Freitag, 28. Oktober 2011

Angkor Wat: Touris trampeln Mystik tot! (mit 2 Videos!)




Da bin ich also nun. Mittendrin in Südostasien, als Reisender zu Gast bei einer der ärmsten Nationen der Erde. Kambodscha. Das Land war in meinem Hirn bis vor kurzem nur mit vagen Gedankenbildern verknüpft. Keine allzu schönen Bilder, um genau zu sein: Hochwasser. Vietnamkrieg. Minenopfer. Was Hollywood und die westlichen Massenmedien eben so zum Thema machen. Dann natürlich der millionenfache Massenmord durch die Roten Khmer in den 70er-Jahren. Ich dachte, Khmer wäre nur ein anderes Wort für Terrorist. Was soll ich sagen - vor Ort sieht alles anders aus.

Die Anlagen von Angkor als Video
sehen wollen? Klick!
Erstmal wäre da mein Khmer-Irrtum. So ziemlich alle Kambodschaner bezeichnen sich selbst so, jedenfalls die, mit denen ich darüber spreche. Nicht als rot, aber als Khmer oder "Kmair", wie sie hier sagen. In der Stimme eines Khmer schwingt immer ein gewisser Stolz mit, wenn er über sich und seine Ahnen erzählt - beispielsweise von der Gründung des Khmer-Reiches namens Kambudja um das Jahr 800 herum. Von der reichhaltigen Kultur. Vom Bau der Kultstelle Angkor nahe dem heutigen Siem Reap ab 890 etwa. In Siem Reap verbringen  Doreen und ich knapp zwei Wochen. Es sind unsere letzten Tage, bevor uns ein Flugzeug nach Neuseeland trägt. 
Unfassbar filigrane
Steinmetz-Details am
Tempel "Banteay Srei".


Zum Abschluss unserer vier Monate in Südostasien wollen wir nochmal was richtig Schönes sehen und erleben. Unser klasse Gästehaus namens Motherhome Inn dient uns als Ausgangsbasis für Spaziergänge und Ausflüge. Siem Reap ist relativ kompakt strukturiert, da können wir vieles mit dem Fahrrad erkunden. Pub Street, Night Market und all die anderen asientypischen Touristenmeilen streifen wir nur kurz, sieht eh eine wie die andere aus. Wer neugierig ist, was es in Siem Reap und Drumherum so zu sehen gibt; also unglaubliche Ameisenhaufen; geschmeidige Apsara-Tänze und mehr: wir hätten da ein kleines Video vorbereitet. Einfach klicken. 

Zwischen den Anlagen
wohnen Menschen, grasen
Tiere, führen Kambodschaner
ein ganz normales Leben.
Letztlich interessiert Doreen und mich aber mehr das, weshalb sie alle letztlich nach Siem Reap kommen. Meine Güte, Angkor. Mit diesem Namen verbinde ich verlorene Kulturen. Gefährliche Schatzsuche. Große Mystik. Die Abenteuer von Indiana Jones und Lara Croft . Und jetzt bin ich hier. Wie scharf ist das denn bitte? Was Angkor betrifft, bekomme ich allerdings gleich mal mein schiefes Bild im Kopf geradegerückt. Habe damit einfach einen uralten Tempel verbunden. Groß und geheimnisvoll und von Legenden umwoben, sicher, aber letztlich nur ein Tempel. 
Tatsächlich steht der Name Angkor für eine Region, in der während der Herrschaft des alten Khmer-Königreich vor rund 1000 Jahren nicht nur eine oder zehn, sondern sage und schreibe rund 200 Kultstätten entstanden sind. Der größte Tempel, Angkor Wat, ist seit seinem Bau immer in Benutzung. Die anderen Anlagen wurden irgendwann dem Urwald überlassen, weil die Instandhaltung zu aufwändig sei. Zuviel ist halt zuviel, das gilt auch für ein Königreich.

Wir sind ausgestattet mit einem Pass, der uns Zutritt gewährt zu den inzwischen wieder zugänglich gemachten Tempeln. Hier und da weisen Plakate daraufhin, dass Teams aus aller Welt bei Restaurierung und Instandhaltung helfen. Die Schweiz kümmert sich um Banteay Srei, Deutschland um Angkor Wat, und so weiter. Jede Nation kümmert sich um sein steinernes Patenkind, sozusagen. An Tag Eins leisten wir uns einen privaten Tourguide: von So Hun erhoffen wir uns ein paar Basisinformationen. Die kriegen wir auch, allerdings auf Kosten der Konzentration. So Hun spricht viel, aber kein Deutsch und ein eher gebrochenes Englisch. Dadurch müssen wir oft nachfragen und nachhaken, in jedem Fall aber voll bei der Sache sein.

Unser Tourguide So Hun
demonstriert einen Hirschkäfer.
Als Kinder haben sie die gern
gegeneinander kämpfen
lassen, erzählt So Hun.
Doreen und ihr Lieblings-
Bauwerk Pre Rup. Wegen
des hohen Grasbewuchs
auf den Türmen nennt sie
ihn den "Plüschtempel". 
Anfangs gehen meine kleinen grauen Zellen des hohe Tempo locker mit, sie saugen alle Informationen auf. Ich lerne zum Beispiel, dass die wundervoll erhaltenen Wandreliefs im Bayon-Tempel nicht nur Könige und Kriege zeigen; viele erzählen ganz gewöhnliche Straßen-Szenen. Erstaunlich, wie wenig sich der Alltag der alten Khmer von dem unterscheidet, was ich heute tagtäglich auf den hiesigen Straßen und Märkten erlebe. Die Menschen treiben ihre Wasserbüffel durch das Reisfeld; bereiten sich im Topf aus Lavastein ein paar Nudeln zu; verbringen den Abend gemeinsam beim Reden und Kartenspielen. Gestern wie heute. 

Aber So Hun gibt ein straffes Tempo vor. Vermutlich will er das Tagesprogramm durchkriegen. Auf der Strecke bleibt der Genuss. Wir huschen für meinen Geschmack ein bisschen zu flott an vielen betrachtenswerten Stellen vorbei. Vor allem am späten Nachmittag zollt meine Aufmerksamkeit der hochstehenden Sonne und meiner Müdigkeit Tribut. Etliche Worte und Erklärungen flutschen bei mir rein und raus, wie nasse Seife durch die Hände. Wenig bliebt hängen. Ich höre Vishnu, Shiva und Brahma; Hinduismus und Buddhismus; Streit mit dem Volk der Cham- bzw. Muslim-Krieger; aber meine Wahrnehmung läuft nur noch im Notprogramm. Dabei würde ich zu gerne die erstaunlichen Unterschiede zwischen den Tempeln herausarbeiten. Manche erheben sich drei bis vier Meter über das Land, andere überragen mit ihren dreißig bis vierzig Metern die Bäume ringsherum. Einige Konstruktionen ruhen auf gemauerten Wänden, andere gleichen einem Puzzle aus gewaltigen Steinquadern. Ein paar Tempel wirken durch ihre herrlich erhaltenen bzw. aufwändig restaurieren Wandreliefs erstaunlich filigran, andere eher wie aus dem Groben gehauen.

Ta Phrom. Da ist auch Angelina
Jolie schon durchgelaufen, bei
den Dreharbeiten zu "Tomb Raider".
Die Wandreliefs erzählen vom
Leben der alten Khmer.
Ich würde mich zu gerne für eine unbestimmte Zeit irgendwo in eine ruhige Ecke des Ta-Phrom-Tempels setzen und staunen, dass Natur und Bauwerk auf so einzigartige Weise verschmelzen können. Man überlässt Ta Phrom ganz bewusst den Kräften des Waldes. So kommt es, dass über die Jahrhunderte Bäume aus dem Bauwerk herausgewachsen sind. Sie schlagen Wurzeln nach unten, über und in den Stein. Nur logisch, dass der Macher der Tomb-Raider-Verfilmung das als Kulisse genutzt hat. Mindestens genauso gern würde ich mich zwischen die riesigen Steinsäulen des Bayon-Tempels setzen. Wie haben die vor tausend Jahren so gewaltige Fratzen einmeißeln können? Und wieder überrascht mich die gut erhaltene Substanz. Als kleines persönliches Highlight für mich - und lustigerweise auch Doreen - sei unser Besuch in einem der vielen charmanten Lokale in der Pub Street notiert: das "Red Piano". Wir nagen vor uns hin, gucken uns ein bisschen um; plötzlich bleiben unsere Augen an einem Foto an der Wand hängen. Es zeigt den Wirt gemeinsam mit Angelina Jolie. Hier hat der Welt zweitattraktivste Frau also im November 2000 gespeist, während der Dreharbeiten zu "Tomb Raider". Hier hat sie ein Jahr darauf ihren kambodschanischen Adoptiv-Sohn Maddox gefunden. Von einem Moment zum anderen werden die vielen Geschichten darüber, die ich in der deutschen Regenbogen-Presse irgendwann aufgeschnappt habe, viel authentischer und greifbarer. 

Angkor Wat, hinten. Meine
Wenigkeit, vorne. 


Ach ja, und dann ist da noch Angkor Wat. Die Anlage, wegen der wir eigentlich nach Siem Reap gekommen sind. Tja, was soll ich sagen: mir ist sie zu groß, zu wenig speziell, und vor allem viel zu überlaufen. Es gibt da eine Brücke, die führt erst über einen Wassergraben, danach weiter zu einem inneren Wall und einem Eingangsportal. Davor parken dutzende Reisebusse. Gemeinsam spucken sie hunderte und tausende Touristen aus. Dazu kommen mindestens nochmal so viele aufdringliche Straßenhändler, die einem immer dieselben Armreifen und raubkopierten Angkor-Bücher andrehen wollen.
Doreen vor den Feldern
von Prasats Suor Prat.
Aber wenn ich ständig an Touristenschlangen vorbeirenne, die wie die Lemminge einem Fahnenführer hinterhertrotten, dann fühlt sich das für mich nicht mehr richtig an - dann löst sich das Geheimnisvolle und Mystische auf. Ich plaudere mit einem in Hongkong lebenden Deutscher darüber, der mit seiner Familie offenbar öfter in Siem Reap urlaubt. Er erzählt, dass sei noch gar nichts. Sei ja schließlich Nebensaison. Erst im Dezember würde das Gedränge richtig losgehen. Nein danke.

Am Abend stolpern Doreen und ich eher zufällig in ein kleines persönliches Highlight. Beim Spaziergang durch den touristischen Teil von Siem Reap; als wir in eines der vielen charmanten Lokale in der Pub Street einkehren, in das "Red Piano". Wir nagen vor uns hin, gucken uns ein bisschen um; plötzlich bleiben unsere Augen an einem Foto an der Wand hängen. Es zeigt den Wirt gemeinsam mit Angelina Jolie. Hier hat der Welt zweitattraktivste Frau also im November 2000 gespeist, während der Dreharbeiten zu "Tomb Raider". Hier hat sie ein Jahr darauf ihren kambodschanischen Adoptiv-Sohn Maddox gefunden. Von einem Moment zum anderen werden die vielen Geschichten darüber, die ich in der deutschen Regenbogen-Presse irgendwann aufgeschnappt habe, viel authentischer und greifbarer. 

Banteay Srei: Wer hier rein will,
muss geduldig anstehen.


Am zweiten und dritten Tag verzichten wir auf einen Reiseführer. Wir beschließen, dass wir auf eigene Faust losziehen und unser Tempo und unsere Ziele selbst bestimmen. Gute Entscheidung. So entdecken wir mehr als das, was alle Touristen zu sehen bekommen - selbst im Umfeld eines so stark frequentieren Touristenmagnets wie Banteay Srei, dem vielleicht besterhaltenen Tempel von ganz Angkor. Nur einen Steinwurf von der Anstehschlange entfernt stoßen wir auf einen charmanten Spazierpfad, der uns ein bisschen ins Land hinaus führt;  inklusive Aussichtspunkten über Reisfelder so weit das Auge reicht. 
Auf dem Rückweg nach Siem Reap machen wir Stopp an einem Tempel namens Pre Rup: einfach nur, weil sich Doreen bei der Vorbeifahrt spontan in die Gräser verliebt, die oben auf den Türmen wachsen. Und so klettern wir nahezu allein über weitgehend original belassene Quaderkolosse, kämpfen uns über mehrere Ebenen auf rund dreißig Meter Höhe empor. Eine überwältigende Aussicht, siehe Foto zum Einstieg dieses Blogeintrags. Für mich einer der Höhepunkte unseres Besuchs in Südostasien insgesamt. Und ein würdiger Abschluss. 




Wäre dann also bereit für neue Ziele. Neuseeland, wir kommen!
Richard 




4 Kommentare:

  1. dreimal ja, Angkor, "Plüschtempel" und und und...da käme ich auch ins Schwärmen und wäre gerne dabeigewesen. Großartige Kulturdenkmäler ohne Massenbetrieb, das geht nicht mehr in unserer Zeit. Komm doch heute mal nach Neuschwanstein oder Rothenburg (Tauber) oder zum Kölner Dom...

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  2. Die Tempel, die Wandreliefs sind wirklich sehr beeindruckend. Ich selber hab mir Kambodscha doch ganz anders vorgestellt. Ich bin positiv überrascht worden.

    Liebe Grüße Jutta

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  3. @Schwesterlein: Also da würde mein Herz schon deutlich in die Höhe hüpfen, wenn der Blog zur Vervollständigung Deines Weltbilds beitragen dürfte. Wenn ich das mal so geschwollen formulieren darf. Ist schon spät. Sollte ins Be...

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  4. Interessantes Kamdodscha! Kann mich Jutta nur komplett anschließen.

    Alles Gute für und gute Reise nach Neuseeland!
    <3

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