Mittwoch, 27. Juli 2011

Wir machen Urlaub...oder?





Ein Pauschaltourist wird sich nicht annähernd vorstellen können, wie anstrengend es für Weltreisende wie Richy und mich sein kann, ihre Weiterreise zu planen. Wenn man ständig Flüge, Unterkunft, Fortbewegungsmittel und alles andere selbst erfragen und buchen muss; und dabei keine Hilfe hat, wie zum Beispiel ein Reisebüro. Gespürt habe ich das zum ersten Mal in Südamerika, bzw. so richtig nach unseren 3,5 Monaten in Südamerika. Ich war echt am Ende. Klar, mein Fieber in Cusco tat auch einiges zur Sache. Aber grundsätzlich war ich total erschöpft von der Art des Reisens. Ich verstehe jeden, der das nicht glauben mag. Mir ging es im Dezember letzten Jahres noch genauso. 

Ein Schrein am Rande des Hotels.
Eine Bank steht davor. Ob hier wohl
die Mitarbeiter beten? 

Deshalb habe ich mir geschworen, mir würde das in Asien - der zweite Kontinent, den wir ohne Auto erkunden - nicht noch einmal passieren. Ich habe es mir schön ausgemalt. Erstmal fünf faszinierende Tage in Tokio verbringen, dann weiter nach Hong Kong - und jetzt zwei Wochen Urlaub in Khao Lak, Thailand. Urlaub, richtiger Urlaub. Also nicht das, was Backpacker eigentlich machen: Eine günstige Unterkunft ohne jeden Komfort aus dem Internet fischen, mit den hiesigen Bussen fahren usw. Nein, ich habe mich nach totalem Pauschalurlaub gesehnt. Zu oft haben wir in Südamerika schäbig übernachtet. Ich will am Flughafen mit dem Hotel-Shuttle ins Hotel kutschiert werden, keine großartigen Ausflüge unternehmen die mir irgendwie Kraft rauben könnten. Ich will faulenzen, lesen und nach zwei Wochen wieder zum Flughafen geschafft werden. Genau das habe ich mir vorgestellt…

Blick auf die Strandvillen unseres
Hotels und auf mich ;o) Ich würde
keine reservieren. Khao Lak hatte
durch den Tsunami 2004 mit
den schwersten Zerstörungen in
Thailand zu kämpfen.

Ich hatte die Oberaufsicht über diese zwei Wochen Entspannung. Ich war für die Planung zuständig. Also habe ich Flüge von Hong Kong nach Phuket gebucht, das Hotel in Expedia reserviert, mich nach dem Hotelshuttle erkundigt und und und. Wenn ich es mir nun selber erzählen würde, ich würde nie glauben wie der "Urlaub" für Richy und mich angefangen hat.


Mein Süßer an seinem
Lieblingsplatz. Am Meer.

Nachdem die Zeit in Hong Kong und auch Tokio finanziell doch wieder etwas über unserem Budget lag, habe ich beschlossen zu sparen. Und zwar genau bei unserem Urlaub. Kann man sich was blöderes vorstellen? Der preiswerteste Flug ist der, der erst gegen 24 Uhr in Thailand ankommt; wie praktisch, habe ich mir überlegt, so können wir auch gleich noch eine Übernachtung sparen. Und zwar indem wir auf dem Flughafen schlafen. Richtig, wir zwei "Mehr- oder-weniger-Backpacker" zwischen all den abgehärteten Travellern. Denen es nichts ausmacht, sich ohne Decke oder Schlafsack auf den Boden unter eine Bank zu legen, und vor sich hin zu schlummern. Bewundernswertes Vertrauen die Wertsachen nicht zu verlieren, eingeschlossen. Ich war echt überrascht, wieviele es davon in der Nacht unseres Ankommens am 21.7.2011 in Phuket gab. Wir konnten uns gerade noch eine Bank in der Eincheck-Halle sichern. Und so schliefen wir nur knapp drei Stunden: frierend in unsere Schlafsäcke eingekuschelt, die Köpfe auf unseren Rucksäcken liegend. Um fünf Uhr riss uns der beginnende Flugverkehr aus unseren nicht sehr festen Träumen. 


Unser schönes Zimmer.
Aufgrund der Regenzeit in Thailand
und der daraus entstehenden
ständigen Feuchte trocknen unsere
Klamotten, selbst im Zimmer,
nicht richtig.


Weiter gings mit dem Transport zum Hotel. Ich, wieder ganz sparend unterwegs, wollte den teuren Abholservice, den uns unser Hotel angeboten hat, nicht bezahlen. Also hat Richy am Vorabend noch gegoogelt, wie wir am preiswertesten vom Flughafen Phuket ins 50 km entfernte Khao Lak gelangen. Gefunden hat er eine Seite, die die öffentlichen Taxis mit Taxameter anpreist - und vor all den schwarzen Privat-Taxis warnt. Wir sollen die Hotelhalle in Richtung "Exit" verlassen. Kurz vor Ende des überdachten Bereichs müsste irgendwo ein oranges Schild mit "Taxameter" prangen; dort parken die "Offiziellen". Als wir uns umsehen, bekomme ich erst einmal einen kleinen Schock. Hunderttausende Möchtegern-Chauffeure wollen dich in ihr Vehikel locken. Wie sollten wir hier die paar offiziellen Taxifahrer ausfiltern? Ich würde gerne schreien "Bitte alle offiziellen Taxis Hand hoch!". Aber wir kämpfen uns tapfer durch; blicken uns um; und entdecken ohne Probleme unser offizielles Taxi. Der Fahrer bestätigt sogar sofort den Preis, der auf einer Tafel ausgehängt steht. Übrigens gut 20 Euro unter dem, was die schwarzen Schafe nehmen würden. Der ganze "gedankliche" Kampf hat sich gelohnt. 

Ein gutes Hotel erkennt man daran,
dass seine "Reisebegleiter" nach
dem Zimmerservice hübsch drapiert
auf dem Kissen sitzen.

Nun schreiben wir mittlerweile den 26.7.2011 und wir haben bereits vier Nächte in unserer Oase verbracht. Ein superschönes Hotel namens "Khao Lak Laguna Resort", mit herausragendem Frühstück, leckeren und bezahlbaren Abendessen, toller Atmosphäre. Von unserer Terrasse blicke ich direkt in den wirklich hübsch angelegten Dschungel-Park. Hier könnte ich es locker auch einen Monat aushalten. Aber wir wollen Thailand auch erkunden, die Menschen und die Natur kennen lernen. So beschäftigen wir uns seit gestern wieder mit Planungen. Was bietet Thailand? Was davon wollen wir erkunden? Wieviel kostet der Spaß? Wie kommen wir dorthin? Möchten wir eine hübsches Dach über dem Kopf, oder tut es eine einfache Hütte? Fragen über Fragen, die jeder von uns zweien erst einmal für sich selbst beantworten muss. Und das alles während meines geliebten Urlaubs, auf den ich mich schon so viele Wochen freue. Nicht meine Idealvorstellung, aber leider notwendig…als Weltreisende.

Genießt Euren Sommerurlaub, 
Eure Doreen 

Montag, 25. Juli 2011

Chinesen lächeln selten


Der Kleine hat gut lachen: der Vorplatz zum Hotelresort
"1881" an der Salisbury Road in Kowloon ist echt hübsch.
Die Menschen von Hong Kong, das ist ein Kapitel für sich. Als Gast der Stadt bestens aufgehoben dürften sich all jene fühlen, die von Herzen gerne ignoriert, oder mit Freuden zur Seite gerempelt werden. Kein Rassismus beabsichtigt: Aber unter all den Leuten in Hong Kong sind es vor allem die Chinesen, die mir so freundlich und zugänglich vorkommen wie eine Wiesn-Bedienung, nachdem ich ihr kein Trinkgeld gegeben habe. Auf den Straßen, in den Bahnen, zwischen den Häusern: Überall schneiden, drängen und drücken sich anonyme Menschenströme rücksichtslos an uns vorbei. In Shops oder Lokalen werden wir gleichgültig bis unfreundlich bedient. Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel die Angestellten im Hotel "Mandarin Oriental", das wir aus reiner Luxus-Neugier besuchen. Aber nur selten fangen wir so freundliche Blicke ein wie hier. Gespräche mit Einheimischen kommen kaum zustande, weil die meisten kein Englisch sprechen oder höchstens Standardfloskeln beherrschen. Das hätte ich in einer ehemals englischen Kolonie wie Hong Kong anders erwartet. Inzwischen habe ich erfahren, dass die chinesische Regierung in den Schulen das Pflichtfach Englisch zugunsten von Mandarin abgeschafft hat. Das dürfte die Erklärung sein. 

Aber auch daran hat man sich irgendwann gewöhnt, und kann Hong Kong genießen. Vor allem das Flanieren durch das Zentrum. Im letzten Blog namens "Hong Kong zwischen schön und scheußlich" habe ich ja über unsere Bleibe in Kowloon gelästert, jedoch, so windig das "Germany Hostel" sein mag: Es befindet sich in Gehnähe zum Mittelpunkt von Hong Kong, sprich Hong Kong Island mit den wohlhabenden Stadtteilen "Central" und "Admiralty". Den Banken-, Regierungs-, Geschäfts- und Reichenvierteln. Hier sind all die Wolkenkratzer mit den chromglänzenden Fassaden und interessante Bogenkonstruktionen versammelt, wegen denen Hong Kong millionenfach abgelichtet wird. Ist eine umwerfende Skyline, vor allem wenn der Abend heran bricht. Dann verschwindet das Grau der vielen scheusslichen Hochhäuser von Hong Kong in der Dämmerung, und es bleiben nur Farben übrig. Regenbogenbunte Lampen und Lichter und Leuchtreklamen vor den schwarzen Silhouetten der Berge. Das hat was Magisches an sich, vor allem bei Betrachtung vom Wasser aus, wenn du per Fähre von Kowloon bzw. Tsim Sha Tsui nach Hong Kong Island übersetzt. Oder wenn du das alles von hoch oben aus betrachtest, vom Scheitel des direkt ans Zentrum angrenzenden Berges "Victoria Peak" aus, knapp 400 Meter über der Stadt. 

Hong Kong Island, vom Victoria Peak aus
betrachtet. 
Dasselbe bei Nacht. Doreen und ich,
wir haben ein kleines Video gedreht.
Dein Klick wäre uns eine Ehre!
Den Berg haben Doreen und ich am Sonntag angesteuert. Hauptsächlich, weil es a) trotz Regenzeit mal nicht duscht und weil b) der Wind keinen schlimmen Smog aus den nördlich gelegenen Industrie-Metropolen Shenzhen und Guangzhou rüber weht. Kurz gesagt, die Sicht ist gut. Trotzdem ein blödes Timing, weil a) raufwandern im subtropischen Mitte-Juli-Klima dich killt und weil b) der Aussichtspunkt bei Touristen wie Hiesigen gleichermaßen beliebt ist. Alle wollen sich von der altertümlichen Bergbahn namens "Tram"  rauftragen lassen. Ergo ist eine Stunde anstehen angesagt, so als wäre im Europapark in den Sommerferien eine neue Doppelschrauben-Loopingbahn eröffnet worden. Wer wieder runter will vom Berg, durchleidet dasselbe Spiel. Der Ausblick entschuldigt aber die schlechte Planung; ein bisschen Bummelei durch das nette Einkaufszentrum "The Peak Tower" da oben vertreibt schlechte Gedanken im Nu; vor allem aber bringt ein hübscher Wanderweg Doreen und mich aus dem Trubel raus. Selbst am überlaufenen Sonntag finden wir hier oben ein einsames Fleckchen; machen es uns gemütlich; blicken über ganz Hong Kong Island; und sehen dabei zu, wie die Wolkenkratzer ihren schimmernden Abenddress überwerfen.


Hong Kong steckt voller Luxus-
Shops. Aber kein Diamant
strahlt so schön wie Doreen.
 
 
Was gibt´s sonst zu sagen? Für meinen Geschmack wird in Hong Kong vieles allzu streng geregelt. Im Park darfst du dich nicht auf die Bank legen; in der Bahn nicht essen oder trinken; und ständig mahnen Durchsagen, dass du dich auf der Rolltreppe festhalten und kein schweres Gepäck damit transportieren sollst. Auch das Gerücht mit der Internet-Zensur stimmt. Als Doreen via gmx.de Prinzessin Katis Kleid beim Besuch in Kanada angucken möchte, klappt statt Klamotten ein Warnfenster auf: Die Seite ist gesperrt. Andererseits gefallen mir viele gute Ideen hier. Zum Beispiel das kostenlos und meiner Erfahrung nach ziemlich flächendeckende WLAN-Internet. Und das "Octopus"-Zahlungssystem: Mit der gleichnamigen Geldkarte kann ich in Supermärkten einkaufen, im McDonalds meinen Burger bezahlen, und jedes öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Klappt herrlich einfach: Magnetkarte an den Scanner halten, einsteigen, fertig. 

Bahn, Bus, Tram: alles kommt alle
paar Minuten, kost fast nix,
lässt sich bargeldlos zahlen. Top!
Überhaupt, der Nahverkehr. Davon könnte sich so ziemlich jedes deutsche Verkehrs-System was abgucken. Ist schneller, zuverlässiger, preiswerter als bei mir zuhause in München. Es gibt keinen Fahrplan, weil alles so oft fährt. Und die Bezahlung... aber das hatte ich ja schon erwähnt. Außerdem haut mich Hong Kong als Shopping-Paradies um. Eigentlich kann ich der stundenlangen Produkt-Jagd recht wenig abgewinnen, viel weniger jedenfalls als Doreen. Aber was es in Hong Kong an Elektronik, Klamotten und Luxus gibt, das stellt alles in den Schatten. Du findest einfach alles, und vieles davon sehr preiswert, weil in Hong Kong keine Mehrwert-Steuer anfällt. Keinen Schimmer, warum im Flughafen trotzdem Legionen von Touristen die Duty-Free-Shops anströmen. Egal, der Airport ist trotzdem einen Tages-Aufenthalt wert. Du kannst dir in hunderten Shops die Zeit vertreiben; auf Schlafcouchen vor dich hin träumen;  dir in kleinen Wohnzimmer-Kinos eine Privatvorstellung gönnen; auf Aussichts-Plattformen den Airbus A380 starten sehen; in über 30 echt preiswerten Lokalen den Magen voll schlagen. Es gibt gratis WLAN, Auflade-Stationen, Duschkabinen und und und. Kaum zu fassen, dass sich so vieles so clever auf so kleinem Raum mit so kurzen Wegen unterbringen lässt. Macher von München-Erding, guckt euch das an. Wird Zeit, das wir Europäer Ideen aus Asien klauen. 

Am Sonntag treibt´s jede Menge Frauen aus ihren
kleinen Buden raus an die frische Luft. 
Apropos nachbauen: Die Struktur der Stadtteile "Central" und "Admiralty" würde ich unbedingt als "kennenlernenswert" umschreiben. In den unteren Stockwerken etlicher Gebäude drängen sich Shops auf Shops, und Einkaufszentren auf Einkaufszentren. Und fast alle sind irgendwie über Brücken und Tunnels miteinander verbunden. Du musst zwecks Vorankommen fast nie nach draußen wechseln und unter offenem Himmel unterwegs sein, wenn du das nicht willst. Der Schritt nach draußen lohnt sich aber. Es ist schon ein interessanter Anblick, das Leben auf der Straße. Hong Kong ist auch in der Hinsicht anders. Trotz  gut ausgebauter Straßen siehst du fast nur Busse und LKWs. Kaum jemand scheint ein eigenes Auto zu besitzen.  

Ortswechsel á la Hong Kong:
Unten fließt der motorisierte
Verkehr, auf den Brücken
strömen die Menschen. 
Nur im Zentrum erfassen meine Augen einen Bankertyp im Ferrari F430, eine Frau im hübsch getunten Golf GTI, einen Anfangvierziger im Nissan GTR. Dazwischen Flotten von Doppeldecker-Bussen und -Straßenbahnen, die emsig ärmere Gesellschafts-Schichten von A nach B transportieren. Und überall Frauen. Dutzende. Hunderte. Tausende. Sitzen in Nebenstraßen, unter Brücken und auf Plätzen in Gruppen zusammen, tratschen, trainieren Tai Chi und Tanzschritte, chatten am Laptop oder daddeln am iPhone. Unfassbar, wie viele Asiaten das Apple-Gerät dafür nutzen. Da tun sich für meine beruflichen Ambitionen nach der Weltreise - Game-Development auf dem iPhone ist angedacht - richtig Chancen auf. Die Frauen jedenfalls scheinen froh zu sein, wenn sie für ein paar Stunden ihren engen Buden entkommen. Die meisten sehen aus, als seien sie von den Philippinen und anderen ärmeren Regionen eingewandert.

Auch solche Landschaften verstecken sich im
Großraum von Hong Kong. Aber davon kriegst du in der Stadt kaum was mit.
Was ich so mitkriege, betreuen etliche von ihnen gegen Kost, Logis und etwas Lohn bei hiesigen Geschäftsleuten  Haushalt, Kind und Kegel. Sie hoffen bestimmt auf ein besseres Leben. Darauf, dass sie selbst einen wohlhabenden Mann abkriegen. Aber das ist nur eine weitere der vielen Facetten von Hong Kong. Es gäbe noch so vieles zu entdecken. Doreen ist  vermutlich dankbar, dass wir nach rund zwei Wochen nun einem anderen Ziel entgegen streben. Das paradoxe Nebeneinander aus grüner Natur und grauem Betonflächen übt auf Doreen keine allzu große Faszination aus. Sie fühlt sich in dem Häuserdickicht wie eingesperrt, vermisst große Flächen und eine ausladende Weitsicht. Ich könnte auf das Gewühl der Menschen und ihren rücksichtslosen Umgang untereinander ebenfalls verzichten. Finde trotzdem, dass Hong Kong mehr Besonderes an sich hat als die meisten anderen Städte, die Doreen und ich während unserer bisherigen Weltreise besuchen durften. War schön, das erleben zu dürfen. Jetzt freue ich mich auf ein ganz anderes Asien: Thailand.  

Gruß vom Peak, 
Richard

Freitag, 22. Juli 2011

Hong Kong zwischen schön und scheußlich




Schön: Das Chi-Lin-Kloster mit den angrenzenden
Lan-Nian-Gärten im chinesischen Stil. 
Nicht von dieser Welt. So wirkt Hong Kong auf mich, beim nächtlichen Lande-Anflug vor rund zwei Wochen. Ganz  anders als andere Millionen-Metropolen, die ich während unserer Reise aus der Luft zu sehen bekommen habe. Wir schreiben den 5. Juli, es ist 23:50 Uhr. Unser Airbus A330 der Cathay Pacific  - tolles Flugerlebnis übrigens, mit lecker Essen und bestem Bordentertainment der Welt! - schwebt seit fünf Minuten an einer Skyline vorbei, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe.

Scheusslich: unweit jedes
grünen Fleck wuchern
Hochhäuser.
Hong Kongs Struktur unterscheidet sich deutlich vom klassischen Schema mit Stadtkern und Wohnvierteln drumrum. Wenn ich heute, zwei Wochen nachdem wir angekommen sind, so darüber nachdenke: dann erinnert mich Hong Kong eher an… hm… ja, doch, an ein Geschwür. Ein Geschwür aus Beton und Asphalt, das aus wunderschöner Natur heraus wuchert. Hong Kong liegt an der südchinesischen See, und verteilt sich auf mehrere Inseln, die über Brücken und Tunnel und Fähren miteinander verbunden sind. Große Teile von Hong Kong machen einen unberührten Eindruck. Sanft wogende Kuschelhügel erheben sich aus dem Meer, und tragen saftig grün leuchtende Regenwald-Vegetation auf drei- bis fünfhundert Meter Höhe. Üppige Schlinggewächse, hohe Gräser und ausladende Farne wie aus dem Dschungel-Bilderbuch. 

Schön: Die Skyline,
vom Hafen aus
betrachtet.
Scheußlich: So sehen die meisten
Wohnhäuser aus.
Aber wo immer es Boden und Statik zulassen, vor allem in den größeren Buchten, wuchert grauer Beton aus dem Grün hervor. Dicht an dicht, schrauben sich hunderte Hochhäuser endlos in den Himmel. 30 bis 60 Stockwerke hohe Zweckbauten; ohne dass architektonische Details um Schönheit bemüht wären. Viele der Gebäude sehen erstaunlich schmal und zart aus, dünn wie ein Bleistift. Bei einem Spaziergang erwacht die Neugier in mir: wie mag wohl das Klingelschild an so einem Haus aussehen? Antwort: Es gibt keines. Stattdessen einen Empfang mit Rezeption. Eine Dame aus der Wohnanlage "Towers" erzählt mir, dass von den 59 Stockwerken in ihrem Haus 48 Stück bewohnt sind. Pro Stockwerk gibt es acht Wohnungen mit je sechs Bewohnern, das macht insgesamt 2300 Menschen - nur in diesem einen Haus. Von denen es Hunderte gibt. Im Großraum Hong Kong leben acht Millionen Menschen auf einer Fläche, die kaum größer ist als die des Großraum Berlin. Laut Wikipedia ist nur Monaco noch dichter besiedelt. Kein Wunder, erinnern mich die Gebäude an Hühnerfarmen. Auf engstem Raum leben hier die Bauernopfer des asiatischen Wirtschaftswunders. 

Schön: unser Hotel "Harbour Plaza
Resort" etwas außerhalb. 
Scheußlich: unser "Germany
Hostel" im Zentrum.
In Hong Kong prallen Gegensätze aufeinander. Arm und reich, High- und Lowtech, Schutz der Umwelt und Wachstum der Wirtschaft. Auch Doreen und ich finden uns in einer Zwickmühle wieder, eine mit der wir uns seit Beginn unserer Weltreise immer wieder konfrontiert sehen: bestmöglicher Kompromiss aus verfügbaren Geldmitteln und Wohlfühlqualitäten der Unterkunft. Wir wollen mindestens zwei Wochen in Hong Kong verbringen, möchten die Stadt und ihre Menschen zumindest ansatzweise kennen lernen. Die Übernachtung in Hong Kong kommt aber laut expedia.de locker auf 100 bis 150 Euro in einer unteren Hotel-Kategorie. Das entspricht rund dem Dreifachen unseres Budgets. 40 Euro darf uns beide eine Übernachtung kosten, sonst kommen wir übers Jahr gerechnet nicht hin. Nach langem Suchen habe ich via expedia.de und Eigenrecherche etwas gefunden. Das "Harbour Plaza Resort" draußen in den New Territories. Zwar rund eine Stunde Bahnfahrt vom Zentrum entfernt, dafür werden bei einem Mindestaufenthalt von 14 Tagen aber nur 49 Euro pro Nacht fällig. Ein Schnäppchen für Hong Kong-Verhältnisse. Und eine einladende Bleibe noch dazu. Mit schöner Aussicht vom 26. Stockwerk, Kühlschrank, Mikrowelle, Herd, einer Sitzecke und allem was man sonst so braucht, um sich ein bisschen wie zu Hause zu fühlen. Es gibt ein Fitness-Studio, wo wir die in den USA antrainierten Pfunde wieder wegschwitzen. Und im Supermarkt nebenan das beste Sushi, das wir bisher in Asien genießen durften. Das preiswerteste noch dazu: Ein Euro Zwanzig für acht Maki-Rollen. Hong Kong muss nicht teuer sein.    

Herrlicher Segeltörn rund um
Lantau Island. Danke Tom!
Doreen und ich, wir dürfen ganz unverhofft sogar zwei Tage lang richtigen Luxus genießen, als wir einen alten Geschäftsfreund von mir treffen. Tom ist vor zehn Jahren aus dem deutschsprachigen Raum nach Hong Kong ausgewandert und hat "Playasia" mit aufgebaut, einen sehr erfolgreichen Versandhandel für Videospiele. Ich hatte mit ihm vor etlichen Jahren häufiger Kontakt; jetzt wollte ich mit ihm einen Kaffee trinken gehen. Aber dass er Doreen und mich gleich zu einem Segeltörn einlädt; uns mit seiner Frau und seinem Sohn bekannt macht; und sogar auf seinem Hausboot übernachten lässt; das hätte ich niemals erwartet. Ganz lieben Gruß an alle! 

Wandertag: In Hong Kong lässt es sich gut marschieren.
Aber nach vier Stunden tropischer Juli-Hitze bist bedient!
So schön das Luxusleben ist, wir wollen auch die andere Seite kennen lernen - möchten die letzten paar Tage vor unserem Weiterflug im Auge des Sturmes verbringen, nahe dem Zentrum von Hong Kong. Wir wählen den Bezirk Kowloon bzw. Stadtviertel Tsim Sha Tsui, und reservieren ein Zimmer im preiswerten Gästehaus "Germany Hostel" im Chungking-Mansion-Komplex in der Nathan Road. Eine Umgebung, wo Ridley Scott - würde er ein Remake von "Blade Runner" drehen - keinerlei Computertricks zur Portraitierung der unterkühlten Neo-Tech-Stimmung bräuchte. Ein Halbwelt, geprägt durch eine seltsame Mischung aus modernster Glas- und Leichtbau-Archtitektur und herunter gekommenem Hochhaus-Baracken. Straßen, grell und düster zugleich. Blinkende Neonschilder neben Werbevideos auf mächtigen LED-Bildschirmen. Lady Gaga aus unsichtbaren Lautsprechern. Marktschreier überall. Es echot asiatisch aus den Häuserschluchten. Pärchen lustwandeln. Betrunkene versinken in Hauseingängen. Afrikaner und Nepalesen und Chinesen sitzen in Grüppchen beieinander und hecken ihr nächstes Geschäft aus. Selbst in dieser Gegend sind die Chungking-Mansions ein Fall für sich. In dem verwinkelten und verranzten Riesen-Gebäude-Labyrinth kommen Kulturen aus aller Welt zusammen: Inder und Pakistani zwecks Geschäftemacherei. Dazwischen ein paar verunsicherte Touristen aus dem Westen, die das bunte Treiben begaffen. 

Szene aus der Nathan Road:
 Ich wollte ihm keine Rolex abkaufen.
Aber der Händler hat schon ein neues
Opfer erspäht. 
Kowloon am Abend: Schön
zum bummeln und shoppen.
In den unteren Stockwerken drängen sich windige Kaufleute, viele starren mich mit nervösem Blick an. Vermutlich, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis haben und / oder weil schäbige Markenprodukt-Kopien mittlerweile selbst in Hong Kong nur noch unter der Hand vertickt werden. Einige stellen sich mir in den Weg und rufen mir Worte zu: "Rolex!,  "Copy Handbags!",  "Haschisch!". Sie lassen nicht locker, stellen sich mir in den Weg, halten mir Flyer vor die Augen, betatschen mich - dass Straßenhändler irgendwo in der Welt aufdringlicher sein können als in Ägypten, hätte ich niemals für möglich gehalten. Aber die Hiesigen kennen offenbar keine Mindest-Wohlfühl-Distanz wie ich als Europäer. Sei´s drum. Die Typen komplett ignorieren, nichts sagen, bloß nicht gucken, dafür zuversichtlichen Schrittes vorwärts marschieren - die Taktik mag unhöflich sein, aber sie funktioniert. Doreen und ich, wir kämpfen uns zwischen abgerockten Verkaufsbuden und aufdringlichen Schleppern in die oberen Stockwerke vor. Dort drängeln sich jede Menge Hostels von zweifelhafter Qualität, 80 Stück laut Wikipedia. Unser Zimmer? Sieben Quadratmeter, Bad, Handdusche und fleckige Betten eingerechnet. Es ist 23 Uhr und ich betrinke mich mit 8,9-prozentigem Oettinger-Starkbier aus dem Supermarkt um die Ecke. Anders könnte ich vermutlich nicht einschlafen, so laut ist es. Finde das Flair interessant, bin aber froh, dass ich es hier nur zwei Übernachtungen lang aushalten muss. Habe mir erzählen lassen, dass sehr viele Hong-Kong-Chinesen so oder ähnlich ihr Leben leben. Wie sie das tun? Mehr darüber im nächsten Blog, der da heißt "Chinesen lächeln selten".

Mag Chinesen trotzdem, 
Richard 


Freitag, 15. Juli 2011

Tokio und der Schweinkram



Szene aus Akihabara: Ein Typ fotografiert seine Freundin
im bevorzugten Look - knappes Röckchen, scheuer Blick.  
Wir verbringen nur fünf Tage in Tokio, aber in der kurzen Zeit kommen Doreen und ich ordentlich herum. Wir laufen viele Kilometer, und legen richtig Strecke auf dem Gleis zurück. Das meiste davon mit der Yamanote-Bahn: ein Schnellzug, der die inneren Stadtbezirke auf  ringförmig angelegten Gleisen erschließt. Komfortabel, schnell und preiswert. Wer die zentraleren Bereiche von Tokio mit all ihren Sehenswürdigkeiten erkunden mag, braucht nichts anderes. Per Yamanote-Bahn machen wir etliche Entdeckungen voller Identität und Charakter. Und stolpern häufig über Situationen und Momente, die einen nur Tokio erleben lässt. Dass die Stadt Fantasien erfüllt, ist kein Zufall. Tokio ist im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört worden. Vieles wurde wieder aufgebaut, vieles ist neu entstanden. Tradition und Popkultur gehen Hand in Hand. Was daraus entsteht, das wirkt auf mich so eigen, so anders, so faszinierend wie sonst wenig auf der Welt. 

Wer weiß, was Japaner an Pachinko-
Automaten fasziniert - bitte melden! 
Da gibt es zum Beispiel Spielhallen, wo dir die Ohren schmerzen, sobald sich die Tür öffnet. Im Inneren sitzen Menschen vor blinkenden, leuchtenden und klimpernden Automaten - so genannte Pachinko-Maschinen. Im Inneren purzeln Metallkugeln durch ein Spielraster aus Chromstäben nach unten, ganz einfach. Aber in den Spielhallen stehen Dutzende, Hunderte Pachinko-Automaten dicht an dicht, und werfen dir eine Wand aus Lärm entgegen, die im ersten Moment alle deine Sinne lähmt. Ich verstehe die Faszination von Pachinko genausowenig, wie die der einarmigen Banditen in Las Vegas. Aber die Pachinko-Hallen sind gut besucht. Und ich habe sowas bisher nur in Tokio gesehen. Genau wie die Lesehallen für Manga-Comics, wo etliche Erwachsene stundenweise eine Liege mieten und in fantasievolle Bilderwelten abtauchen. 

Ähnlich schräge Szenerien eröffnen sich Doreen und mir beim Bummel durch den Stadtteil "Electric City" Akihabara, mit seinen endlosen Reihen voller Shops für Geeks und Freaks, und seinen Straßen voll sexy Popkultur. Vor vielen Schaufenstern stehen als Schulmädchen, Mangagirl oder Videospielheldin verkleidete Frauen und wollen uns mit kurzem Rock und scheuem Blick Werbeblättchen andrehen. Kann mich zu keinem näheren Blick überwinden - käme mir dabei ein bisschen wie ein Kinderschänder vor, und Doreen wäre bei allzu genauem Hingucken vermutlich ebenfalls wenig begeistert. Deshalb bleiben meine Augen meistens auf die Auslagen der Händler gerichtet. Spannend genug, denn dort stapeln sich ohne Ende begehrenswerte Spielsachen für groß und klein, Mann und Frau. 20 Jahre alte Videospiel-Systeme, noch neu verpackt. Gleich daneben die neuesten Handys und Fernseher. Oder ein Laden für kunstvoll gestaltete Fingernägel und Wimpern und Handtäschchen und überhaupt unfassbar viel witziges Zeug zum aufrüschen. Putzige Haarklammern, kunterbunte Klamotten, lila Ladekabel für den ipod, sowas eben. Damit trauen sich hier erwachsene Frauen auf die Straße, und auch Männer. Einfach weil sie es mögen, und weil niemand schief guckt. Ich würde mir diese Offenheit für Deutschland wünschen. 

Eines von rund 20 Regalen
voller Manga-Comics, in einer
von etlichen Büchereien in
Akihabara.
Lust auf einen
Videobummel durch
einen Shop in Akihabara?
Klick für Video!
Noch so ein japanisches Ding, dass mir in Tokio an vielen Ecken auffällt: der ganze Bohai um Manga und Comics. Als Freund der japanischen Popkultur war mir bewusst, dass Comics in Japan einen viel größeren Stellenwert haben als bei uns in Europa - dass die Szene mehr als nur eine Nische besetzt. Aber dass sie das ganze Leben der Tokioter durch dringt? Dass jedes zweite Werbeplakat als Manga gezeichnet ist, sogar die Warnhinweise vor schließenden Türen in der Bahn?  Dass es riesige Bibliotheken gibt, voller Bücher für Fans der Bildersprache? Geh rein, sieh dich um, und du weißt - die Kreativität der Texter und Zeichner macht vor kaum einem Thema halt. Erotische Bilder sind eher die Regel als die Ausnahme. Dass Kinder zu den Regalen freien Zutritt haben, gibt mir als behütet aufgewachsenem Westeuropäer im ersten Moment etwas zu denken. Habe mich mit Doreen darüber unterhalten. Sie hat eine interessante Ansicht zu dem Thema: Sie findet die Vorliebe der männlichen Tokioter für gezeichnete nackte Frauen gut: "Besser als wenn sie sich echte Pornos angucken. Finde, das zeigt, dass die Männer Respekt vor Frauen haben". Schon möglich. Zumindest tun gezeichnete Bilder niemand weh. 

Der Ueno-Park:
kurzer Blick,
schnell mal Klick
Gute Ideen aus Akihabara, die
auch Doreen gefallen : Mini-Blumen-
sträuße für kleine Blumenvasen...
Die japanische Gesellschaft wird in den europäischen Medien oft als streng beschrieben. Regeln über alles, sozusagen. Mir kommt es vor, als würden die Regeln aber weniger vom Staat diktiert, als von den Leuten gemacht. So als wären sie über Generationen gewachsen; würden ständig aktualisiert und von den Menschen freiwillig befolgt. Weil jeder einsieht, dass Regeln zum harmonischen Zusammenleben notwendig sind. Zum Beispiel habe ich es in der Tokioter S-Bahn nie erlebt, dass jemand mit Telefonaten oder Musik aus den Kopfhörern die Herumstehenden belästigt. Sehe das als Zeichen von Achtung voreinander. Japanern wäre es unangenehm, wenn sie aus der Rolle fallen und "ihr Gesicht verlieren". Ich finde es außerdem vorbildlich, wie sehr sich die Menschen verantwortlich fühlen für das, was sie tun. Gäbe es bei mir daheim in München-Perlach ähnlich wenig Papierkörbe wie in Tokio, jede Wette, die Straßen würden binnen zwei Wochen ausschauen als wäre die Müllabfuhr auf Streik. Aber hier lässt niemand Trinkdosen oder Bananenschalen einfach auf den Boden fallen. Die Denkweise "irgend jemand räumt das schon weg, nach mir die Sintflut" scheint den Tokiotern völlig fremd zu sein. Nenn mich Spießer, meinetwegen. Aber ich mag es, wenn ich auf der Straße nicht zwischen Obstresten und Papiermüll balancieren muss. Für mich ist die Sauberkeit ein Grund mehr, weshalb Doreen und ich uns in Tokio vom ersten bis zum letzten Moment gut aufgehoben gefühlt haben. 

Der Tag vor unserer Abreise hält für Doreen und mich eine besondere Überraschung bereit. Wir steuern das Viertel Nishi-Nippori an, bleiben dabei etwas abseits der üblichen Touristenpfade. Hier möchte Doreen einen alten "Suwa-Schrein" besichtigen; eine kleine religiöse Shinto-Tempelanlage mitten in einem älteren Wohngebiet voller traditioneller Häuser. Viele davon aus Holz gebaut. Der Schrein ist nicht ganz leicht zu finden. Er setzt sich von der Umgebung kaum ab; besteht aus ein bisschen Freifläche, darauf ein kleiner Gebetstempel aus rot bemaltem Holz, daneben ein kleiner Brunnen. 
Durch einen etwa körperhohen Zaun und viele schattenspendende Laubbäume ist das alles so raffiniert von der Außenwelt abgeschirmt, dass du den Trubel der Großstadt in dem Moment vergisst, wo du durch das Zugangstor trittst. Doreen und ich, wir haben uns auf einen kleinen Fels gesetzt, die Anlage betrachtet, die wundervolle Ruhe mitten in Tokio genossen. Okay, das Zen haben wir nicht erreicht. Aber wir hatten so einen angenehmen Spaziergang und waren so nah dran an der Erfüllung, wie zwei Reisende aus Deutschland binnen fünf Tagen nur an sie herankommen können. Wir wollen es auf jeden Fall noch mal probieren. Japan, wir kommen wieder. Dann länger. 

Mein letztes Sushi in Tokio kommt erst noch,  
Richard 


Mittwoch, 13. Juli 2011

Liebeserklärung an Tokio

Ein letztes Abschiedsfoto aus dem Grand Canyon...

Inzwischen sind wir in Hong Kong angekommen. Hier verbringen Doreen und ich zwei Wochen, wir wollen etwas Ruhe in unser Reiseleben bringen. Denn die vergangenen Tage waren so ereignisreich wie das Liebesleben von Charlie Harper aus "Two and a half Men". Wir haben in den USA in kurzer Folge viele wunderschöne Orte und Landschaften besuchen dürfen: Grand Canyon, Mojave Wüste, Monument Valley,  wo jeder zweite Western gedreht wird. Danach Rückkehr für drei Tage ins gewaltige Märchenschloss-Hotel "Excalibur" nach "fabulous" Las Vegas, wo Doreen und ich unser Zweijähriges gefeiert haben. Die Tage seit dem letzten Blogeintrag sind buchstäblich verflogen, die USA kommen mir heute wie eine weit entfernte Reise-Etappe vor. Sorry, dass es keinen weiteren Text dazu gibt, und mehr Bilder erst beim Dia-Abend nach unserer Rückkehr. Die Zeit war einfach zu knapp. Denn zwischen USA und Hong Kong haben wir fünf der vielleicht ruhelosesten und eindrucksvollsten Tage unserer bisherigen Weltreise verbracht. In Tokio.  

Am 30. Juni sind wir an Bord einer Boeing 777 der JAL nach Japan entschwebt, genauer gesagt nach Tokio-Narita. Nebenbei bemerkt einer der angenehmsten Langstreckenflüge, den man sich als Holzklasse-Aktivist wünschen kann. In einer brandneuen Maschine kriegt man lokal koloriertes Bordessen serviert, und vertreibt sich die Zeit mit Tetris gegeneinander, oder zwei Dutzend Filmen-auf-Abruf. Dass uns die Stewardessen mit offenen Augen und einem herzerwärmenden Lächeln jeden Wunsch erfüllen mochten, das habe ich während des Fluges leider gar nicht so richtig wahrgenommen. Ich war etwas zu sehr mit dem Abbau von Ängsten befasst. 
Immerhin ist Tokio mein erster ernstzunehmnder Aufenthalt in Asien. Jedenfalls sofern ich ein bis zwei berufliche, von A bis Z rundum betreute Kurztrips ohne Kontakt mit der Außenwelt außer acht lasse. Ich hatte enormen Respekt vor all dem Fremden in Asien. Der Sprache, den Schriftzeichen, der Kultur, den Menschen. Ich dachte, ich würde mich zwischen all den kauderwelschenden Leuten niemals zurechtfinden. Für einen sicherheitlich und planerisch denkenden Meschen wie mich eine beunruhigende Vorstellung. Dazu kommt, dass du fragen kannst wen du magst - jeder erzählt dir, Tokio sei unfassbar teuer. Mehr als genug Gründe also, warum wir Japans Hauptstadt während unserer ersten Weltreise-Planungen erst gar nicht auf der Route hatten. Letztendlich hat dann aber doch die Neugier gesiegt. Außerdem die Einsicht, dass sich unsere Reise nur dann intensiv und erfüllend anfühlen kann, wenn wir Neues wagen.

Meine wundervolle Doreen.
Steht Tokio ihr nicht super?
Mann, bin ich dankbar, dass wir uns zumindest zu einem Fünf-Tage-Zwischenstopp in Japan entschließen konnten. Tokio ist überwältigend. Ganz anders als alle anderen Städte, die wir bisher besuchen durften. Schön. Warm. Freundlich. Und gar nicht allzu teuer, sondern halbwegs leistbar: Unterkunft, Nahverkehr und Essen zusammen genommen, bewegt sich alles etwa auf Münchner Niveau. Und egal was du tust, es ist einfacher zu bewältigen, als du es dir vorher ausmalst. Ich glaube, ich habe mich noch in keinem Land so willkommen gefühlt wie in Japan. Die Menschen an der Grenzkontrolle geben dir das Gefühl, dass sie dich gerne als Gast begrüßen. Als sich bei der Passkontrolle eine kurze Warteschlange bildet, eilt sofort ein Grenzer herbei; schaut mir freundlich in die Augen; bittet mich zu einem neu geöffneten Schalter; und winkt mich nach kurzer Betrachtung der Papiere durch. Im Empfangsbereich des Flughafens sind alle wichtigen Wegweiser englisch beschriftet. Zurechtfinden ist keine Hexerei. 


Seltsam aber wahr: Japan-Flaggen
sind in Tokio eine Seltenheit...
Ich erinnere mich an den Rat meiner japanerfahrenen Ex-Kollegin Sabine, für den Fall dass ich die Hiragana / Katakama-Schriftzeichen an Fahrkarten-Automaten und / oder Straßenschildern nicht entziffern könne: "Einfach stehen bleiben und ratlos in die Gegend schauen. Kommen bestimmt gleich zehn Japaner angerannt und wollen dir helfen", hat sie mir vor einiger Zeit gesteckt. Funktioniert wirklich. Guck ein bisschen verwirrt aus der Wäsche, schon sprechen dich viele Menschen auf englisch an, oder sind zumindest um gegenseitiges Verstehen bemüht. Ich mach´s kurz:  Noch niemals, in keiner Stadt während unserer Weltreise, auch nicht zuhause, habe ich so viel Hilfsbereitschaft erfahren wie in Tokio. Und so kommt es, dass wir im Nu aus dem Flieger raus und per "Narita Express 44" auf dem Weg vom Flughafen in unserer Bleibe waren. Bereits diese rund anderthalb Stunden dauernde Fahrt hat mich berührt. Während dich die Flughafen-Zubringer woanders - Paris zum Beispiel - nur allzu gerne mit den schlimmsten Vororten und Slums konfrontieren, siehst du hier genug vom Land und Architektur, dass dir das Herz aufgeht. Auf kleinen Häuschen thronen geschwungenen Ziegeldächer mit aufwändig verzierten Giebeln, und dir wird klar: du bist wirklich ganz woanders.  


Unten und links Bilder aus
Ikebukuro, oben unser Zimmer
im Kimi Ryokan. Rundgang? Video!
Große Freude bei Doreen, weil
Monchichis in Tokio so weit
verbreitet sind.  
Laut Wikipedia ist Tokio keine zentral verwaltete Metropole mit Kern und Stadtteilen, so wie ich es von deutschen Städten kenne. Es handelt sich eher um einen Großraum, der sich aus selbständigen Verwaltungs-Bezirken zusammen setzt. Das mag ein Grund dafür sein, weshalb Shibuya und die anderen Viertel jedes für sich einen ziemlich eigenen Charakter ausstrahlen. Ikebukuro zum Beispiel, wo wir unsere Unterkunft reserviert haben, lernen wir als quirlige Ausgeh-Gegend kennen, mit Einkaufszentren und Shoppingmeilen und McDonalds und Restaurants und allem, was in so einer Ecke zu erwarten wäre. Aber es gibt auch ruhigere Seitenstraßen, wo die Menschen leben. Dort  finden wir das "Kimi Ryokan", unsere Bleibe. Das Wort Ryokan bezeichnet im Japanischen eine Herberge im traditionellen Stil. Also Schuhe ausziehen im Eingangsbereich, schließlich soll niemand den schönen Holzboden beschmutzen. Kompakte Schlafkammern, einladender Gemeinschaftsraum, ein Bad für die Etage. Kein Luxus, dafür authentisch, sauber, freundlich und für Tokioter Verhältnisse sehr bezahlbar. Danke nochmal, Sabine, für den guten Tipp. Wir hätten uns keine bessere Ausgangsbasis für unsere kleinen Ausflüge in das Tokioter Leben wünschen können. 

Ein Frühstück in
 Tokio, siehe auch Video
Verspielte Japaner: Jede Toilette
hat mehr Tasten als mein Autoradio.
Schon das Frühstück am nächsten Morgen gestaltet sich als kleines Abenteuer. Wir müssen ja ein bisschen mit dem Geld haushalten, da reicht das Bare eben nur für die Suppenküchen in der Umgebung. Eine davon zieht uns zu sich rein, erstens weil ums Eck und zweitens weil Bildchen auf der Menükarte einen Eindruck vom Speisen-Angebot vermitteln. Wir trauen uns also ins Innere; und sehen ein halbes Dutzend Hiesige mit Essschale und Stäbchen an der Theke sitzen. Doreen und ich, wir gesellen uns dazu; und kriegen sofort einen grünen Tee, und binnen Minuten was leckeres zu Essen serviert. Doreen Nudeln für 300 Yen, rund drei Euro. Ich einen dampfenden Eintopf im Keramiktöpfchen für 380 Yen, weniger als vier Euro. Meinen unverzichtbaren Morgenkaffee kriege ich hier nicht, aber in den allgegenwärtigen Cafés für 150 bis 250 Yen. Sag noch mal einer, Tokio wäre unbezahlbar teuer. Stimmt nicht. 

Was Tokio fehlt, ist eine imposante Skyline. Klar ziehen ein paar in den Himmel ragende Wolkenkratzer Aufmerksamkeit auf sich, vor allem im Banken- und Regierungsviertel Shinjuku. Beispielsweise genießen wir vom 43. Stockwerk des "Metropolitan Government Building" - Verwaltungsgebäude -  die kostenlose Weitsicht über den Großraum Tokio. Gute Anlaufstelle übrigens auch für Karten, Touren und Kontakte in der Infozentrale im ersten Stock. Und unweit des Sumida-Fluss sehen wir den "Sky Tree" heranwachsen: Der Turm soll nach Fertigstellung im Jahr 2012 mit über 600 Metern Höhe die meisten Bauwerke in aller Welt überragen. Im Großen und Ganzen bleiben die Architekten aber am Boden und türmen weniger hoch als in anderen Millionenstädten, die Doreen und ich während unsere Reise bisher kennen lernen durften. Vermutlich aus Angst vor dem "großen Erdbeben", das schon seit vielen Jahrzehnten vorhergesagt wird. So bleibt zwischen den Häusern mehr Entfaltungsraum für Plätze, Gärten und ruhige Momente. 

Die Hamarikyu-Gärten: klick für Video!
 Blick vom 43. Stockwerk des
"Metropolitan Government Building",
Tower Nummer Zwei.
Während unserer fünf Tage in Tokio lernen Doreen und ich viele Orte der Stille und des Friedens kennen. Den ersten gleich nach unserer Ankunft, als wir mit Hilfe einer kurzen geführten Bustour näheren Kontakt zur Stadt aufnehmen. Ein Halt bringt uns mit den Hamarikyu-Gärten zusammen: eine idyllische Anlage in Hafennähe, mit kleinen Seen und geschwungenen Holzbrücken, gepflegten Bäumen und üppigen Wiesen, einem kleinen Teehaus und einladenden Ausruh-Möglichkeiten. Jeder Kiesel wirkt wie von Hand gesetzt, jeder Baum scheint seinen persönlichen Pfleger zu haben, so einen wohlgewachsen Eindruck machen Bäume und Blätter. Ein wunderbarer Spaziergang. Als wir am Abend nach Ikebukuro zurück kehren, weicht die Ruhe einem zunehmenden Menschengewühl, das aber nie so erdrückend wirkt wie auf dem Oktoberfest. Denn statt rücksichtslos rempelnd, erleben wir die Tokioter als Menschen voller Respekt und Rücksichtnahme - und einer interessanten Vorliebe für Sex-Comics. Aber das ist ein anderes Thema. Mehr darüber in Kürze im Blog "Tokio und der Schweinkram".  

Ja mata ne, bis bald, 
Richard