Freitag, 28. Oktober 2011

Angkor Wat: Touris trampeln Mystik tot! (mit 2 Videos!)




Da bin ich also nun. Mittendrin in Südostasien, als Reisender zu Gast bei einer der ärmsten Nationen der Erde. Kambodscha. Das Land war in meinem Hirn bis vor kurzem nur mit vagen Gedankenbildern verknüpft. Keine allzu schönen Bilder, um genau zu sein: Hochwasser. Vietnamkrieg. Minenopfer. Was Hollywood und die westlichen Massenmedien eben so zum Thema machen. Dann natürlich der millionenfache Massenmord durch die Roten Khmer in den 70er-Jahren. Ich dachte, Khmer wäre nur ein anderes Wort für Terrorist. Was soll ich sagen - vor Ort sieht alles anders aus.

Die Anlagen von Angkor als Video
sehen wollen? Klick!
Erstmal wäre da mein Khmer-Irrtum. So ziemlich alle Kambodschaner bezeichnen sich selbst so, jedenfalls die, mit denen ich darüber spreche. Nicht als rot, aber als Khmer oder "Kmair", wie sie hier sagen. In der Stimme eines Khmer schwingt immer ein gewisser Stolz mit, wenn er über sich und seine Ahnen erzählt - beispielsweise von der Gründung des Khmer-Reiches namens Kambudja um das Jahr 800 herum. Von der reichhaltigen Kultur. Vom Bau der Kultstelle Angkor nahe dem heutigen Siem Reap ab 890 etwa. In Siem Reap verbringen  Doreen und ich knapp zwei Wochen. Es sind unsere letzten Tage, bevor uns ein Flugzeug nach Neuseeland trägt. 
Unfassbar filigrane
Steinmetz-Details am
Tempel "Banteay Srei".


Zum Abschluss unserer vier Monate in Südostasien wollen wir nochmal was richtig Schönes sehen und erleben. Unser klasse Gästehaus namens Motherhome Inn dient uns als Ausgangsbasis für Spaziergänge und Ausflüge. Siem Reap ist relativ kompakt strukturiert, da können wir vieles mit dem Fahrrad erkunden. Pub Street, Night Market und all die anderen asientypischen Touristenmeilen streifen wir nur kurz, sieht eh eine wie die andere aus. Wer neugierig ist, was es in Siem Reap und Drumherum so zu sehen gibt; also unglaubliche Ameisenhaufen; geschmeidige Apsara-Tänze und mehr: wir hätten da ein kleines Video vorbereitet. Einfach klicken. 

Zwischen den Anlagen
wohnen Menschen, grasen
Tiere, führen Kambodschaner
ein ganz normales Leben.
Letztlich interessiert Doreen und mich aber mehr das, weshalb sie alle letztlich nach Siem Reap kommen. Meine Güte, Angkor. Mit diesem Namen verbinde ich verlorene Kulturen. Gefährliche Schatzsuche. Große Mystik. Die Abenteuer von Indiana Jones und Lara Croft . Und jetzt bin ich hier. Wie scharf ist das denn bitte? Was Angkor betrifft, bekomme ich allerdings gleich mal mein schiefes Bild im Kopf geradegerückt. Habe damit einfach einen uralten Tempel verbunden. Groß und geheimnisvoll und von Legenden umwoben, sicher, aber letztlich nur ein Tempel. 
Tatsächlich steht der Name Angkor für eine Region, in der während der Herrschaft des alten Khmer-Königreich vor rund 1000 Jahren nicht nur eine oder zehn, sondern sage und schreibe rund 200 Kultstätten entstanden sind. Der größte Tempel, Angkor Wat, ist seit seinem Bau immer in Benutzung. Die anderen Anlagen wurden irgendwann dem Urwald überlassen, weil die Instandhaltung zu aufwändig sei. Zuviel ist halt zuviel, das gilt auch für ein Königreich.

Wir sind ausgestattet mit einem Pass, der uns Zutritt gewährt zu den inzwischen wieder zugänglich gemachten Tempeln. Hier und da weisen Plakate daraufhin, dass Teams aus aller Welt bei Restaurierung und Instandhaltung helfen. Die Schweiz kümmert sich um Banteay Srei, Deutschland um Angkor Wat, und so weiter. Jede Nation kümmert sich um sein steinernes Patenkind, sozusagen. An Tag Eins leisten wir uns einen privaten Tourguide: von So Hun erhoffen wir uns ein paar Basisinformationen. Die kriegen wir auch, allerdings auf Kosten der Konzentration. So Hun spricht viel, aber kein Deutsch und ein eher gebrochenes Englisch. Dadurch müssen wir oft nachfragen und nachhaken, in jedem Fall aber voll bei der Sache sein.

Unser Tourguide So Hun
demonstriert einen Hirschkäfer.
Als Kinder haben sie die gern
gegeneinander kämpfen
lassen, erzählt So Hun.
Doreen und ihr Lieblings-
Bauwerk Pre Rup. Wegen
des hohen Grasbewuchs
auf den Türmen nennt sie
ihn den "Plüschtempel". 
Anfangs gehen meine kleinen grauen Zellen des hohe Tempo locker mit, sie saugen alle Informationen auf. Ich lerne zum Beispiel, dass die wundervoll erhaltenen Wandreliefs im Bayon-Tempel nicht nur Könige und Kriege zeigen; viele erzählen ganz gewöhnliche Straßen-Szenen. Erstaunlich, wie wenig sich der Alltag der alten Khmer von dem unterscheidet, was ich heute tagtäglich auf den hiesigen Straßen und Märkten erlebe. Die Menschen treiben ihre Wasserbüffel durch das Reisfeld; bereiten sich im Topf aus Lavastein ein paar Nudeln zu; verbringen den Abend gemeinsam beim Reden und Kartenspielen. Gestern wie heute. 

Aber So Hun gibt ein straffes Tempo vor. Vermutlich will er das Tagesprogramm durchkriegen. Auf der Strecke bleibt der Genuss. Wir huschen für meinen Geschmack ein bisschen zu flott an vielen betrachtenswerten Stellen vorbei. Vor allem am späten Nachmittag zollt meine Aufmerksamkeit der hochstehenden Sonne und meiner Müdigkeit Tribut. Etliche Worte und Erklärungen flutschen bei mir rein und raus, wie nasse Seife durch die Hände. Wenig bliebt hängen. Ich höre Vishnu, Shiva und Brahma; Hinduismus und Buddhismus; Streit mit dem Volk der Cham- bzw. Muslim-Krieger; aber meine Wahrnehmung läuft nur noch im Notprogramm. Dabei würde ich zu gerne die erstaunlichen Unterschiede zwischen den Tempeln herausarbeiten. Manche erheben sich drei bis vier Meter über das Land, andere überragen mit ihren dreißig bis vierzig Metern die Bäume ringsherum. Einige Konstruktionen ruhen auf gemauerten Wänden, andere gleichen einem Puzzle aus gewaltigen Steinquadern. Ein paar Tempel wirken durch ihre herrlich erhaltenen bzw. aufwändig restaurieren Wandreliefs erstaunlich filigran, andere eher wie aus dem Groben gehauen.

Ta Phrom. Da ist auch Angelina
Jolie schon durchgelaufen, bei
den Dreharbeiten zu "Tomb Raider".
Die Wandreliefs erzählen vom
Leben der alten Khmer.
Ich würde mich zu gerne für eine unbestimmte Zeit irgendwo in eine ruhige Ecke des Ta-Phrom-Tempels setzen und staunen, dass Natur und Bauwerk auf so einzigartige Weise verschmelzen können. Man überlässt Ta Phrom ganz bewusst den Kräften des Waldes. So kommt es, dass über die Jahrhunderte Bäume aus dem Bauwerk herausgewachsen sind. Sie schlagen Wurzeln nach unten, über und in den Stein. Nur logisch, dass der Macher der Tomb-Raider-Verfilmung das als Kulisse genutzt hat. Mindestens genauso gern würde ich mich zwischen die riesigen Steinsäulen des Bayon-Tempels setzen. Wie haben die vor tausend Jahren so gewaltige Fratzen einmeißeln können? Und wieder überrascht mich die gut erhaltene Substanz. Als kleines persönliches Highlight für mich - und lustigerweise auch Doreen - sei unser Besuch in einem der vielen charmanten Lokale in der Pub Street notiert: das "Red Piano". Wir nagen vor uns hin, gucken uns ein bisschen um; plötzlich bleiben unsere Augen an einem Foto an der Wand hängen. Es zeigt den Wirt gemeinsam mit Angelina Jolie. Hier hat der Welt zweitattraktivste Frau also im November 2000 gespeist, während der Dreharbeiten zu "Tomb Raider". Hier hat sie ein Jahr darauf ihren kambodschanischen Adoptiv-Sohn Maddox gefunden. Von einem Moment zum anderen werden die vielen Geschichten darüber, die ich in der deutschen Regenbogen-Presse irgendwann aufgeschnappt habe, viel authentischer und greifbarer. 

Angkor Wat, hinten. Meine
Wenigkeit, vorne. 


Ach ja, und dann ist da noch Angkor Wat. Die Anlage, wegen der wir eigentlich nach Siem Reap gekommen sind. Tja, was soll ich sagen: mir ist sie zu groß, zu wenig speziell, und vor allem viel zu überlaufen. Es gibt da eine Brücke, die führt erst über einen Wassergraben, danach weiter zu einem inneren Wall und einem Eingangsportal. Davor parken dutzende Reisebusse. Gemeinsam spucken sie hunderte und tausende Touristen aus. Dazu kommen mindestens nochmal so viele aufdringliche Straßenhändler, die einem immer dieselben Armreifen und raubkopierten Angkor-Bücher andrehen wollen.
Doreen vor den Feldern
von Prasats Suor Prat.
Aber wenn ich ständig an Touristenschlangen vorbeirenne, die wie die Lemminge einem Fahnenführer hinterhertrotten, dann fühlt sich das für mich nicht mehr richtig an - dann löst sich das Geheimnisvolle und Mystische auf. Ich plaudere mit einem in Hongkong lebenden Deutscher darüber, der mit seiner Familie offenbar öfter in Siem Reap urlaubt. Er erzählt, dass sei noch gar nichts. Sei ja schließlich Nebensaison. Erst im Dezember würde das Gedränge richtig losgehen. Nein danke.

Am Abend stolpern Doreen und ich eher zufällig in ein kleines persönliches Highlight. Beim Spaziergang durch den touristischen Teil von Siem Reap; als wir in eines der vielen charmanten Lokale in der Pub Street einkehren, in das "Red Piano". Wir nagen vor uns hin, gucken uns ein bisschen um; plötzlich bleiben unsere Augen an einem Foto an der Wand hängen. Es zeigt den Wirt gemeinsam mit Angelina Jolie. Hier hat der Welt zweitattraktivste Frau also im November 2000 gespeist, während der Dreharbeiten zu "Tomb Raider". Hier hat sie ein Jahr darauf ihren kambodschanischen Adoptiv-Sohn Maddox gefunden. Von einem Moment zum anderen werden die vielen Geschichten darüber, die ich in der deutschen Regenbogen-Presse irgendwann aufgeschnappt habe, viel authentischer und greifbarer. 

Banteay Srei: Wer hier rein will,
muss geduldig anstehen.


Am zweiten und dritten Tag verzichten wir auf einen Reiseführer. Wir beschließen, dass wir auf eigene Faust losziehen und unser Tempo und unsere Ziele selbst bestimmen. Gute Entscheidung. So entdecken wir mehr als das, was alle Touristen zu sehen bekommen - selbst im Umfeld eines so stark frequentieren Touristenmagnets wie Banteay Srei, dem vielleicht besterhaltenen Tempel von ganz Angkor. Nur einen Steinwurf von der Anstehschlange entfernt stoßen wir auf einen charmanten Spazierpfad, der uns ein bisschen ins Land hinaus führt;  inklusive Aussichtspunkten über Reisfelder so weit das Auge reicht. 
Auf dem Rückweg nach Siem Reap machen wir Stopp an einem Tempel namens Pre Rup: einfach nur, weil sich Doreen bei der Vorbeifahrt spontan in die Gräser verliebt, die oben auf den Türmen wachsen. Und so klettern wir nahezu allein über weitgehend original belassene Quaderkolosse, kämpfen uns über mehrere Ebenen auf rund dreißig Meter Höhe empor. Eine überwältigende Aussicht, siehe Foto zum Einstieg dieses Blogeintrags. Für mich einer der Höhepunkte unseres Besuchs in Südostasien insgesamt. Und ein würdiger Abschluss. 




Wäre dann also bereit für neue Ziele. Neuseeland, wir kommen!
Richard 




Freitag, 21. Oktober 2011

1000 Kilometer ins Hochwasser




Wie eine Fahrt ins Ungewisse: So haben sich die letzten Tage für Doreen und mich angefühlt. Nach zwei Wochen im hübschen Luang Prabang wollten wir weiterziehen. Schließlich lockt in Asien noch ein großes Ziel, und uns bleiben bloß zwei Wochen Zeit, um es zu erreichen: Wir möchten nach Kambodscha, genauer gesagt in ein Städtchen namens Siem Reap. Das Tor zu Angkor Wat, jener geheimnisvollen Tempelanlage der alten Khmer.
Das Leben in Laos,
vom Bus aus betrachtet.
Bin ja großer Fan von Indiana Jones und Tomb Raider, und all den damit verknüpften Gefühlen von Abenteuer und Mystik. Schon allein deshalb zieht mich alles nach Siem Reap. Zuletzt schien es allerdings so, als würden aktuelle Ereignisse uns unsere Pläne aus den Händen spülen. Das hiesige Fernsehen konfrontiert uns immer häufiger mit Bildern aus Hochwasser-Gebieten in Südostasien. Was wir aus dem Norden von Thailand und aus der näheren Umgebung von Bangkok zu sehen bekommen: hm.

Mir fallen allerdings deutliche Unterschiede in der Berichterstattung auf. Thai TV zeigt eher Helfer bei der Arbeit. Wirkt auf mich wenig bedrohlich. CNN und andere westliche Sender hingegen zerren überflutete Häuser, weinende Menschen und großes Drama vor die Kamera. Kein Wunder, dass ein paar Freunde via Internet Bedenken äußern, unsere Weiterreise nach Kambodscha betreffend. Kann ich gut verstehen. Sie müssen glauben, in Südostasien sei alles Land unter. Ich glaube, dass niemand so gut auf Hochwasser vorbereitet ist wie die Menschen in Südostasien. Sie bauen Häuser auf Stelzen. Wohnen im ersten Stockwerk. Leben seit Generation mit dem Monsun. Für Doreen und mich gilt das allerdings nicht. 

Die laotische Staatsstraße N13 führt durch wundervolle
Berglandschaften.
Nun hat Siem Reap bereits seit Mitte September mit den Fluten zu kämpfen. Hab gelesen, dass einige Touristen vor Wochen per Helikopter aus den Tempelanlagen geborgen werden mussten. Eine Woge hatte die Verbindungsstraße unpassierbar gemacht. Ist das eigentlich bis nach Deutschland durchgedrungen, frage ich mich, dass einige Regionen von Kambodscha, Vietnam und Südthailand schon seit Mitte September in den Wassermassen absaufen? Habe das Gefühl, die deutschen Medien machen das Hochwasser erst zum Thema, seit die  Millionenmetropole Bangkok bedroht ist. 

Ich bitte ein paar Hiesige um ihre Meinung, und höre viel Beruhigendes. "Die Regenzeit ist dieses Jahr ärger als sonst. Aber alles kein Problem." Und was ist mit den 300 Toten, von denen sie im Fernsehen erzählen? "Einige riskieren zuviel. Warum schalten Hausbewohner den Strom nicht ab, oder fahren mit dem Motorrad durch eine Fuhrt?" Ein Satz prägt sich mir besonders ein: "Für uns ist jetzt wichtig, dass die Touristen ihre Reisen nicht stornieren. Denn wenn sie das tun, verlieren wir unsere Arbeit". Was das bedeutet, darüber habe ich letztens in der Ausgabe "Laos, Vietnam, Kambodscha" der Geo-Reise-Sonderausgabe-Nr. 5 gelesen. Dort reißt ein Artikel an, wie arme Menschen von der Hand in den Mund leben. Dass sie keine Reserven für schlechte Zeiten anlegen können. Über die Früchte ihrer Arbeit sagt eine alte Kambodschanerin: "Die Enden der Tage berühren sich. Nur reißen darf die Kette nicht". 

Ein typischer Busbahnhof in
Südostasien... 
Doreen und ich, wir tauschen ein paar Tage lang Gedanken aus; schaukeln Ideen hin und her; entscheiden uns schließlich: wir machen die Reise nach Angkor Wat. Wichtiger noch: wir wählen eine ungewöhnliche, weil total untouristische und vielleicht sogar unbequeme Reiseroute. Wir wollen ein bisschen mehr von Asien sehen, bevor wir Anfang November nach Neuseeland rüber machen. Fliegerei kommt also nicht in Frage, wir wollen die Strecke Luang Prabang nach Siem Reap via Überland-Passage zurücklegen . Blöderweise wollen uns die Reisebüros partout nur das Standardprogramm andrehen, sprich teure Flüge und/oder quälende Marathon-Busfahrten auf absurden Umwegen quer durch Laos. Also planen wir selbst. Ich wälze Karten und bin mir sicher, dass ich eine direkte und interessante Route gefunden habe. Wir entscheiden uns bewusst gegen allzu strikte Planung; stecken Weg und Zeitrahmen nur grob ab; wollen den Rest on the fly erledigen. Also just in time sozusagen. Halt auf dem Weg. 

Die Struktur von Laos Hauptstadt
Vientiane erinnert an die von Paris. 
Drei bis fünf Tage sollte die 1000-Kilometer-Passage in Anspruch nehmen. Erste Etappe: Mit dem Bus von Luang Prabang ab durch die Berge, rüber über zwei Pässe in den Süden. Im Reiseführer heißt´s, man solle eine Brechtüte parat haben, wegen der vielen Kurven. Für uns fühlt sich die Fahrt anders an. Doreen und ich, wir genießen unsere Reiselust und die Aussicht. Die Staatsstraße N13 windet sich durch grüne Landschaften, vorbei an schroffem Karstgebirge und an Dörfern, wo seit hunderten von Jahren die Zeit stillzustehen scheint. Kinder spielen zwischen Hütten, mit Wänden aus Bambus und Dächern aus Bananenblättern. Nicht alles immer schön und sauber und so. Aber authentisch. Nur die asphaltierte Straße dient als Zeuge der Moderne. An manchen Stellen jedenfalls. Oft zeigt sich das Wirken der Natur durch Schlaglöcher und Steinschlag und Erdrutsche.
Szene aus Vientiane: Herrenrunde
beim Dame-Spiel. 
Nach etlichen Pausen und elf Stunden Fahrt erreichen wir Vientiane, die Hauptstadt von Laos. Bis vor kurzem habe ich diesen Namen noch nie gehört.

Wir verbringen hier zwei Nächte, und dazwischen einen kompletten Tag. Außer einer kleinen Promenade entlang des Mekong, ein paar hübschen Häusern und enorm viel Französisch-Flair aus alten Kolonialtagen hat die Stadt wenig zu bieten, was wir nicht schon aus Luang Prabang kennen. Aber wir saugen den Tag in uns auf, spazieren, besuchen den "Jour Culinaire" an einer frankophilen Schule, und erklimmen das "Patuxay": ein Bauwerk, das dem Triumpfbogen in Paris nachgeahmt sein will. 



In Nakhon Ratchasima haben wir
Glück mit der Unterkunft: zum
Zimmer gehört ein Balkon,
von dem aus wir das Treiben auf
der Straße beobachten können.
Am nächsten Morgen - dritter Tag -  lerne ich am Busbahnhof, dass wir heute mit einer Busfahrt fast 400 Kilometer in Richtung Süden schaffen können - viel weiter als gedacht. Schaukelnd und scheppernd trägt uns der "Lao-Thai International Bus" aus Laos hinaus, über die Grenze bis weit nach Thailand. Tagesziel: Nakhon Ratchasima. Noch so ein Ort, der in meinem Denken bisher keinerlei Spuren hinterlassen hat. Beherbergt laut Reiseführer aber zwei Millionen Einwohner, was ihn zu Thailands zweitgrößter Stadt macht. Schon auf dem Weg dahin reibe ich mir die Augen. Denn dieses Thailand - der Osten, auch Isan genannt - strahlt ein ganz anderes Flair aus als alles, was wir bisher in diesem Teil der Welt gesehen haben. Ich beobachte flaches Land, durch Landwirtschaft geprägte Ebenen, eindrucksvolle Industrie, gemauerte Häuser, getunte Autos. Wohlstand statt Armut, in Hessen oder Niedersachsen sähe es kaum anders aus.
Nahrungsaufnahme auf
Isan-Art: Eigentlich müssten
die Nudeln rot glühen,
so scharf sind sie. 
Wir begegnen weder einer Flutwelle, noch versinken wir im Schlick. Außer ein paar Sandsäcken am Straßenrand, und einer Handvoll paar übrig gebliebener Tümpel in der Nähe mancher Flüße entdecke ich während der Fahrt nichts, was auf ein böses Natur-Schauspiel hindeuten würde.

Als wir am späten Nachmittag in Nakhon Ratchasima ankommen, erwartet uns die nächste Überraschung: kaum ein Schild ist englisch beschriftet, kein einziger Tourist lässt sich blicken. 

Wir sind allein unter den Asiaten, und fühlen uns verflixt wohl dabei. Ich genieße es, dass ich mich mal wieder in einer mir vertrauten Mittelstands-Umgebung bewege; dass mich keine Armut umgibt und mir in´s Gewissen zwickt. Seit vielen Wochen scheint dies der erste Ort zu sein, der ganz gut auf sich selbst aufpassen kann. Doreen sagt einen sehr schönen, passenden Satz: "Gut zu sehen, dass die Thailänder uns Touristen gar nicht brauchen". Vielleicht grad deswegen geben sich die Menschen hier alle offen, neugierig, unaufdringlich und freundlich, ohne irgendwas dafür zu erwarten. Wir bummeln abends ein bisschen um die Ecken, und versuchen uns in einer Garküche an einem Gericht aus der hiesigen Isan-Küche: Nudeln "Pad mee korath". Meine Zunge fühlt sich an, als hätte jemand Chilischoten auf Schleifpapier über meine Zunge gezogen. Trotzdem, lecker! Wir lassen den Abend ausklingeln, beobachten vom Balkon unserer hübschen Bleibe namens  "Sansabai House" aus das emsige Treiben unten auf der Straße, die Autos und Motorroller und Händler und Menschen auf dem Bürgersteig. Mann. Was wäre das schade, wenn wir all das einfach überflogen und verpasst hätten!

So sehen Reisfelder aus, wenn
kein Hochwasser steht.


Der Morgen des vierten Tages lässt sich gut an. Ein Tuktuk tuckert uns zum Busbahnhof. Wo wir, wie erwähnt, kaum ein Schild lesen können. Mit rudimentärem Englisch und großartiger Gestik einiger Thais finden wir dennoch den Bus, den wir brauchen. Er soll uns direkt an die Grenze von Kambodscha tragen. Ist sogar ein ausgesprochen hübsches Vehikel, sehr gepflegt und mit genug Platz, dass ich die Beine ausstrecken kann. Jetzt bitte keine Lästereien wegen meiner Körpergröße von 1,74 Metern: nein, tatsächlich muss sogar ich in den hiesigen Bussen meistens die Knie anwinkeln. Sei´s drum: Am frühen Nachmittag erreichen wir den betulichen Ort Aranya Prathet an der Grenze Thailand-Kambodscha. 
Wenn doch, machen die
Kambodschaner das Beste draus.
Von dort nach Siem Reap? Ein Katzensprung, verbunden mit nur kleineren Schwierigkeiten. Schwamm über den Versuch, uns mit gefälschten Visa Geld aus der Tasche zu ziehen; und über die gaunerische Busfahrt, die sich verflixt nach Kaffeefahrt anfühlt. Andere haben größere Sorgen. Vom Bus aus sehen ich etliche Felder unter Wasser stehen. Diese Reisernte können manche Bauern wohl abschreiben - immerhin hat die Regierung bereits Ersatz versprochen, erzählt ein Einheimischer. Bei Ankunft in Siem Reap gießt es, einige Straßen gleichen abschnittweise eher Fuhrten. Am folgenden Tag sind die Straßen morgens frei; nach einem Anfall von Monsun nachmittags versunken; abends wieder frei. Erstaunlich, mit wie viel Gelassenheit die Menschen hier das Wechselbad zu nehmen scheinen.  

In Siem Reap sind einige Straßen
zeitweise geflutet. Fortbewegung
ist trotzdem möglich. Man
kriegt halt nasse Füße.

Doreen und ich, wir haben ebenfalls allen Grund zu Gelassenheit. Wir kommen am Ende sicher in Siem Reap an; beziehen eine Bleibe im ungefährdeten Teil der Stadt; und freuen uns auf Angkor Wat. Unsere Reise ins Ungewisse hat sich gelohnt, finanziell und ideell, oder wie immer man es betrachten mag. Die Reisenkosten summieren sich auf rund 70 Euro. Der Flug hätte uns viermal so viel gekostet, und sich vermutlich ähnlich fad angefühlt wie ein Hoppser von München nach Hamburg. Bin rundum glücklich, dass wir unsere Bedenken - um nicht zu sagen: Ängste - niedergekämpft und uns was getraut haben. Wir sind belohnt worden mit vier interessanten Tagen und einem großen Gewinn an Erfahrung.








Gruß von vorm Patuxay in Vientiane, 
Richard 


Samstag, 15. Oktober 2011

Oh diese Farben: Lichtfest in Luang Prabang (mit Video!)






Also wenn die Laoten feiern, dann fühlt sich das an wie Karneval und Silvester an einem Tag. An diesem Abend versammeln sich tausende Menschen aus Luang Prabang, dazu etliche hundert Touristen in der Hauptstraße beim Markt. Doreen und ich, wir sind mittendrin.
Ein Feuerspucker zeigt
vollen Einsatz.
 Gemeinsam mit den anderen betrachten wir mit glänzenden Augen das, was sich vor unser aller Augen abspielt: "Boun Ok Phansa", so nennen die Laoten hier in Luang Prabang eines ihrer größten Feste. Boun Ok Phansa verteilt sich auf zwei Tage, und beginnt mit dem Morgen der ersten Vollmondnacht im Oktober. Dieser erste Tag ist eher durch religiöse Zeremonien geprägt, siehe letzter Blogeintrag. Den zweiten Tag nennen die Hiesigen "Lei Nüa Fei" oder so ähnlich. Das heißt soviel wie "Bootfest". Andere Quellen sagen auch "Lichtfest" dazu. Egal, beides passt. Auf jeden Fall feiert das Volk. Wer wissen will, wie das in Bewegung ausschaut: Doreen und ich, wir hätten da  eine kleine Videocollage  vorbereitet. Einfach klicken.   

Eines der Boote auf dem Weg
zum Mekong.



 Das irgendwas Besonderes in der Luft liegt, das merke ich seit einigen Tagen. Die Menschen schmücken die Vordächer ihrer Hütten mit bunten Lampions und hängen bunte Sterne an die Bäume. Neulich sehe ich ein paar Leute vor einer Tempelmauer stehen. Sie bestaunen ein facettenreich schimmerndes Falt-Flugzeug aus Transparenzpapier, das einer der Mönche dort an den Ast eines alten Baumes hängt. In allen Straßen der Stadt hörst du ein fleißiges sägen, bohren und hämmern. 
Die Mönche betrachten das
Treiben auf der Straße von
ihren Tempeln aus. 

Aus Bambusrohren, Bananenblättern und Kerzen entstehen überall Boote und Schifferl. Einige sind nur Attrape, ein Zierrat für den Garten, so wie manche bei uns  sich einen Gartenzwerg in den Rasen stellen. Andere sind bis zu vier oder fünf Meter lang; scheinbar schwimmfähig und einem höheren Zweck vorbehalten. Welchem?

  

Am späten Abend treiben hunderte
kleine Boote mit Kerzen und
Räucherstäbchen über den Mekong.



 Naja, am zweiten Abend nach dem Oktober-Vollmond schieben die Menschen die größeren Boots-Exemplare auf Anhängern durch die Straße. Was für prächtige Kunstwerke sind darunter! 
Voller Farben und Kerzen, umringt von ausgelassenen Laoten. So ein Boot, das kommt mir vor wie einer dieser aufwändig aufgebauten Wagen beim Kölner Karnevals-Umzug. Da steckt der ganze Stolz, und das ganze Können ihrer Erbauer drin. Das wird von Tänzern und Trommlern und Feuerwerk begleitet. Mädchen in wundervollen asiatischen Trachten lächeln dazu; aufgeputschte Trommler hauen auf leere Farbeimer ein;  kleine Kinder springen und zünden Böller. Also, bei mir schindet das richtig Eindruck. So viele Farben, so viel Leben, so viel Asienexotik auf einem Fleck: ich bin dankbar, das ich das erleben darf!  Mich begeistert der Einfallsreichtum der Leute, der mitreißenden Musik, die ganze Atmosphäre drumherum. 

Der Wat Xiengthong: Hier treffen
sich alle Menschen und brechen
gemeinsam zum Mekong auf.




Noch mehr mag ich aber die eher kleinen, feinen Momente. Beispielsweise wenn einige Menschen am Straßenrand wundervolle Heißluft-Lampions in den Himmel steigen lassen. 
Diese kleinen Lampions
schweben tatsächlich.
Sieht wunderschön aus.
Die Lampions sind aus Reispapier gemacht, fast so groß wie Benzinfass, aber filigran und federleicht wie ein Kolibri. Mit einem kleinen Ölfeuer als darunter aufgehängte Hitzequelle flackern sie rot und gelb, steigen hoch und höher, sind irgendwann kaum  von den Sternen zu unterscheiden. Das sowas einfach Gebautes so hoch schweben kann! Inzwischen bewegen sich die Boote und ihre Erbauer unverdrossen dem Etappenziel entgegen: nach Osten in Richtung Wat Xiengthong, zur größten und bedeutendsten Tempelanlage von Luang Prabang. Liegt nicht weit weg von der Mündung des Nam-Khan-Fluß in den größeren Mekong. 
 Hier treffen sich alle wieder. Die Bootsbauer schultern ihre Werke; und brechen in Begleitung der jolenden Menge in Richtung Mekong auf. Dort werden die Boote ausgesetzt. Sie sollen den Strom hinabtreiben und dabei die Sorgen der Menschen mit sich nehmen, so sagen am Mekong lebenden Menschen. 


Doreen mit unserem
kleinen Mekong-
Sorgen-weg-Floß. 


 Die einzige, nahegelegene Treppe runter zum Fluß misst vielleicht 20 Meter in der Breite. Es herrscht ein riesiges Gedränge, aber kein Schubsen und Drängeln. Hatte ich erwähnt, dass die Feier fast ganz ohne Trinkexzesse, Betrunkene und Alkoholleichen auskommt? Einzig vor den Böllern haben Doreen und ich Respekt; versuchen sie zu umtanzen. Denn einige davon sind echt heftig, ich spüre nach der Explosion deutlich die Luftdruckveränderung am Körper. Aber das nur nebenbei. Jedenfalls, jeder will runter zum Wasser und dort das Farbenspiel auf der Oberfläche des Mekong genießen. Die meisten möchten außerdem ihre eigenen Sorgen wassern - denn an diesem Abend lerne ich noch einen weiteren laotischen Brauch kennen: Fast jeder in unserer Nähe trägt ein winzig kleines, vielleicht handtellergroßes Schiffchen oder Flößchen auf Händen. Manche sind aus Bananenblättern oder Papier geflochten, bei anderen sind schöne Girlanden um einen Styroporkern geschlungen. All das ist geschmückt mit Blumen, Zeichnungen, Kerzen oder Räucherstäbchen. Gibt´s am Straßenrand zu kaufen. Doreen und ich, wir haben uns auch eines besorgt. Das setzen wir in den Mekong; laden ihm unsere Sorgen auf; und lassen es ziehen. Ob wir uns damit ein bisschen ein größeres Stück vom Glück sichern? 


Schön wär´s schon, 
Richard


P.S.: Laotisches Detail am Rande: Wenn du dich in Luang Prabang festfein machst und deshalb zum Friseur gehst, zeigt der Schermeister dir am Ende nicht deinen Hinterkopf im Kosmetikspiegel; sondern die Schweinereien aus Deinem Gehörgang. Ohrreinigung innen und außen ist hier inklusive.  

Freitag, 14. Oktober 2011

Laos und das große Fress-Fest





Um fünf Uhr morgens aus den Federn quälen, noch bevor die Sonne aufgeht und der erste Hahn seinen Weckversuch startet: Was man nicht alles tut, um die laotischen Menschen ein bisschen besser begreifen zu können. Heute beginnt ein wichtiger Tag für die Buddhisten hier in Luang Prabang, will sagen für fast alle Laoten. Es ist der Morgen der ersten Vollmond-Nacht im Oktober. Ein Tag, für laotische Buddhisten ungefähr so bedeutend wie das  "O´zapft is!"  für´s Münchner Oktoberfest. Er markiert "Boun Ok Phansa", eines der größten buddhistischen Feste in Laos. Mit Boun Ok Phansa feiern die Hiesigen das Ende der Regenzeit. Endlich verziehen sich die Wolken, die monatelang den Himmel verdunkelt haben. Wer in den kommenden Wochen heiratet, so heißt es, dem steht ein glückliches Leben bevor. Auch in den Tempeln und Klöstern beginnt sich Leben zu regen. Die Mönche beenden eine Phase kollektiven Fastens und Meditierens. Am Morgen des Boun Ok Phansa, so besagt es die Tradition, verlassen sie ihre Klöster und nehmen wieder teil am Treiben auf der Straße. So jedenfalls lesen sich die romantisierten Beschreibungen des Boun-Ok-Phansa-Festes, zum Beispiel auf dieser Webseite hier.


 Im wahren Leben stellen sich die Dinge ein bisschen anders dar. Ende der Regenzeit? Längst eingeleitet. Hier in Laos haben wir in zwei Wochen keinen Regentropfen abbekommen, und sehen nur noch ein paar letzte Cumulus-Wölkchen über den Horizont klettern. Wir sind froh um jede einzelne davon, wenn sie das beißende Licht der Sonne mildert. Außerdem, von wegen, "Mönche nehmen wieder am Leben teil". In Thailand und Laos sehe ich die Orangebekleideten schon seit Wochen überall herum spazieren, Boun Ok Phansa hin, Zeit zur Meditation her. Sei´s drum. Den romantischen Anstrich der Geschichte, den mag ich. Und so stehen Doreen und ich also um fünf Uhr dreißig morgens an der Marktstraße im Zentrum von Luang Prabang stramm. Wir beobachten die Menschen, wie sie Bodenmatten auf dem Asphalt ausbreiten. Sie legen Äpfel, Bananen, Vasen voller Schokoriegel und Schalen mit "Sticky Rice" darauf aus - einer klebrigen Reisvariante, hierzulande das meistgegessene Gericht. 
Prozession der Mönche: Luang
Prabang gilt als kulturelles
und religiöses Zentrum von Laos.
Hab ein paar Stadtszenen
 in einem Video zusammen
 gefügt. Einfach klicken! 
Ich hab auch zwei Tütchen mit Reisgaben dabei. Hab Doreen dazu gedrängt, dass sie sie einer fliegenden Marktfrau abkauft. Für 20.000 Kipp, rund zwei Euro. Viel zu viel für das bisschen Zeug, ein kleines Vermögen für hiesige Verhältnisse. Davon könnte sich ein Laot drei Abende lang sattessen, oder eine Woche Unterricht in einer Englischschule bekommen. Doreen ist deshalb ein bisschen grantig auf mich. Ich ärgere mich doch selbst. Weil ich mich habe drängen lassen. Weil ich schlecht vorbereitet bin. Weil das Geld an anderer Stelle besser aufgehoben gewesen wäre. Weil die Stimmung leidet. Darüber sinnieren macht´s aber nicht besser. Also Schwamm drüber. 


 Eine Frau winkt mich mit einer Geste an. Sie deutet mit dem Schwung ihrer Hand an, ich könne mich auf den Teppich setzen, den sie gerade auf der Straße auslegt. Nett, danke dafür! Und dann warten wir. Warten auf die Prozession der Mönche. Traditionelle Tempelmusik dringt überall in der Stadt aus ein paar versprengten Megaphonen. Das monotone Miteinander aus hellen Glöckchen und sich wiederholenden Gesängen wirkt auf mich besonders, als läge etwas in der Luft. Die Spannung steigt, als gegen 6 Uhr die Lautstärke der Musik zunimmt. Die Sonne hat ihre Wanderung über den Horizont gerade begonnen. Offenbar ein Aufbruchsignal. Die Mönche aus dem nahen Wat Mai pilgern los. Eine Prozession von vielleicht dreißig Jungs und Männern. Barfuß, mit nichts am Leib außer safranfarbenen Kutten und einer Schale aus Messing am Schulterband baumelnd. So wandern sie an uns vorbei. Der Zug hält nur dann kurz inne, wenn einer der Menschen am Straßenrand eine Opfergabe in einen der Messingbehälter legt. 
Doreen vor dem bunt
geschmückten Tor
zum Wat-Hosian-Tempel. 
Andere Menschen, offenbar Ärmere und vor allem Kinder, halten den Mönchen wiederum leere Körbchen hin. Ich beobachte, wie einige Mönche in ihre Töpfe greifen, etwas herausnehmen und es den Leuten in die Körbchen legen. Aha. Ich bin Zeuge einer Umverteilung. Die Reichen geben den Armen, die Mönche machen den Mittelsmann, live und in Farbe direkt vor mir. 


Ich habe ein bisschen Skrupel, an alldem teilzunehmen, so als Nichtbuddhist und Nichteinheimischer. Außerdem lauern da noch meine Hygiene-Bedenken. Ich hätte jedenfalls wenig Freude an Reisbällchen, die schon durch wer-weiß-wieviele-und-wie-dreckige Hände gegangen sind. Aber was ich bisher von Ortskundigen gehört und gelesen habe, sind Buddhisten im allgemeinen und Laoten im speziellen ein offenes und neugieriges Völkchen. Also greife ich mit einer Hand in die Plastiktüte mit meinem Sticky Reis - die hiesigen schälen den ihren aus hübschen Flechtkörbchen, Neid! -, zupfe mit den Fingern ein etwas faustgroßes Bällchen ab, und lege es dem erstbesten Mönch in seinen Topf. Mein Mut wird belohnt mit einem freundlichen und ermutigenden Lächeln. Danke Dir, unbekannter Mönch!  

Nach etwa einer Stunde brechen Doreen und ich unsere Zelte ab. Ich spüre einen Hauch von Enttäuschung in mir keimen. Doreen wohl auch. Wir hatten laut Schilderungen in diversen Reiseführern und Ortsbeschreibungen ein eindrücklicheres Schauspiel erwartet. Ein volleres Straßenbild, safranfarben, gemalt aus hunderten und tausenden Mönchen überall. Tatsächlich sind vielleicht 40 oder 50 der Erleuchtung Entgegenstrebende an uns vorüber gepilgert, nicht mehr. Eine Kollekte dieser Größenordnung kannst du in Luang Prabang jeden Morgen beobachten. 
Den Rückweg möchte ich deshalb über das Gelände des Wat Hosian gehen; und sehen, ob sich da vielleicht etwas tut, was meine Seele streichelt. Und das tut es. Hier strömen die Menschen zusammen. Dutzende Familien tragen Körbe und Tabletts in den Tempel, im Inneren stapeln sich Suppenschalen, Teller voller Fleisch und Gemüse, Obst und Brot vor staunenden Buddha-Statuen. Mir fällt viel liebenswertes im Detail auf. Zum Beispiel hat jemand an die Drachenwächter-Statuen vor den Eingängen zum Tempel gedacht, und ihnen Reisbällchen in den weit offenstehenden Rachen gelegt. Auch die goldfarben bepinselte Buddhastatue draußen ist bestens versorgt, hat Schokoriegel und Bananen in die Hand gelegt bekommen.  

Damit ist sie bestens versorgt für das, was am zweiten Tag des Boun Ok Phansa folgt: das Lichtfest. Ein irres Fest. Mehr darüber (und ein total buntes Video!) sehr bald im nächsten Blog. Vielleicht schon morgen!   

Gruß auch vom Herrn in Gold, 
Richard

P.S.: 
Noch ein paar aktuelle Worte zwecks Hochwasser in Thailand und weil inzwischen doch ein paar Leute nachfragen, ob wir das am eigenen Leib spüren. In Chiang Mai haben Doreen und ich in den letzten beiden Tagen einmal nasse Füsse bekommen, weil einige Straßen in Flußnähe unter Wasser standen. Die Menschen dort waren aber gut vorbereitet. Unsere Weiterreise nach Laos lief problemlos, und ansonsten kriegen wir vom Hochwasser rein gar nichts mit. Der Regen hat schon vor Wochen nachgelassen, er ist meines Wissens auch nicht der Grund für das Hochwasser. Vielmehr war wohl der Monsun in diesem Jahr insgesamt sehr nachhaltig. Die Stauseen in den Bergregionen sind überlastet und werden in die Flüsse abgelassen. Sonst würden Dämme bersten, und das wäre deutlich katastrophaler, als die Situation für einige Regionen offenbar sowieso schon ist.

Sonntag, 9. Oktober 2011

Zwei Tage Mekong (mit Video!)

Der Mekong in seiner ganzen Schönheit.
Wer bewegte Bilder sehen mag: ich hab
die Videokamera rausgehalten. Bitte klicken!





Den Namen "Mekong" habe ich bis vor kurzem mit einer Doppeldosis Exotik verbunden. Ein Strom mitten durch den dichten Dschungel. Asien. Bürgerkrieg. Leidende Menschen. Mutige Einzelkämpfer, die das Böse niedermähen. Die Bilder eben, die Nachrichten- und Unterhaltungs-Medien in westlichen Breiten streuen. Ganz ohne Grundlage sind die Bilder ja offenbar nicht. Mein Vater hat mir in einer Email geschrieben, der Mekong sei in den Siebzigern fast täglich in den Medien zu sehen gewesen, während des Vietnamkrieg. Tja, und jetzt bin ich hier, an Bord eines "Slowboat". Der einfachste nur denkbare Kahn. Rumpf aus Eisen, offener Aufbau aus schwerem Holz. 
Und los geht´s: Einsteigen für
zwei Tage Slowboat-Fahren
auf dem Mekong.
Offene Fensterrahmen gestatten einen freien Blick auf die Umgebung. Hinten stampft ein Isuzu-V8-Diesel vor sich hin. Wahrscheinlich aus einem Schrott-LKW gerupft. Die fast direkt an die Kurbelwelle angeflanschte Schiffschraube sorgt für gemächlichen Vortrieb. Gemeinsam mit Doreen und vielleicht 60 bis 70 anderen Passagieren treibe ich den Mekong runter. 
Große Freude: Das Boot bietet genug
Stauraum auch für großes Gepäck.
Unsere Passage führt von Chiang Mai in Thailand aus nach Luang Prabang in Laos. Drei Tage dauert die Reise insgesamt. Von den rund 320 Kilometern Wegstrecke legen wir die erste Hälfte mit einem kleinen Bus zurück, den Rest soll uns der Mekong tragen. Wir haben uns bewusst gegen schnellere Alternativen entschieden. Beim Flug würden wir nichts von der Umgebung sehen, und auf Busfahren haben wir keine Lust. Der erste Tag? Unspektakulär. Ein kleiner Minivan klaubt Doreen und mich vor unserer Bleibe in Chiang Mai auf. Wir entern den Nissan, verlassen die Stadt und genießen die - nur von gelegentlichen Pausen unterbrochene - Fahrt durch entlegenes Hinterland. Am frühen Abend ist das Etappen-Ziel des Tages erreicht: Chiang Khong, hoch oben im Norden von Thailand. Von der Terrasse unseres einfachen Gästehauses gucken wir auf den Mekong. Auf der anderen Uferseite schälen sich ein paar Häuser und Palmen aus dem Abendlicht: Laos. 

Wir kreuzen stundenlang an
unberührter Natur vorbei...
Zwischenstop in Pak Beng:
Kinder beim Fußballspiel.


Am nächsten Morgen bringt uns der freundliche Hauswirt mit seinem Pickup zur Pier: Doreen und ich setzen mit einem kleinen Boot über, wir sind in Laos. Der Grenzübertritt läuft unproblematisch, danach wird´s etwas abenteuerlich. Ein  laotischer "Guide" sammelt uns und weitere Reisende ein und treibt uns in sein Büro. Dort schildert er in der ganzen Breite seines englischen Wortschatz, welche Gauner, Gepäckdiebe und andere Gefahren in Laos lauern würden. Und wie vortrefflich es sei, dass er sich um uns kümmert, denn jetzt könne uns nichts mehr passieren. Er möchte nur noch alle unsere Reisepässe sammeln, damit er die Namen mit den Anmeldungen für das Bootticket abgleichen kann. 
Slowboats:  Touri-Transporter und
 Zuhause für laotische Familien.
Einer der Passagiere hat einen
kleinen weiteren Passagier dabei.
Nunja, so richtig Lust macht das alles zwar nicht. Aber Doreen und ich, wir sind nach fast zehn Monaten Weltreise halbwegs abgeklärt in Sachen Sprüchemacher. Wir nehmen es wie es kommt, und tun aber auch was dafür, dass uns eben möglichst niemand blöd kommt. Andere aus unserer Gruppe sollten weniger Glück haben. Einer muss im Lauf der Reise wegen Visaüberziehung 300 Euro Strafe zahlen; ein anderer lässt sich beim Kauf von Gras erwischen; zwei Mädchen aus der Schweiz werden um ihre vorab bezahlte Unterkunft betrogen, weil sie keine Quittung vorlegen können. Doreen und ich und die meisten Passagiere, wir bleiben verschont und können die Fahrt über den Mekong rundum genießen. 

Nur ab und zu kommt mal ein
anderes Boot in Sicht.
Nach ein paar Stunden hatten
die Engländer dann auch mal
genug vom feiern...


Dass fällt uns etwas leichter als anderen. Immerhin haben wir einen Sitzplatz. Dieses Privileg genießen außer uns noch ein paar andere Touristen, dafür aber alle laotischen Passagiere. Die Hiesigen wissen offenbar, dass es auf diesen Booten zu wenig Sitzreihen für zu viele Passagiere gibt. Sind wohl schon zum ersten Hahnenkrähen an Bord geklettert. Rund 10 Touristen kreuzen dagegen erst kurz vor Auslaufen auf, und nehmen zwangsläufig auf dem Teppich am Boden Platz. Interessanterweise alles Engländer. Ich denke kurz an meinen alten Job. Wenn ich da zu Pressekonferenzen eingeladen wurde: Da waren es auch oft Engländer, die als letztes zu ihrem Platz finden; danach in die Bar dafür umso schneller. Genau dasselbe bei uns an Bord. Die englische Gruppe bringt es richtig hart. Bauen Laptops auf, hängen Aktivboxen mit irgendeiner Dancefloor-Mucke dran. Jeder einzelne legt iPhone und irgendeine Nikon-Spiegelreflex gut sichbar auf den Boden; dazwischen mehren sich leere Whisky-, Cola- und Bierflaschen. Bald sieht´s aus wie bei Charlie Sheen nach seinem Rauswurf bei "Two and a half Men". 



Die versaufen hier in ein paar Stunden mehr Geld, als ein Laote im Schnitt im Monat verdient: 150 Euro. Dass einige der Asiaten an Bord ihre anerzogene Zurückhaltung aufgeben und sich einen grimmigen Gesichts-Ausdruck leisten, wundert mich kein bisschen. Das Boot ist aber gottlob groß genug. Ich kann dem Elend aus dem Weg gehen, mir die Beine vertreten und mit anderen Weltenbummlern in Kontakt kommen. Mit Andrea aus Sao Paulo, die nach vielen Jahren im hektischen London jetzt in Laos zur inneren Ruhe finden mag. Oder mit Philipp aus München. Er möchte nach bestandenem Abi drei Monate lang Asien erleben, bevor er sich dem Studium widmet und danach womöglich sesshaft wird. Ist schon ein bunter Menschenhaufen. Überraschend viele junge Alleinreisende, ein paar Pärchen, ein paar etwas ältere Herrschaften. 


Bei meiner Erkundung entdecke ich ganz hinten im Boot einen kleinen Ausguck - im Privatbereich? Zwischen Matratze, Kochflamme und ein paar Klamotten an der Wäscheleine bleibt genug Platz, dass ich den Blick schweifen lassen kann. Der Mekong ist wenig befahren. Unser Boot hält meistens eine Fahrrinne in der Flußmitte. Ab und zu ändert es den Kurs, weicht den ungezähmten Stellen des Mekong aus. Ein paar Stromschnellen und Strudel flößen mir Respekt ein. Ganz selten zischt eines dieser zerbrechlichen Schnellboote vorbei. Sehen aus wie Jetski aus Holz. Ein bis zwei Passagiere hocken dort auf schmalen Bänken, so verkrampft wie nach drei Tagen Darmverstopfung. Wie scheisse muss sich das anfühlen, zusammen mit der Wackelei, der Nässe und der Hitze unter dem Vollvisierhelm. 

Zwischenstopp an einem der
  der wenigen Dörfer.
Ein paar Kinder aus dem Dorf
entern das Boot...
...wollen uns Coke,
Bier und Obst verkaufen.
Großes Gefeilsche!


Die braune Färbung des Wassers wurde mir mit dem Monsun erklärt. Der Regen spült Erde in den Fluß, daher. Der Himmel bildet einen starken Kontrast dazu. An manchen Stellen strahlen mir hellblaue Flächen entgegen, in anderen Richtungen unterstreichen dramatische Wolkenformationen die Wildheit der Landschaft. An den Ufern des Mekong knospen Hügel, voll von Palmen, Büschen und Laubbäumen. Unberührte Natur. Nur selten zeigt sich menschliches Wirken. Nämlich dann, wenn Reisfelder und ein paar auf Stelzen stehende Hütten Farbflecke in die sattgrüne Fauna stanzen. Sobald eines der wenigen Dörfer in Sicht kommt, lässt das Stampfen des V8-Diesel etwas nach. Das Boot dreht bei, steuert das Ufer an und kommt seinen weiteren Funktionen nach. Es transportiert nicht nur Touristen von A nach B, sondern auch Einheimische, Gepäck, Waren, Post. 
Einen Steg gibt´s fast nie. Der Kapitän lässt das Boot auf Sand laufen. Scheint der Tageshöhepunkt für die Dorfbewohner zu sein. In beinahe jedem Fenster der paar Strohhütten sind neugierige Augenpaare zu sehen. Ein paar Menschen rennen ans Ufer, winken uns später zum Abschied. Und immer wieder die Kinder, überall. Laos ist voller Kinderlachen. 
Unser Ziel: Luang Prabang 
Ich hab neulich Fernsehen geschaut. Einen deutschen Sender namens DW-TV, der via Satellit in alle Welt verbreitet wird. Da meinte Oskar Lafontaine, die Stimmung in Deutschland leide unter der Kinderarmut. In Frankreich gäbe es doppelt so viele Kinder, und das sei spürbar. Ich mag ja viele seiner Thesen nicht, aber damit hat er recht.

Am dritten Tag erreichen wir frühabends unser Ziel: Luang Prabang, die laut Lonely-Planet-Reiseführer romantischste Ecke von Südostasien. Eine Stadt, wie es sie in der industrialisierten Welt nicht mehr gibt. Ohne McDonalds, Einkaufszentrum oder auch nur einen Supermarkt. Ein bezauberndes Shangri-La, dessen Charme sich aus viel Grün, freundlichen Menschen und alten Kolonialhäusern aus französischen Zeiten addiert. Plus die Lage: Ausläufer des Himalaya-Gebirges sorgen für eine sehenswerte Umrahmung. Viel Zeit zum Kennenlernen der Stadt bleibt uns allerdings nicht. Wir sind vor allem hier, weil Doreen zwei Wochen lang freiwillig im "Mekong English Centre" arbeiten und den Lehrern beim Englisch-Unterricht assistieren möchte.  

Bin gespannt auf die Erfahrungen, die sie dabei sammelt, 
Richard