

See y´all, 
Richard 

Montag, 9. Mai 2011

Universal Gardens Space Center



Manfred, Jessi und Doreen
erkunden die Universal Studios.
Stell dir vor du fährst durch Florida und triffst ausgerechnet hier einen alten Bekannten, den du Jahre nicht mehr gesehen hast. So ging´s mir. Manfred ist ein alter Kollege aus längst vergangenen Zeiten bei den Computerspiel-Zeitschriften Amiga und PC Joker. Er ging nach ein paar gemeinsamen Jahren zurück nach Wien, ich bin in München geblieben. Via Email haben wir Kontakt gehalten. Ich weiß schon gar nicht mehr, seit wie vielen Jahren ich mir vornehme, dass ich mich ins Auto setze, und ihn und seine Freundin Jessi in Wien besuche. Hat nie geklappt. Erst jetzt. Manfred ist gemeinsam mit Jessi nach Florida gereist, um den letzten Start des Space Shuttle Endevaour live mit zu erleben. Genau zu der Zeit, wo Doreen und ich uns in derselben Ecke rumtreiben. Dass der eine vom Vorhaben des anderen erfahren hat, ist Facebook zu verdanken. Diese ganze Social-Networking-Kram ist also doch für mehr gut als nur Zeittotschlag, Selbstdarstellung und Stillung von Kontaktsucht. 

Zum Mond werde ich wohl nicht
mehr fliegen in meinem Leben,
hab jetzt aber immerhin eine
Mondrakete betatscht.
Kennedy Space Center,
Blick auf das Space Shuttle.
Über Facebook und eine Handvoll SMS haben wir uns in Orlando zusammen gefunden. Orlando bzw. die nähere Umgebung bildet das Zentrum von Florida. Sowohl was die Lage betrifft, als auch die Ballung von Vergnügungs-Möglichkeiten. Ich kenne keinen Ort in den USA oder auf der Welt, wo sich so viele Ablenkungen für GROSS und klein auf so engem Raum konzentrieren. Um die Ecke liegt zum Beispiel das Kennedy Space Center, wo das Space Shuttle am 29. April eigentlich hätte starten sollen. Habe mich mit einem Besuch im Visitor Complex über die Verschiebung auf Irgendwann hinweg getröstet. Hab das Shuttle immerhin auf der Startrampe warten gesehen; im Imax-Kino einen 3D-Flug durch Bilder des Weltraumteleskop Hubble bestaunt; und überhaupt eine gute Zeit gehabt. Genau für sowas ist Orlando wie gemacht. 

Wenn du abends auf dem Highway oder auf dem Interstate durch die Region fährst, siehst du meilenweit Neonreklamen für Motels, Restaurants, Shops, Malls, Wasserparks, Achterbahnen. Allein der Disney-Konzern hat mit Disney World, Epcot Center, diversen Resorts und Co. mehr Sachen am laufen, als mir Finger von meinen Händen schlenkern. Bin mit Doreen einen Abend lang durch "Disney Downtown" spaziert. Eine grelle Flaniermeile voller Shops und Bars und Galerien und Kinozentren und Spielhallen. Mir ist das alles ja fast zu viel. Zu viele Leute, zu viel Glitzer, Glamour und Geld-aus-der-Tasche-zieh. Aber Doreen ist glücklich, allein weil sie im gewaltigsten Disney-Store der Welt über eine Stunde lang die wundervollsten Kauf-Versuchungen bestaunen, anfassen und an sich drücken konnte. Zugegeben, die 30 Zentimeter große Retro-Micky-Plüschmaus im schwarzweißen Stricklook, die hätte ich auch gerne adoptiert. Leider ist für sowas kein Platz in unserem Gepäckrucksack. Einer der Flüche einer Weltreise.

Universal Studios: eine
der Wasserbahnen von außen...
... und hier von innen ;-)
Ein typischer Tag in der Gegend
rund um Orlando.  
Aber ich komme vom Thema ab. Manfred, Jessi, Doreen und ich, wir hatten uns also auf einen gemeinsamen Abend verabredet. Nach Burger, Pommes und Coke war es beschlossene Sache: Wir würden am nächsten Tag einen der vielen Freizeitparks aufsuchen. Und zwar "Universal Studios". Warum? Tipp von Manfred. Gute und viele Fahrgeschäfte, darum. Nun kenne ich ja etliche Freizeitparks in Europa, insofern haut mich nichts so schnell um. Aber die "Universal Studios", zumindest der neuere Bereich namens "Islands of Adventure", ist schon sehr groß und attraktiv. Vor allem der Themenbereich zu den Harry-Potter-Filmen, der haut mich echt um. Wenn du im Hogsmeade-Dorf zwischen all den windschiefen Häusern stehst und auf die mächtigen Türme der Hogwarts-Schule blickst, dann flösst das Ehrfurcht ein. Und den Menschen möchte ich sehen, der sich beim Ritt namens "Harry Potter Forbidden Journey" in die Menschenschlange stellt; im Inneren der Hogwarts-Schule dem Start entgegen fiebert; und beim Blick auf die Wandgestaltung keine großen Augen macht. Allein für die Detailarbeit an den animierten Gemälden gehört den Machern ein Orden umgehängt. Ganz großartig. Apropos groß: riesiges Dankeschön an Jessi dafür, dass sie die Beschleunigungsorgie in der "Hulk"-Achterbahn so freudestrahlend überstanden hat. An Manfred, dass er aus der "Mummy" mit so glücklichen Augen ausgestiegen ist. Und an Doreen, dass sie sich gemeinsam mit mir in die echt geil gemachte 3D-Video-Achterbahn "Spider-Man" rein getraut hat. Wir hatten einen tollen Tag! 

Doch, in den Universal
Studios haben sie
tatsächlich Hogwarts
nachgebaut.
Ich wünschte, mir wären nur die schönen Momente im Gedächtnis geblieben von unserem Besuch bei Universal. Aber ich kann nunmal nicht aus meiner Haut, ich bin eben gelernter Kaufmann. Daher schätze ich es, wenn ich für mein Geld Leistung erhalte. Und ich hasse es, wenn mir jemand das Gefühl gibt, dass er mehr auf mein Geld aus ist als auf meine Zufriedenheit. Bei den Universal Studios habe ich von Anfang an das Gefühl gehabt, dass wir hier abgerippt werden. Schon an der Kasse. 120 US-Dollar Eintritt wollte die Dame von mir, das sind umgerechnet 80 Euro - mehr als das Doppelte von dem, was europäische Parks vergleichbarer Größe nehmen. Schwamm drüber, wenn ich danach dann den Geldbeutel wegstecken und sorglos durch den Park schlendern kann. Dann wünsch ich mir aber mehr als für drei Dollar fuffzig ein lauwarmes Kaffeegebräu aus dem Pappbecher. Ich will in der Warteschlange vor den Attraktionen nicht auch noch Leute vorlassen müssen, die sich für 40 extra Dollar einen dieser unsäglichen Damit-darf-ich-mich-offiziell-vordrängeln-Pässe gekauft haben. Vor allem will ich am Zugang zu den Fahrattraktionen nicht nochmal zahlen müssen. 
Und auch den Hogwarts-
Express gibt´s wirklich. 

Aber genau das muss ich in den "Universal Studios", weil ich nämlich einen Rucksack dabei habe mit Sonnencreme, Trinkwasser, Sonnenbrille und Platz für Doreens Pullover. Wer sowas bei sich hat, kriegt es am Zugang zu jedem halbwegs rasanten Fahrgeschäft mit einem charmant lächelnden Türsteher zu tun. Er nötigt dich zur Abgabe des Tragegeräts in den Schließfächern. Jedes Fahrgeschäft hat einen eigenen Raum dafür. Gebühr für´s einschließen: drei US-Dollar für eine Stunde, mehr für länger. Dazu kommt eine sagenhaft idiotische Organisation. Ein zentrales Computerterminal regelt die Schließmechanismen aller Schließfächer. Dort musst du hin, um die Tür zum Fach erst zu sperren, und sie nach der Fahrt wieder zu entsperren. Natürlich stauen sich also die Leute, vor allem wenn jemand kein passendes Geld bei sich trägt, oder die Nummer seines Schließfachs vergessen hat. Nun hatten wir "very low season" - wenig los, auf bayrisch g´sagt. Würde sagen, da gehen im Schnitt pro Abgabe und Abholung einer Tasche zehn Minuten drauf. Ich überschlag das mal eben: Drei Dollar plus zehn Minuten vergeudete Zeit pro Fahrattraktion, mal zehn Fahrattraktionen, das ergibt 30 Dollar und anderthalb Stunden Frust. Viel zuviel für ein Etablissement, dass mich meine Alltags-Sorgen vergessen machen soll. Auf Wiedersehen, Universal Studios? Eher nicht. 

Busch Gardens: im Vogelgehege geht
Doreen auf Tuchfühlung mit
skurrilem Federvieh. 
Und nochmal Tuchfühlung,
diesmal mit dem
Happy Hippo. 
Wie es besser, fairer, schneller und einfacher geht, das haben Doreen und ich drei Tage später erleben dürfen. Zwischenzeitlich haben wir uns von Manfred und Jessi verabschiedet, und unseren Ford Focus ein paar Meilen weiter westlich gelenkt: nach Tampa, am Golf von Mexiko. Einer der Touristenmagnete hier, vom Strand abgesehen, hört auf den Namen "Busch Gardens". Oberflächlich betrachtet ein Freizeitpark vergleichbar denen in Orlando. Symphatisch finde ich "Busch Gardens", weil der Park so einen ausgeprägten Charakter hat. Er ist ganz anders als alles andere, was ich bisher in USA und Europa besucht habe. Eine Mischung aus Tierpark Hellabrunn und Europapark sozusagen; dabei nicht ganz so laut und hightech und aufdringlich wie die Universal Studios. Die Achterbahnen zum Beispiel stehen ein bisschen nackt da auf ihren Stahlstelzen, sind selten mal in Kostüme aus Fels oder Holz "eingekleidet". Aber es gibt richtig große und krasse Ritte. Und wie meinte noch Doreen: "Die Laufwege zwischen den Fahrattraktionen sind echt raffiniert angelegt". Stimmt. Links und rechts und einfach überall laden Freiflächen und Gehege zum Kennenlernen verschiedenster Tiergattungen ein. Da kannst was über Alligatoren lernen, oder einen jungen Babygeparden beim herumtollen beobachten. Da verfliegen die Stunden, selbst für einen Menschen wie mich, der bei der Begegnung mit Tieren eher Flucht- als Wohlgefühle entwickelt. 

Busch Gardens, der Park für
Verliebte: zwei Elefanten beim
Schmusen. 
Für uns hat die Mischung einfach gut funktioniert. Doreen hat sich gefreut wie ein kleines Kind, als sie im Vogelgehege (mit anfassen!) ihren ersten Kakadu gesehen hat, und als sie im Safarigelände Giraffen und Zebras beim Grasen entdecken konnte. Bei mir haben sich auch ein paar "tierische" Momente ins Gedächtnis eingebrannt. Zum Beispiel der im  wunderschön aufgebauten Aquarium, als ein Nilpferd direkt an Doreen vorbeigeschwommen ist. Meine Liebste und dieses Riesentier, nur getrennt durch eine handbreit dicke Panzerglasscheibe - das ist wirklich eine Situation, wo du da stehst und mit weit aufgesperrten Augen die Wunder der Natur bestaunst. Dieser Moment hat mich vielleicht sogar mehr begeistert als die Fahrten mit den etlichen kleinen und großen Achterbahnen, die sie hier in "Busch Gardens" haben. Ist einfach hübsch hier. Und auch bezahlbar. Hier will mich niemand zur Benutzung von Schließfächern zwingen; sie sind vielmehr ein kostenloser Service, den ich in Anspruch nehmen kann und nicht muss. Und wenn ich den Park an einem Tag nicht schaffe, kann ich das Eintrittsticket am nächsten Tag für einen zweiten Zutritt benutzen. Klasse. Und ein schöner Abschluss für unseren Cruise durch Florida. Am 10. Mai startet unser Flieger nach Dallas. Die gängige Grußformel in Texas, die hat uns ein netter Amerikaner beim Plausch in den Busch Gardens beigebracht: 

How y´all doin?
Richard 




Die Innenstadt von Tampa.
Nett zum durchfahren, aber
viel los ist nicht. 


Ybor City, ein recht hübscher
Stadtteil von Tampa. Schön zum
Spazierengehen!
Palm Beach, neulich an der Ampel...
Wo auf Heimweh auf Einkaufs-
lust trifft: gesehen nahe Palm Beach...
Busch Gardens: drei schräge Vögel.
Und Känguruhs haben sie dort auch. 
Schnappschuss von einer
Fahrt über´s Land, zwischen Tampa und
Miami... 


Dienstag, 3. Mai 2011

Mutprobe in Daytona (mit Video!)





Die Haupttribüne von Daytona, vom Infield aus betrachtet. 



Ich lege wirklich keinen allzu großen Wert auf Geburtstage. Zumindest nicht auf meinen eigenen. Aber eines muss ich dem Wiegenfest zusprechen: ich krieg manchmal was geschenkt, was ich mir selbst vermutlich nie gönnen würde. Irgendwann in den vergangenen Wochen muss ich Doreen mal von der Stadt Daytona Beach in Florida vorgeschwärmt haben, genauer gesagt von der sagenhaften Rennstrecke dort. Das ist vermutlich irgendwo in Südamerika passiert. Vielleicht in Buenos Aires oder Lima, wo es noch Spielhallen alter Schule mit richtig steilen Arcadegames gibt. In zwei oder drei dieser Spielhallen habe ich ein paar Pesos in ein, für immer verehrenswertes Sega-Rennspiel versenkt: "Daytona USA". Doreen müssen meine leuchtenden Augen aufgefallen sein. Anders kann ich mir nicht erklären, wie sie auf den Gedanken kommen konnte, mir ein paar Runden Selberfahren in genau jenem Rennwagen zu schenken, den "Daytona USA" zum Inhalt hat. Und das nirgendwo anders als eben in Daytona: Heimat des Marathonrennens "Daytona 500". Mekka für US-Motorsportler. Mutprobe für mich.


Doreen durfte mit auf die Rennstrecke. Sie hat mir Mut
gegeben, und Videos gedreht. Zum Beispiel wie ich
 mich beim einsteigen anstelle. Klicken und
 Geduld haben. 
Heute war es soweit. Hab Doreens Gutschein eingelöst; mich hinter das Lenkrad eines Rennwagens geklemmt und bin in Daytona gefahren. Selbst lenken, das Gas dosieren, den eigenen Mut auf die Probe stellen und lernen, wie sich das alles anfühlt. Und das im Cockpit eines V8-Geschosses aus der US-Rennserie "Nascar". Hätte ich nie gedacht, dass die einem sowas hier wirklich an die Hand geben. Tun sie aber. Eine Waffe auf Rädern. Bullige Rennautos mit dem Aussehen eines Straßenfahrzeugs, tatsächlich aber reinrassig für den Motorsport gebaut. Groß, breit, fett blubbender Motor. Der Innenraum?  Lenkrad, Sitzschale und Instrumente für Drehzahl, Öldruck und so weiter. Die Karosserie ist über einen Stahlkäfig gestülpt, die Scheinwerfer sind Attrappen. Amerikanischer als dieses Vollgas-Furiosum ist nur das Sternenbanner. Wir sind um 11 Uhr mittags an die Rennstrecke gekommen. Ein gewaltiger Bau, mit Sitztribünen bis zum Himmel und einem Asphaltband bis zum Horizont. Parken? Mittendrin statt außen vor. Elf Fahrschüler in einem Raum, die Begleiter dürfen dabei bleiben. Auch Doreen. Die Vorbesprechung dauert vielleicht eine Stunde inklusive Sicherheitshinweisen, mehr nicht. Kein Abfahren der Strecke, keine großen Erklärungen von Bremszonen, Flaggen oder sonst einem Kram. Nichtmal Funkverkehr werden wir haben, wird uns gesagt. Stattdessen: rein ins Auto und erleben. Ein Instruktor fährt voraus und gibt die Linie vor. Ich soll im Windschatten folgen und sein Tempo halten. Wenn mir das gelingt, winkt eine gute Rundenzeit. Wenn ich Schiss bekomme und abreißen lasse, dann… wie  haben sie es im Briefing formuliert? "Safety and fun first. Speed is not important". Hm. Für mich irgendwie schon.


Ein Nascar-Auto von innen. Gebaut nach dem Motto
"wo nichts ist, kann nichts kaputt gehen". Das
Lenkrad wird erst nach dem Einsteigen montiert.
Erster Eindruck: sich durch das Fensterloch in die Sitzschale fädeln - es gibt keine Türe - , das ist gar nicht so viel Akrobatik wie gedacht. Dann - den Motor anlassen. Für einen Vollgasmenschen wie mich ist das einfach nur begeisternd, wenn der Motor im Leerlauf röchelt und sofort jeden kurzen Gasstoß mit einem gierigen Aufbrüllen quittiert. V8 vom Feinsten. Danach - Abfahrt. Kupplung, erster Gang, zweiter Gang, dritter, vierter, alles ganz einfach. Auf der Rennstrecke selbst wird nicht mehr geschaltet. Nur noch das Gas dosiert. Das hier ist keine typisch europäische Rennstrecke, sondern Daytona. Die Mutter aller Ovale. Besteht aus nichts als ein paar ewig langen Geraden, die durch langgezogene Linkskurven verbunden sind. Sind alles Steilkurven, so dass du nicht bremsen musst, ja nichtmal bremsen darfst. Nur Gas wegnehmen ist erlaubt. Ich hab sowas ein paarmal im Fernsehen gesehen, und habe immer gedacht, dass das verflixt einfach aussieht. Ist es aber nicht. Sondern eine Mutprobe, wie ich sie noch nie erlebt habe. Zumindest wenn du schnell sein willst. Und das will ich ja. Also fahre ich immer so viel Gas, bis die Angstgefühle zu überwiegen beginnen. Versuche den Speed des vorausfahrenden Instruktors zu halten. Mit 250 Sachen knapp an einer Leitplanke aus Beton entlang. 

Dass da rechts außen im Bild, das bin ich ;-) 
Ich bin ehrlich nicht sicher, ob ich in der ersten Runde überhaupt geatmet habe. Knapp 69 Sekunden dauert meine erste Runde, das halte ich ohne Luftholen aus. Muss ja immer voll konzentriert sein; einmal im falschen Moment blinzeln, und schon schießt du in die Mauer - das sind jedenfalls so die Gedanken, die dir anfangs durch den Kopf schießen. Weil nämlich der Instruktor überhaupt nicht ans Langsammachen denkt. Der zuckelt in der Boxengasse kurz vor sich hin, und steigt danach voll auf den Pinsel. Und ich hinterher. Vergesse das Atmen; versuche das Auge ein paar Meter voraus schweifen zu lassen für korrekte Blickführung; und genieße es, wie ich Runde um Runde an Sicherheit gewinne. Dass das so ist, lese ich weder am Tacho, noch am Drehzahlmesser oder an der Stoppuhr ab. Solche Zeiger bzw. Nebensächlichkeiten erfassen, das traue ich mir nicht zu. Ich fokussiere nur die Rennstrecke, den Instruktor und die Frontscheibe aus Kunststoff, wie sie bei 240 Sachen zu zittern beginnt. Mit jeder Runde bleibe ich in den Steilkurven mehr und mehr auf dem Gas stehen. Und spüre, wie die Schwer- bzw. G-Kräfte meinen Körper stärker und stärker in den Sitz pressen. In den letzten beiden Runden fällt mir das Luftholen merklich schwer, dafür sorgen diese G-Kräfte. Das macht mir ein bisschen Angst. Aber es peitscht mich zugleich vorwärts. Ein unbeschreibliches Gefühl. Als wäre ich Jetpilot. Und anstrengend. Nach acht Runden klettere ich aus dem Sitz, und bin so durchgeschwitzt wie das letzte Mal bei einer Bergwanderung durch die österreichischen Alpen mit meinem Daddy. Mein T-Shirt ist komplett durchtränkt. Meine beste Rundenzeit: knapp über 65 Sekunden. Laut Instruktor "awesome". Das sagen sie hier gerne und oft. Komplimente aussprechen, das ist hier in den USA ganz groß. Das mag oberflächlich sein, sorgt aber für eine angenehme Atmosphäre und ein schönes Wohlgefühl. Ich mag das inzwischen ganz gern. 

Meine Wenigkeit vor dem Einsteigen. Etwas nervös,
aber noch halbwegs lässig. Wie das nach der
Fahrt ausgeschaut hat? Siehe dieses Video
Was mich beschäftigt: ich halte mich ja für halbwegs ausdauertrainiert, selbst wenn man mir den Zwangsverzicht auf´s Fitness-Studio seit Beginn der Weltreise langsam ansieht. Aber, wie bitte sollen Menschen diesen Nascar-Ritt bewältigen, die weniger fit sind, und die sich vielleicht nicht ganz so lange konzentrieren können? Eigentlich echt gefährlich. Und trotzdem. Einen Nascar-Rennwagen bewegen, das kann hier jeder tun, der dafür zu zahlen bereit ist. Ohne Fitnesstests, Selbstauskunft reicht. Ich kann´s immer noch nicht fassen. Für mich ist das ein weiterer Grund zum umdenken. Ich hielt die US-Gesellschaft bisher für eher wenig tolerant. Nach außen wirkt das ja oft so. Aber im Land selber, da scheint mir grundsätzlich ein vertrauensvolles Miteinander zu herrschen. Mehr als bei uns trauen die Menschen hier offenbar einander zu, dass jeder sich selbst und seine Fähigkeiten halbwegs einschätzen kann; dass jeder seine Ziele verfolgen darf; dass Politik und Gesellschaft nicht jedes Detail per Gesetz regulieren müssen. Wir in Europa übernehmen so vieles aus den USA. Vielleicht auch dieses freiheitliche Denken. Fände ich gut.

Danke an meine wundervolle Freundin, dass sie mir Daytona geschenkt hat. 
Richard