Freitag, 21. Oktober 2011

1000 Kilometer ins Hochwasser




Wie eine Fahrt ins Ungewisse: So haben sich die letzten Tage für Doreen und mich angefühlt. Nach zwei Wochen im hübschen Luang Prabang wollten wir weiterziehen. Schließlich lockt in Asien noch ein großes Ziel, und uns bleiben bloß zwei Wochen Zeit, um es zu erreichen: Wir möchten nach Kambodscha, genauer gesagt in ein Städtchen namens Siem Reap. Das Tor zu Angkor Wat, jener geheimnisvollen Tempelanlage der alten Khmer.
Das Leben in Laos,
vom Bus aus betrachtet.
Bin ja großer Fan von Indiana Jones und Tomb Raider, und all den damit verknüpften Gefühlen von Abenteuer und Mystik. Schon allein deshalb zieht mich alles nach Siem Reap. Zuletzt schien es allerdings so, als würden aktuelle Ereignisse uns unsere Pläne aus den Händen spülen. Das hiesige Fernsehen konfrontiert uns immer häufiger mit Bildern aus Hochwasser-Gebieten in Südostasien. Was wir aus dem Norden von Thailand und aus der näheren Umgebung von Bangkok zu sehen bekommen: hm.

Mir fallen allerdings deutliche Unterschiede in der Berichterstattung auf. Thai TV zeigt eher Helfer bei der Arbeit. Wirkt auf mich wenig bedrohlich. CNN und andere westliche Sender hingegen zerren überflutete Häuser, weinende Menschen und großes Drama vor die Kamera. Kein Wunder, dass ein paar Freunde via Internet Bedenken äußern, unsere Weiterreise nach Kambodscha betreffend. Kann ich gut verstehen. Sie müssen glauben, in Südostasien sei alles Land unter. Ich glaube, dass niemand so gut auf Hochwasser vorbereitet ist wie die Menschen in Südostasien. Sie bauen Häuser auf Stelzen. Wohnen im ersten Stockwerk. Leben seit Generation mit dem Monsun. Für Doreen und mich gilt das allerdings nicht. 

Die laotische Staatsstraße N13 führt durch wundervolle
Berglandschaften.
Nun hat Siem Reap bereits seit Mitte September mit den Fluten zu kämpfen. Hab gelesen, dass einige Touristen vor Wochen per Helikopter aus den Tempelanlagen geborgen werden mussten. Eine Woge hatte die Verbindungsstraße unpassierbar gemacht. Ist das eigentlich bis nach Deutschland durchgedrungen, frage ich mich, dass einige Regionen von Kambodscha, Vietnam und Südthailand schon seit Mitte September in den Wassermassen absaufen? Habe das Gefühl, die deutschen Medien machen das Hochwasser erst zum Thema, seit die  Millionenmetropole Bangkok bedroht ist. 

Ich bitte ein paar Hiesige um ihre Meinung, und höre viel Beruhigendes. "Die Regenzeit ist dieses Jahr ärger als sonst. Aber alles kein Problem." Und was ist mit den 300 Toten, von denen sie im Fernsehen erzählen? "Einige riskieren zuviel. Warum schalten Hausbewohner den Strom nicht ab, oder fahren mit dem Motorrad durch eine Fuhrt?" Ein Satz prägt sich mir besonders ein: "Für uns ist jetzt wichtig, dass die Touristen ihre Reisen nicht stornieren. Denn wenn sie das tun, verlieren wir unsere Arbeit". Was das bedeutet, darüber habe ich letztens in der Ausgabe "Laos, Vietnam, Kambodscha" der Geo-Reise-Sonderausgabe-Nr. 5 gelesen. Dort reißt ein Artikel an, wie arme Menschen von der Hand in den Mund leben. Dass sie keine Reserven für schlechte Zeiten anlegen können. Über die Früchte ihrer Arbeit sagt eine alte Kambodschanerin: "Die Enden der Tage berühren sich. Nur reißen darf die Kette nicht". 

Ein typischer Busbahnhof in
Südostasien... 
Doreen und ich, wir tauschen ein paar Tage lang Gedanken aus; schaukeln Ideen hin und her; entscheiden uns schließlich: wir machen die Reise nach Angkor Wat. Wichtiger noch: wir wählen eine ungewöhnliche, weil total untouristische und vielleicht sogar unbequeme Reiseroute. Wir wollen ein bisschen mehr von Asien sehen, bevor wir Anfang November nach Neuseeland rüber machen. Fliegerei kommt also nicht in Frage, wir wollen die Strecke Luang Prabang nach Siem Reap via Überland-Passage zurücklegen . Blöderweise wollen uns die Reisebüros partout nur das Standardprogramm andrehen, sprich teure Flüge und/oder quälende Marathon-Busfahrten auf absurden Umwegen quer durch Laos. Also planen wir selbst. Ich wälze Karten und bin mir sicher, dass ich eine direkte und interessante Route gefunden habe. Wir entscheiden uns bewusst gegen allzu strikte Planung; stecken Weg und Zeitrahmen nur grob ab; wollen den Rest on the fly erledigen. Also just in time sozusagen. Halt auf dem Weg. 

Die Struktur von Laos Hauptstadt
Vientiane erinnert an die von Paris. 
Drei bis fünf Tage sollte die 1000-Kilometer-Passage in Anspruch nehmen. Erste Etappe: Mit dem Bus von Luang Prabang ab durch die Berge, rüber über zwei Pässe in den Süden. Im Reiseführer heißt´s, man solle eine Brechtüte parat haben, wegen der vielen Kurven. Für uns fühlt sich die Fahrt anders an. Doreen und ich, wir genießen unsere Reiselust und die Aussicht. Die Staatsstraße N13 windet sich durch grüne Landschaften, vorbei an schroffem Karstgebirge und an Dörfern, wo seit hunderten von Jahren die Zeit stillzustehen scheint. Kinder spielen zwischen Hütten, mit Wänden aus Bambus und Dächern aus Bananenblättern. Nicht alles immer schön und sauber und so. Aber authentisch. Nur die asphaltierte Straße dient als Zeuge der Moderne. An manchen Stellen jedenfalls. Oft zeigt sich das Wirken der Natur durch Schlaglöcher und Steinschlag und Erdrutsche.
Szene aus Vientiane: Herrenrunde
beim Dame-Spiel. 
Nach etlichen Pausen und elf Stunden Fahrt erreichen wir Vientiane, die Hauptstadt von Laos. Bis vor kurzem habe ich diesen Namen noch nie gehört.

Wir verbringen hier zwei Nächte, und dazwischen einen kompletten Tag. Außer einer kleinen Promenade entlang des Mekong, ein paar hübschen Häusern und enorm viel Französisch-Flair aus alten Kolonialtagen hat die Stadt wenig zu bieten, was wir nicht schon aus Luang Prabang kennen. Aber wir saugen den Tag in uns auf, spazieren, besuchen den "Jour Culinaire" an einer frankophilen Schule, und erklimmen das "Patuxay": ein Bauwerk, das dem Triumpfbogen in Paris nachgeahmt sein will. 



In Nakhon Ratchasima haben wir
Glück mit der Unterkunft: zum
Zimmer gehört ein Balkon,
von dem aus wir das Treiben auf
der Straße beobachten können.
Am nächsten Morgen - dritter Tag -  lerne ich am Busbahnhof, dass wir heute mit einer Busfahrt fast 400 Kilometer in Richtung Süden schaffen können - viel weiter als gedacht. Schaukelnd und scheppernd trägt uns der "Lao-Thai International Bus" aus Laos hinaus, über die Grenze bis weit nach Thailand. Tagesziel: Nakhon Ratchasima. Noch so ein Ort, der in meinem Denken bisher keinerlei Spuren hinterlassen hat. Beherbergt laut Reiseführer aber zwei Millionen Einwohner, was ihn zu Thailands zweitgrößter Stadt macht. Schon auf dem Weg dahin reibe ich mir die Augen. Denn dieses Thailand - der Osten, auch Isan genannt - strahlt ein ganz anderes Flair aus als alles, was wir bisher in diesem Teil der Welt gesehen haben. Ich beobachte flaches Land, durch Landwirtschaft geprägte Ebenen, eindrucksvolle Industrie, gemauerte Häuser, getunte Autos. Wohlstand statt Armut, in Hessen oder Niedersachsen sähe es kaum anders aus.
Nahrungsaufnahme auf
Isan-Art: Eigentlich müssten
die Nudeln rot glühen,
so scharf sind sie. 
Wir begegnen weder einer Flutwelle, noch versinken wir im Schlick. Außer ein paar Sandsäcken am Straßenrand, und einer Handvoll paar übrig gebliebener Tümpel in der Nähe mancher Flüße entdecke ich während der Fahrt nichts, was auf ein böses Natur-Schauspiel hindeuten würde.

Als wir am späten Nachmittag in Nakhon Ratchasima ankommen, erwartet uns die nächste Überraschung: kaum ein Schild ist englisch beschriftet, kein einziger Tourist lässt sich blicken. 

Wir sind allein unter den Asiaten, und fühlen uns verflixt wohl dabei. Ich genieße es, dass ich mich mal wieder in einer mir vertrauten Mittelstands-Umgebung bewege; dass mich keine Armut umgibt und mir in´s Gewissen zwickt. Seit vielen Wochen scheint dies der erste Ort zu sein, der ganz gut auf sich selbst aufpassen kann. Doreen sagt einen sehr schönen, passenden Satz: "Gut zu sehen, dass die Thailänder uns Touristen gar nicht brauchen". Vielleicht grad deswegen geben sich die Menschen hier alle offen, neugierig, unaufdringlich und freundlich, ohne irgendwas dafür zu erwarten. Wir bummeln abends ein bisschen um die Ecken, und versuchen uns in einer Garküche an einem Gericht aus der hiesigen Isan-Küche: Nudeln "Pad mee korath". Meine Zunge fühlt sich an, als hätte jemand Chilischoten auf Schleifpapier über meine Zunge gezogen. Trotzdem, lecker! Wir lassen den Abend ausklingeln, beobachten vom Balkon unserer hübschen Bleibe namens  "Sansabai House" aus das emsige Treiben unten auf der Straße, die Autos und Motorroller und Händler und Menschen auf dem Bürgersteig. Mann. Was wäre das schade, wenn wir all das einfach überflogen und verpasst hätten!

So sehen Reisfelder aus, wenn
kein Hochwasser steht.


Der Morgen des vierten Tages lässt sich gut an. Ein Tuktuk tuckert uns zum Busbahnhof. Wo wir, wie erwähnt, kaum ein Schild lesen können. Mit rudimentärem Englisch und großartiger Gestik einiger Thais finden wir dennoch den Bus, den wir brauchen. Er soll uns direkt an die Grenze von Kambodscha tragen. Ist sogar ein ausgesprochen hübsches Vehikel, sehr gepflegt und mit genug Platz, dass ich die Beine ausstrecken kann. Jetzt bitte keine Lästereien wegen meiner Körpergröße von 1,74 Metern: nein, tatsächlich muss sogar ich in den hiesigen Bussen meistens die Knie anwinkeln. Sei´s drum: Am frühen Nachmittag erreichen wir den betulichen Ort Aranya Prathet an der Grenze Thailand-Kambodscha. 
Wenn doch, machen die
Kambodschaner das Beste draus.
Von dort nach Siem Reap? Ein Katzensprung, verbunden mit nur kleineren Schwierigkeiten. Schwamm über den Versuch, uns mit gefälschten Visa Geld aus der Tasche zu ziehen; und über die gaunerische Busfahrt, die sich verflixt nach Kaffeefahrt anfühlt. Andere haben größere Sorgen. Vom Bus aus sehen ich etliche Felder unter Wasser stehen. Diese Reisernte können manche Bauern wohl abschreiben - immerhin hat die Regierung bereits Ersatz versprochen, erzählt ein Einheimischer. Bei Ankunft in Siem Reap gießt es, einige Straßen gleichen abschnittweise eher Fuhrten. Am folgenden Tag sind die Straßen morgens frei; nach einem Anfall von Monsun nachmittags versunken; abends wieder frei. Erstaunlich, mit wie viel Gelassenheit die Menschen hier das Wechselbad zu nehmen scheinen.  

In Siem Reap sind einige Straßen
zeitweise geflutet. Fortbewegung
ist trotzdem möglich. Man
kriegt halt nasse Füße.

Doreen und ich, wir haben ebenfalls allen Grund zu Gelassenheit. Wir kommen am Ende sicher in Siem Reap an; beziehen eine Bleibe im ungefährdeten Teil der Stadt; und freuen uns auf Angkor Wat. Unsere Reise ins Ungewisse hat sich gelohnt, finanziell und ideell, oder wie immer man es betrachten mag. Die Reisenkosten summieren sich auf rund 70 Euro. Der Flug hätte uns viermal so viel gekostet, und sich vermutlich ähnlich fad angefühlt wie ein Hoppser von München nach Hamburg. Bin rundum glücklich, dass wir unsere Bedenken - um nicht zu sagen: Ängste - niedergekämpft und uns was getraut haben. Wir sind belohnt worden mit vier interessanten Tagen und einem großen Gewinn an Erfahrung.








Gruß von vorm Patuxay in Vientiane, 
Richard 


3 Kommentare:

  1. Ach ja, die lieben deutschen Medien...
    Es beruhigt mich zu lesen, dass das Wasser sich für Thailand selbst und für Euch momentan noch in Grenzen hält.

    Ich wünsche Euch schöne und interessante zwei Wochen in Kambodscha!
    Alles Gute!
    <3

    AntwortenLöschen
  2. Hi Sabinchen!

    Leider glaube ich, dass das Wasser in manchen Teilen Thailands ganz schön heftig ist. Wir haben es nur nicht mit bekommen. Aber wir hoffen mal, dass es nicht noch mehr Menschen trifft und bald vorüber ist.

    Ganz liebe Grüßle aus Kambodscha in die herbstliche Heimat.
    Doreen

    AntwortenLöschen
  3. So weit ich in der Zeitung und im Radio in den nachrichten gehört habe sind bis zu 300 Personen bereits in Thailand an dem Hochwasser gestorben. bin aber beruhigt zu hören das es dann doch nicht so schlimm ist wie sie her in Deutschland berichten. Bzw.das es für die Thailander bzw. den dortigen Asiaten "normal" ist nach dem Monsumregen. Das mit der Woge und das einige deutsche Touristen bereits per Helikopter ausgeflogen wurden hab ich jedenfalls bis jetzt noch nicht gehört.

    Mich freut und beruhigt es auf alle Fälle das es euch gut geht und hoffe ihr geniesst die Zeit dort noch.

    Liebe Grüße Jutta mit Anhang.

    AntwortenLöschen