Samstag, 31. Dezember 2011

Ein glückliches 2012 wünschen die Ex-Weltreisenden!

Feuerwerk in Luang Prabang, Laos.

Weihnachtsmann in Auckland,
Neuseeland.
Gleich setzen wir Kurs auf die verschneite Autobahn A92, und ziehen los in Richtung Osten, da wo mein Daddy lebt. Mit Mony und ihm feiern Doreen und ich Abschied vom sicherlich ereignisreichsten Jahr in unserem bisherigen Leben.  

Weihnachtsbaum in Santiago,
Chile.
So wie es momentan aussieht, verspricht das Jahr 2012 ebenfalls sehr ereignisreich und voller Liebe zu werden. Wir wollen endlich all die Freunde wiedertreffen, die wir über ein Jahr nicht mehr gesehen haben. Wollen neue Jobs finden, die uns ein Leben nach unseren Vorstellungen erlauben -  die sich sicherlich sehr verändert haben während unserer Weltreise. Wir freuen uns total auf mindestens vier Hochzeiten, von denen zwei im Osten von Deutschland gefeiert werden. Mal sehen, vielleicht nutzen wir den Anlass für eine kleine Deutschland-Rundfahrt. Nachdem ich so viele Städte und Länder in aller Welt kennenlernen durfte, möchte ich jetzt gern mein eigenes Land ein bisschen besser verstehen. Doreen freut sich drauf, dass sie mir Erz-Münchner endlich den Unterschied zwischen Sachsen und Anhalt erklären darf. 

Heiligabend bei Doreens Leuten,
Sexau im Schwarzwald.
Apropos ereignisreich. Doreen und ich, wir beginnen in diesen Tagen mit dem Aufbau einer gemeinsamen Heimat. Soll heißen, wir quetschen den Kram aus zwei Haushalten in eine einzige Zwei-Zimmer-Wohnung. 
Das geht nur mit viel Sortiererei und Wegwerferei, und so manchesmal zwickt einen das Gewissen. Sätze von der Art "Aber das hab ich doch von der Tante Frieda geschenkt bekommen!" nagen kurz an mir, dann drappiere ich das Häkelwerk auf den Stapel mit den Flohmarkt-Sachen. Will sagen, es gibt viel zu tun. Aber nicht heute. Heute gehen wir´s ruhig an. Apropos gehen. Lasst´s Euch gut gehen. Ganz lieben Gruß an alle Freunde und Verwandte, Bekannte und Unbekannte, Mitleser und Bildangucker dieses Blogs! Doreen und ich, wir wünschen Euch alles, alles Liebe und Gute für das neue Jahr!

Viel Zufriedensein und Glücklichsein, 
Doreen und Richard 












Donnerstag, 15. Dezember 2011

Doreens Welt: eine Woche Heimat...






Ist es wirklich schon zehn Tage her, dass ich die flauschigen neuseeländischen Woll-Pullover befühlt und beknuddelt habe und sich die Aucklander Frühlingssonne mit an unseren Frühstückstisch gesetzt hat?


Zwar noch kein Wollpulli,
aber trotzdem irre flauschig.





Eigentlich fühle mich verdammt gut. Also seit unserer Heimkehr. Vielleicht hatte ich etwas mit meiner Erkältung und dem fehlenden Schlafrhythmus zu kämpfen, aber grundsätzlich war ich einfach nur glücklich wieder so viel deutsch zu sprechen, mit Freunden und Familie zu telefonieren und deutsches Brot zu essen. 



Kann auch gut tanzen :o)
Weitsicht überall...
hier: auf der Coromandel-Halbinsel

Aber heute ist das anders. Ich spüre, dass ich tieftraurig bin. Hm…als trauerte ich alten Zeiten nach. Ich glaube ich vermisse Neuseeland und das Gefühl jeden Tag etwas Neues zu entdecken. Das Land hat sich in den letzten Wochen regelrecht in mein Herz eingefressen. Die atemberaubende Natur, die Stille auf den Campingplätzen, die wohlige Einsamkeit, die ich in diesem Land empfinde. Ich fühle mich schon erdrückt und leer, wenn ich nur durch die beschauliche Landshuter Altstadt spaziere. Auch Richy fehlt mir heute. Seit unserer Trennung vor vier Tagen das erste Mal richtig. Unsere vielen und schönen Gespräche sind es hauptsächlich…am Telefon treffe ich ihn jetzt wieder oft in Eile oder konzentriert an. Ich bin böse auf den Alltag. Er verbietet mir ein entspanntes Gespräch mit meinem Freund. Und die doofen 330 Kilometer, die uns grad trennen, sind auch nicht besser. Sie lassen es nicht zu Richy lächeln zu sehen. Dieses innere Glühen, zu was sein Lächeln während unserer Reise geworden ist. Wenn er das raus ließ und seine beiden Augen dazu um die Wette geleuchtet haben, war immer alles schnell wieder gut. Aber er ist nicht da. Es ist wieder Zeit, mich ganz allein anzuschieben.

Am Flughafen der eine...
... und der andere Teil unserer Lieben.










Überall auf der Welt
sind uns die Hamburg-
Süd-Container begegnet.
Ein Stück Heimat...
Aber das ist gar nicht so schwer wie ich vor unserer Trennung gedacht habee. Scheinbar sind wir trotz der 24 Stunden, die wir 355 Tage aufeinander saßen, Individuen geblieben. Ich hatte echt einen Horror davor, dass ich mich nach Richy verzehre, wenn ich ohne ihn bin. So wie man das oft in alten Hollywoodstreifen sieht. Aber nein, ich bin glücklich die Zeit bis zu unserem Wiedersehen mit schönen Stunden bei meiner Mama, und dem Versuch mich von dem deutschen Lebensstil noch nicht wieder aufs Glatteis führen zu lassen, zu füllen. Die Hektik und der Zwang jede Minute mit einer Tätigkeit auszufüllen stoßen mich noch richtig ab. Ich versuche erstmal langsam rein zu kommen. Sein Hab und Gut inspizieren, zum Beispiel, ist eine gute Möglichkeit sich dem früheren Leben wieder anzunähern. Also greife ich es an.

Ob er auch nach Hobbingen fährt?
Im Tongariro-Nationalpark.
Das vielleicht schönste Fleck-
chen Neuseelands für mich.
Ich hatte völlig verdrängt wie viele Klamotten ich habe. Obwohl ich, objektiv betrachtet, finde, dass ich für eine Frau wenig horte und ich vor unserer Abreise viel raus geschmissen, verhökert und verschenkt habe. Trotzdem wirkt der Inhalt meines alten Kleiderschranks auf mich, als ob Obelix seinen Hinkelstein auf mich wirft. Niederschmetternd. Aber ich erlebe auch viele Überraschungen. Die braune kuschlige Strickjacke, zum Bleistift, hatte ich wie so viele andere Stücke völlig vergessen. Es fühlt sich an, als hätte ich diese Teile gerade erst wegen einer dieser 1000-Euro-Klamotten-Shopping-Gutscheine von Bayern 3 neu angeschafft, alle auf einmal. Allerdings hätte ich nach solch einem Gewinn früher auf Wolke 8 getanzt, aber nun sitze ich auf dem Boden, inmitten meiner Pullis & Co, und bin völlig überfordert. Am liebsten würde ich den ganzen Krusch in die Tonne treten und mich wieder meinen heiß geliebten 3 T-shirts, 5 Unterhosen, 3 Paar Socken, 2 Hosen und 2 Pullis widmen, die mich die elf Monate begleitet haben. Warum um alles in der Welt habe ich so viel Zeug? Ich entscheide mich, das erste Mal seit langem, gegen mein Gefühl und schmeiße nur die hässlichsten Teile weg. Merke mir aber gedanklich schon die nächste Sortier-Aktion vor. Nämlich für den Tag, an dem ich in die Räume mit dem neuen Klingelschild einziehe. In Richys und meine erste gemeinsame Wohnung.
 
Alles_Liebe
Eure_Doreen

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Richards Welt: eine Woche Heimat...








Herzlicher Empfang: Wir werden
begrüßt von einem Plakat, Luftballons
 und wundervollen Freunden.  


Doreen fehlt mir. Wir sind jetzt seit etwas über einer Woche zurück in der Heimat, und ich habe gerade die erste Nacht allein verbracht. Ungewohnt. Während unserer Weltreise waren Doreen und ich immer zusammen. Sie hat mich morgens ihre Wärme spüren lassen, wenn ich aufgewacht bin. Ein Jahr lang haben wir jeden Tag zusammen begrüßt. Auch in den ersten Tagen nach unserer Deutschland-Rückkehr bleibt das so. Wir dürfen die erste Woche im Haus von meinem Paps+ Mony verbringen, da meine eigene Bude unabkömmlich ist. Riesen Dank nochmal dafür an euch zwei! 
Unser neues Klingelschild:
 Symbol dafür,  dass Doreen und ich
 während der Weltreise zueinander
gefunden haben.
Natürlich auch an Ulrike, Dunja, Sabine, Alex und Marco für den unvergesslichen Empfang am Flughafen! 

Ist das wirklich erst eine knappe Woche her, dass wir auf dem Münchner Flughafen gelandet sind? Inzwischen ist meine Wohnung freigeworden. Überraschend früh, hatte eigentlich mit einem mindestens drei Wochen andauernden Asyl bei Familie und Freunden gerechnet. Doreen begleitet mich bei der Schlüsselübergabe, anschließend wagen wir Hand in Hand einen winzigen Schritt in Richtung Zukunft - wir bringen unser gemeinsames Namensschild an der Klingel und am Briefkasten an. Für andere mögen das nur ein paar kleine Buchstaben sein, für uns ist´s ein großes Symbol: Wir wollen zusammen sein, und wir wissen jetzt, dass wir das können. Immerhin haben wir während der Weltreise enorm viel über unsere Gefühle gelernt. Zumindest an einigen Tagen gelingt es mir jetzt, meine eigenen Stimmungen zu erkennen und zu beeinflussen. 

Unsere letzten Weltreise-Tage:  Bummel durch
Auckland, die einzige echte Metropole von
Neuseeland.

Ich habe zumindest Ansätze eines Gespürs dafür entwickelt, wann ich Doreen mit meinen Gedanken belasten darf; wann sie Kuscheleinheiten braucht; wann ich sie besser in Ruhe lasse. Also, wenn das nicht prima Voraussetzungen für eine glückliche Zeit zusammen sind? Eben.


Ace, du hier? Wen man so alles trifft
in Neuseeland...
Leider kann Doreen nicht bleiben. Gleich nachdem das Klingelschild hängt, verabschiedet sie sich und fährt für ein paar Tage zu ihrer Mutter in Richtung Schwarzwald. Ich bleibe allein zurück. Einerseits schön, in die eigenen vier Wände zurück zu kehren, die meine Interims-Mieterin Janette in einem so wundervollen Zustand an mich zurückgibt. Sollte ich mich nicht super fühlen bei dem Gedanken, dass ich in vertrautem Umfeld ein bisschen Zeit nur für mich genießen kann? Aber ich spüre Widersprüchliches in mir, fühle mich matschig und unwirklich, wie betäubt. Offenbar ist mein Kopf noch nicht vollständig in Deutschland angekommen; ich werde ein bisschen zittrig wegen der vielen Aufgaben, die in meinem Kopf um sich greifen wie dunkler Nebel: Muss Ämter besuchen. Klamotten aus dem Keller holen. Überflüssiges aussortieren, immerhin teilen wir uns bald einen Wohnraum, den ich früher für mich allein beanspruchen konnte. Ich mache mir berufliche Gedanken. Gleichzeitig beansprucht spießiger Kleinkram meine Aufmerksamkeit: Muss mit o2 und Alice reden, Telefon und Internet auf die Reihe kriegen. Muss den Nachsendeauftrag stornieren, damit Postalisches mich wieder erreicht. 
Das Auto finden wir vor einem herrlich
schrägen Straßencafé namens Sorogate.
Besuchstipp für jeden, der von
Coromandel nach Auckland fährt. 

Komisch eigentlich. Sollte es mir nicht Banane sein, ob ich heute, morgen oder erst übermorgen wieder Post kriege? Hab jetzt ein Jahr lang keinen einzigen Brief geöffnet, und hab ich was vermisst? Nicht die Spur. Aber das alte Leben, alte Gewohnheiten; der Drang informiert und integriert sein zu wollen: das alles holt mich schnell wieder ein. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: Spätestens seitdem ich den Alltag der Menschen in Asien kennenlernen durfte, ist mir durch und durch bewusst, wie hektisch und drängelnd das Dasein in Europa ist. Ich kann jetzt besser gegensteuern, suche mir zwischen allerlei Muss-Aufgaben ein paar lustbereitende Ablenkungen. In die Tiefgarage marschieren und mein Auto aus seiner Plane befreien, zum Beispiel. Ich hefte meine alten Kennzeichen an - hab mir vor einem Jahr meine schöne Ziffernkombo reserviert - und staune. Die Batterie steckt nach einem Jahr voll Saft, zieht den Anlasser problemlos durch. Danach fahre ich um die 100 Kilometer spazieren. Mein Auto macht mir immer noch Spaß.  

Aussortieren vor der Abreise:
Teller,  Adapter und vieles
anderes bleibt in Neuseeland.
Am nächsten Morgen, nach meiner ersten "einsamen" Nacht tue ich mich schwer, irgendwas an zu packen. Die "Queens of the Stone Age" lenken mich ab. Endlich wieder richtige Musik aus richtigen Lautsprechern hören. Fein. Jetzt erstmal Sharonfrucht schnibbeln, Haferflockern milchen und Bauernbrot schmieren. Herzhaftes Frühstück, klasse! Ist es wirklich schon über eine Woche her, dass wir nach Deutschland zurück gekehrt sind? 35 Stunden hat die Rückreise gedauert, mit umsteigen und allem. Gut 26 Stunden haben wir in Flugzeugen verbracht. Meine Gedanken schweifen zurück an Bord der Boeing 747, die uns von Auckland nach Hongkong getragen hat. Obwohl wir die ganze Zeit ganz hinten im Flieger sitzen, haben wir eine gute Zeit. Die Holzklasse in den Langstrecken-Fliegern im asiatischen Raum ist ausgestattet wie Luxuskabinen in den europäischen Fliegern. Na, jedenfalls fast. 

Impression vom Flughafen: Man beachte
die To-Do-Zeile beim Hongkong-Flug.
Meine Beine freuen sich über unerwartete Bewegungsfreiheit, und beim Essen haben wir die Wahl zwischen zweierlei Menüvarianten. Exotische Stewardessen versorgen uns mit Snacks und Getränken, und das Bordentertainment - meine Güte, ganz  großes Kino. Aus der Rückenlehne des in der Reihe vor mit Sitzenden schäle ich einen videospielähnlichen Controller und wühle mich durch ein aktuelles Kino- und TV-Programm. Weiß jetzt, dass ich mir "Thor" und "Fast Five" vielleicht nochmal auf Bluray anschaffen werde, "Planet der Affen" und "Green Latern" dagegen nicht. Kann sogar ein paar der Formel-1-Rennen gucken; die Saison habe ich in diesem Jahr fast komplett verpasst. Als ich mir kurz die Beine vertrete und meinen Blick durch den Korridor schweifen lasse, wird mir allerdings bewusst, wie still es im Flugzeug ist. 
Ein paar Minuten nach dem Start:
Letzter Blick auf die Nordinsel
von Neuseeland.
Wer nicht schläft,  fokussiert seine Sinne auf den flimmernden Bildschirm vor sich. Oder auf die Radio- und Musikberieselung aus den Kopfhörern. 
Ein paar Leute lesen, das sehe ich gern. Aber niemand spricht, unterhält sich, lernt vielleicht den Sitznachbarn kennen. Warum betrachten so viele Menschen lieber den Monitor als das wunderschöne Farbenspiel des Sonnenuntergangs draußen vor den Fenstern?

Essen, Kino, Videospiele,
Musik: Doreen liebt
das Fliegerleben.
Ich denke an die Weltreise zurück. Ist es wirklich erst anderthalb Wochen her, dass Doreen und ich uns in Rotorua wegen des überwältigenden Schwefelgestanks die Nase zuhalten mussten? Dass wir uns in die Dunkelheit der Nacht geduckt und nach dem Kiwi-Vogel Ausschau gehalten haben? Wollte ich nicht noch ein paar Zeilen über unsere letzten Wochen in Neuseeland schreiben, über unseren Besuch in Hobbingen zum Beispiel? 

Doch, da war was… 
Richard 




Sonntag, 4. Dezember 2011

Wir sind dann mal wieder da...



Meine Güte, in den letzten Wochen sind die Ereignisse übereinander gepurzelt wie Neuseelands All Blacks nach dem Sieg im Rugby-World-Cup. Wir haben unter anderem den "Herr der Ringe" getroffen und Mordor besucht; einen Pottwal gesichtet; den seltenen Kiwi-Vogel aufgestöbert; das Schwefelland durchquert; und natürlich Doreens runden Geburtstag gefeiert. Vielen Dank übrigens für die vielen, lieben Glückwünsche - glaube, so kann Doreen die Zahl 30 sehr viel leichter ertragen. 
Jedenfalls, Neuseeland überwältigt uns mit Eindrücken. Es gibt einfach viel zu viel zu erleben, als dass der Blog Schritt halten könnte. Tschuldigung für den Mangel an Updates in den letzten Tagen. Wenn diese Zeilen online gehen, ist fast schon alles vorbei. Dann hat uns Flug-Nr. 108 der Cathay Pacific geschluckt und auf den Weg in Richtung Heimat gebracht. Sofern unterwegs kein Triebwerk die Grätsche macht, sollten wir inzwischen etwas Tetris gespielt; viele Filme gesehen; in Hong Kong und London umgestiegen; und per Flug-Nr. 948 der British Airways in München angekommen sein. Die Weltreise ist zu Ende, wir sind wieder zu Hause! Schön war´s, aber vorbei ist´s noch lange nicht. 

Wir wollen den Dezember für rückblickende Gedanken nutzen; vermisste Menschen in den Arm schließen; uns auf die Suche nach  einem Job machen; und ja, auch eine gemeinsame Bleibe finden. Denn Doreen und ich, wir wissen jetzt, dass wir - auch auf engstem Raum - miteinander glücklich sind. Das ist das vielleicht Wichtigste, was wir aus der Weltreise für uns mitnehmen.

Außerdem möchten wir ein kleines Vorhaben vorwärts bringen. Wir wollen den Blog als Buch veröffentlichen. Was das betrifft, wären wir für Anregungen dankbar. Was halten unsere lieben Leser von der Idee, hat jemand konkrete inhaltliche Vorschläge, was vermisst ihr an anderen Reise- und Erlebnisbüchern, bzw. kennt jemand jemanden, der uns unter die Arme greift? Wir suchen einen Lektor und / oder Verlag, der die Idee gut findet.  
Der Blog ist also mit unserer Heimkehr keineswegs gestorben. Doreen und ich, wir werden ihn weiter mit Eindrücken und Leben füllen. Zunächstmal gibt es, wie angedeutet, aus Neuseeland noch etliche Geschichten nachzuholen. Hier schonmal eine Handvoll Bilder als Vorgeschmack. Außerdem stehen andere Themen an. Zum Beispiel will Doreen schildern, welche Besonderheiten sie als Frau während der Weltreise erlebt hat. Vielleicht fassen wir die zehn schönsten Orte in einem Text zusammen. Oder erzählen, wie sich unsere Wiedereingliederung in die "Norm" der deutschen Gesellschaft entwickelt. Oder beantworten Fragen. Wer welche hat, die Kommentarfunktion nimmt sie mit Handkuss an. 

Dann mal bis bald, 
Richard und Doreen

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Begegnung mit Moby Dick



Unsere Suche nach Moby Dick hat dann doch noch zum Erfolg geführt. Doreen und ich, wir haben in den letzten Monaten oft nach Walen Ausschau gehalten. Aber weder vor der Atlantikküste vor Argentinien haben sich welche blicken lassen; noch sind wir in den angeblich walhaltigen Gewässern östlich der Südinsel von Neuseeland fündig geworden. 
Unser Nissan treibt uns von
Christchurch nach Kaikoura,
immer die Ostküste hoch. 
Die treibende Kraft hinter der Jagd auf das große Tier bin wohl eher ich. Habe schon als kleiner Junge Bücher über Dinosaurier verschlungen. Seither faszinieren mich geheimnisvolle Kreaturen im XXL-Format. Andere lieben Hunde, Katzen, Delfine oder meinetwegen auch Echsen und Spinnen. Ich mag´s halt eher mächtig, exotisch und selten. Ist ja kein Geheimnis, dass vielen Wal-Gattungen aufgrund allzu gieriger Fischerei ein Aussterben droht.

Unsere Bleibe in
Kaikoura. Kein einziger
Stern, aber sauber und
halbwegs gemütlich.
Während Doreen und ich mit unserem treuen Nissan Sunny durch die Südinsel von Neuseeland touren, flattern immer wieder Handzettel über unseren Aufmerksamkeits-Horizont. Ein kleines Küstenstädtchen namens Kaikoura macht darauf für sich Werbung. Zur Abwechslung mal nicht mit Trekking-Touren, Maori-Schnitzereien oder Extrem-Sportlereien. Sondern mit der Möglichkeit, sich von einem Boot in die See raustragen zu lassen und einen Wal zu finden. Im Fall einer Nicht-Sichtung gäbe es 80 Prozent des Tourpreises zurück - dann hätten wir für wenig Bares immerhin einen schönen Bootsausflug erlebt. Sowas nenne ich mal ein gemachtes Bett. Da müssen wir hin. 
Was für ein Anblick.
Und die Berge sind auch
ganz hübsch. 


Vor Ort fasziniert mich der Blick auf die Landschaft, wie schon so oft in Neuseeland. Schneebedeckte Gipfel zur Linken, rechts daneben die Küste und der weite Ozean - wo gibt es sowas sonst auf der Welt? Wir ziehen in eine gemütliche Hütte auf einem Zeltplatz nahe dem Ortskern von Kaikoura. Zeltplätze in Neuseeland, die darf man sich etwas anders vorstellen als ihre Pendants in Deutschland. In aller Regel einladender. Statt schlammiger Wiesen und schmuddliger Gemeinschafts-Toiletten: schöne Lage, ordentliche Küchen, saubere Duschen. Eltern können ihre Kinder auf dem Spielplatz parken. Das lassen Doreen und ich mangels Nachwuchs bleiben, parken stattdessen lieber ein paar Steaks auf dem Barbecue-Grill. Standard auf Neuseelands Zelplätzen sind außerdem mehr oder weniger luxuriöse Hütten für Nichtcamper wie uns. Manchmal sind diese sogenannten "Cabins" kaum größer als 5 Quadratmeter, und es steht nicht mehr drin als ein Bett. Wir hatten aber auch schon Hütten mit Tisch, Stühlen, Ablageflächen, etwas Geschirr, viel Platz und einlullendem Wohlfühl-Gefühl. Und das für relativ schmales Geld. Vor allem wenn du mit der Mitgliedskarte für eine bestimmte Kette antanzt. "Top Ten Holiday Parks" in unserem Fall. 

Unser Katamaran Paikae. Ein wirklich schnelles und
wendiges Schiff, ideal für die Suche nach schwimmenden
Jungfern, grauen Walen und anderen seltenen Kreaturen. 
Aber zurück zum Wal. Die Tiere - jedenfalls so wie wir sie erleben wollen - bewegen sich in ihrem Revier, in freier Natur. Im Fall des Wales also im weiten Ozean, präziser formuliert im Südpazifik, vor der Ostküste von Neuseelands Südinsel. So eine Jagd nach einem Wal ist mit vielen Unbekannten verbunden: hat das Boot Plätze frei, solange wir in Kaikoura bleiben können? Ist die See ruhig genug? Wie entwickeln sich Wind und Wetter? Zuguterletzt, sofern wir überhaupt auslaufen - bewegt sich gerade ein Tier durch die nähere Umgebung? Und wenn ja, können wir es finden in den riesigen Gewässern und Tiefen vor Kaikoura? 

Als wir um halb zehn Uhr vormittags das direkt an der Küste gelegene Gebäude des Veranstalters / der Reederei "Whale Watch" betreten, empfangen wir eine gute und eine schlechte Nachricht. Das Wetter entwickelt sich prima, die See sollte in ein zwei bis drei Stunden ruhiger werden. Wir können auslaufen. Am Vortag wurden wegen rauer See noch alle Fahrten gestrichen. Durchatmen. Dann der Tiefschlag: Ein Boot ist bereits draußen und findet keinen Wal. Wahrscheinlich kreuzt einfach keiner die Gewässer. Das kommt schonmal vor, kriegen wir erklärt. Daher macht ein Mitarbeiter der Schifffahrts-Gesellschaft uns und unseren Mitreisenden das Trostpreis-Angebot. Wenn wir wollen, können wir auf den Wal pfeifen und einen Sightseeing-Törn die Küste entlang machen. Geknickte Stimmung. Aber nur fünf Minuten. Dann ruft jemand durch den Raum. Kommando zurück - der Pilot eines kleinen Flugzeugs hat einen Pottwal geortet. Los geht´s! 

Die ganze Unternehmung macht auf mich einen professionellen Eindruck. Die Leute wirken geschult. Ich rechne mir gute Chancen aus, dass die erfahrenen Kapitäne den Aktions-Radius und die Bewegungs-Muster von Pottwalen kennen. Am Boot sollte es nicht scheitern. Wir entern einen topmodernen Hochleistungs-Katamaran mit Power satt. Das Ding drückt sich vehement aus seinem Ankerplatz, wendet auf der Stelle, und schießt aus dem Hafenbecken. Wir machen 30 Knoten, erklärt Shannon - der gutgelaunte Neuseeländer ist für uns Touristen als Tourguide abgestellt. 30 Knoten, das klingt nach wenig, aber fühlt sich nach viel an. Der Katamaran schlägt eine Schneise in die meterhohen Wellen, so dass die Gischt der Bugwelle manchmal über das komplette Boot schlägt. "Trotzdem", erklärt Shannon, "werden wir rund eine Stunde bis zu unseren Zielgewässern unterwegs sein". Er nutzt die Zeit, und erklärt die Welt der Wale und des Wassers, wie die Tiere leben, warum sie die Küsten vor Kaikoura schätzen. Solche Dinge eben, verpackt in neuseeländische Sprüchemacherei. Wir haben eine gute Zeit. 

Nach etwa einer Stunde finden
wir einen Pottwal. Bei der Ortung
arbeiten Schwesterschiffe
und der Pilot eines Sightseeing-
Flugzeugs zusammen. 1A-Teamwork! 
Eine Stunde später stoppt das Boot. Fühlt sich wie ein Vollbremsung an. Dass etwas so Großes, auf dem Wasser treibendes, derart plötzlich sein Bewegungsmoment verändern kann? Hätte ich niemals erwartet. Ich beginne zu verstehen, warum wir unsere vier Buchstaben während der Fahrt auf den Sitzplätzen halten sollten. Ich schlendere heckwärts, genieße vom Außendeck aus den Blick auf die ferne Küste, die alpinen Gipfel dahinter, und auf das weite Meer in der anderen Blickrichtung. Ein paar Meter weiter ist Jamie zugange. Unsere Frau Kapitän. Sie hält einen Stab ins Wasser, stülpt sich Kopfhörer über die Ohren. Sie benutzt eine Art Wasser-Mikrofon, erklärt Cameron, einer der Matrosen. Damit kann Jamie Druckveränderungen erfassen und mit etwas Glück den Wal orten. 
Wir treiben eine Weile so dahin, nichts tut sich. Plötzlich schiebt Cameron uns Passagiere in Richtung Kabine. "Alle sofort auf die Plätze, wir starten". Mit einem Ruck hebt sich das Boot, und beschleunigt als gehe es von null auf 100 in unter vier Sekunden. Heftig. Die Fahrt dauert nur kurz. Wir stoppen, Jamie horcht, wir Passagiere schauen Albatrossen und Möwen hinterher… die Prozedur wiederholt sich noch einige Male. Ich gebe fast die Hoffnung auf. Moby Dick bleibt ein Phantom.
Nach rund zehn Minuten an der Wasseroberfläche
krümmt der Pottwal seinen Rücken, taucht ab und
kehrt erst rund 40 Minuten später wieder zurück.
Wer Wale finden will, muss geduldig sein. 

Aber Jamie wurde uns bei Fahrtbeginn als die erfolgreichste Wal-Finderin der Reederei vorgestellt. Sie hält mit ihrem Ruf Schritt. Von einem Ausguck aus ruft ein Matrose, er hätte eine Fontäne gesehen. Ein deutliches Merkmal eines Wals, der an der Wasseroberfläche treibt und "ausbläst", sprich die Atemluft ausstößt. Er tut das in überraschender Nähe zu unserem Boot, vielleicht zweihundert Meter entfernt. Jamie lässt die Motoren kurz anlaufen, lenkt das Schiff in Richtung Wal, lässt es danach in seine Richtung treiben. 

Vom Oberdeck aus haben Doreen und ich einen hervorragenden Blick. Wir sehen die Flanken eines Tieres, dessen Konturen sich gelegentlich aus den Fluten schälen. Graue Farbe, glatte Haut. Ein Pottwal, an die 18 Meter lang, schätzt Shannon. Teile des Schädels und der Schwanzflosse sind gelegentlich erkennbar. Hin und wieder eine Wasserfontäne, ein leichtes rekeln und zittern der Körpers, die Andeutung eines Auges. Wirklich zu sehen ist wenig. Aber das macht mir gar nichts aus. Meine Fantasie vervollständigt das Bild. Meine Kamera kann das leider nicht. Die Fotos fangen die Magie der Szene nicht annähernd ein. Auch nicht das Video. Ich schneid´s trotzdem demnächst in ein "Neuseelands schönste Szenen" rein, dann kann sich ja jeder selbst ein Bild machen. So oder so, für mich war die Walschau ein einmaliges Erlebnis. Und es sollte nicht das letzte Megatier sein, das ich in Neuseeland sehe. Ich sage nur: Riesenkrake. Aber das ist eine andere Geschichte… 

Mehr darüber dann demnächt wal... äh, mal. 
Richard 




Mittwoch, 23. November 2011

Christchurch: Besuch im Epizentrum




Ich glaub´ ich hab´ schonmal erwähnt, wie planlos Doreen und ich in Neuseeland angekommen sind. Wohin wir reisen wollten, was wir sehen möchten - alle unsere Reisevorbereitungen hätten locker auf einem dieser kleinen gelben Postit-Zettelchen Platz gefunden. Wir wollten spontan sein, uns von Erzählungen anderer inspirieren lassen. 
Der Lake Pukaki liegt auf dem Weg
von Wanaka nach Christchurch.
Nur Christchurch stand von vornherein als Etappen-Ziel fest. Jene Stadt an der Ostküste, die so viele Reiseberichte als herrlich englisch, unvergleichlich charmant und wunderbar lebenswert beschreiben. Ich habe den Namen Christchurch allerdings das erste Mal im Herbst 2010 wahrgenommen, als er wegen des starken Erdbebens Schlagzeilen machte. Dass sich am 22. Februar 2011 ein weiteres Beben ereignen würde, haben Doreen und ich kaum mehr wahrgenommen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt  im Herzen von Argentininen unterwegs, da schwebt so manche Information unverrichteter Dinge an dir vorüber… 

Ebenfalls auf dem Weg: Blick auf den
Mount Cook, Neuseelands höchster Berg.
Erdbeben, sowas kenne ich aus Deutschland kaum. Als Kind hat mich mal ein ganz sanftes Beben in der Region München durchgeschüttelt. Habe mir sagen lassen, dass gelegentlich einige Häuser in der Eifel wackeln. Aber sonst? Viele Menschen in Japan, Kalifornien und anderen Regionen auf unserem schönen Planeten leben mit der ständigen Gefahr. Doreen und ich, wir wollten wissen: wie fühlt sich eine Stadt an, die von so einer Naturkatastrophe heimgesucht wurde? Wie wirken sich die Erderschütterungen aus; welche Zerstörungen richten sie an; wie sehr verändert sich das Leben der Bewohner? Sind die Folgen so viele Monate danach überhaupt noch greifbar? 

Nach unserer Ankunft in Neuseeland werden wir überraschend bald mit dem Thema Christchurch konfrontiert. Nämlich direkt nach unserer Landung in Queenstown, drei Wochen und rund 1000 Reisekilometer bevor wir die Stadt erreichen möchten. Im Hostel erzählt uns eine Mitbewohnerin, dass sie ihre Reisepläne ändern musste. Weil nämlich ihr Reisebus Christchurch gar nicht mehr anfahre. Von anderen hören wir, das Zentrum von Christchurch sei komplett gesperrt. Es sei unglaublich schwierig, überhaupt eine Unterkunft zu finden. Die Fahrt lohne nicht, weil es sowieso kaum was zu erleben gäbe. Beim Abendessen lernen wir Cathy kennen. Die Engländerin verbringt einige Monate per "Work & Travel" in Neuseeland. Sie finanziert ihre Reise durch Arbeit zwischendurch. 
Ihr letzter Arbeitgeber: eine Institution namens "Canterbury Earthquake Recovery Authority", kurz "CERA". CERA soll die Aufräumarbeiten koordinieren; Gelder an Erdbeben-Opfer verteilen; Schäden beseitigen. Klappt offenbar nicht sonderlich gut. Die Stimmung in der Stadt sei schlecht, erzählt Cathy. Es gäbe kaum noch Restaurants und Weggeh-Gelegenheiten. Große Teile des Stadtzentrums seien zerstört und können nicht wieder aufgebaut werden, weil der Boden instabil sei. Offenbar wurden Teile der Stadt buchstäblich auf Sand gebaut. Das rächt sich jetzt. Viele flüchten und suchen woanders ein neues Zuhause. Vielleicht flüchten sie auch vor dem Tod: das Beben hat schließlich etliche Menschenleben gekostet. 

In den Außenbezirken von Christ-
church zeigen sich kaum Anzeichen
der Erdbeben, im Zentrum umso mehr. 
Während Cathy erzählt, versuche ich mich in die Lage der Betroffenen zu versetzen. Wenn ihnen jemand Lichter am Horizont zeigte, Bau- und Zeitpläne zum Beispiel, dann müssten die Menschen doch Hoffnung und Kraft schöpfen können. Aber Cathy winkt ab: "Bei CERA weiß noch keiner, wann der Wiederaufbau beginnt." Sie schildert, dass momentan Räumkommandos Trümmer beseitigen und Statiker die Häuser sezieren. Sie sichten Schäden, begutachen Strukturen, sortieren in Kategorien: Unbeschädigt, leicht beschädigt, renovierungsbedürftig, abrissreif. Das  Beben vom Februar ist neun Monate her, trotzdem kann von Sanierung oder gar Aufbau vorerst keine Rede sein? Bin überrascht. Cathys Schilderungen verdichten sich in meinem Kopf zum Bild einer sterbenden Stadt. 

Große Teile des Zentrums sind
gesperrt. Die meisten Gebäude
werden abgerissen.
Etliche Tage später schaukelt uns unser treuer Nissan-Sunny-Mietwagen von Wanaka aus in Richtung Christchurch. Wir fahren an etlichen Naturwundern vorbei, sehen wie der majestätische Mount Cook den Horizont dominiert. Mir fällt ein Stein von Herzen, als wir die Außenbezirke der Stadt erreichen. Nichts zu spüren von Resignation oder Stadtflucht. Ganz im Gegenteil. Es geht zu wie am Münchner Stachus vor Weihnachten. Der dichte Verkehr auf der zweispurigen Einfallstraße stellt meine Konzentration auf die Probe. Mein erstes Mal im "linken" Berufsverkehr. Auf unserem Campingplatz ein ähnliches Bild. Keine Spur von Leere oder trüber Stimmung. Am nächsten Tag dringen wir mit dem Auto problemlos in das Zentrum der Stadt vor. Wir finden für unseren Nissan einen Parkplatz, und sind bereit für unseren ersten Kontakt mit dem Epizentrum. Hier, im Stadtkern, soll es die stärksten Zerstörungen gegeben haben. Mal sehen. 
Der Neuaufbau gelingt nur zögerlich,
aber immerhin: nahe der Lichfield-
Street entdecken wir dieses
provisorische Einkaufszentrum. 

Das Grand-Chancellor-Hotel.  Hat
aufgrund sogenannter
"Bodenverflüssigung" Schieflage,
wird abgerissen.


Jedenfalls, die Sonne scheint. Unser Spaziergang beginnt hoffnungsvoll. In den Außenbezirken haben wir eine Handvoll von Mauern gebrochene Ziegel gesehen. Sonst keine Hinweise darauf, dass hier irgendwann Ungewöhnliches passiert sein könnte. Im Stadtzentrum nähern wir uns einem belebten Platz und entdecken Kurioses: knallbunte Baucontainer, gestapelt als wären sie Teil einer Lego-Stadt. Einige Container sind mit Schaufenstern versehen, andere mit Türen. So entsteht das überraschend elegante Provisorium eines Einkaufszentrums. Komplett mit modernen Straßencafés und Sitzgelegenheiten unter schattenspendenden Bäumen. Dahinter hat ein Kaufhaus geöffnet - na bitte, hier geht ja doch was. Ich genieße die Stimmung. Einige wenige hundert Meter später stoßen wir auf eine Grenze. Ein Maschendrahtzaun verstellt den Weg. Er breitet sich nach links und rechts aus, so weit das Auge reicht. Ich schätze das abgeschirmte Areal ab, schätze es so groß wie die Münchner Altstadt. Ein Verbotsschild warnt vor dem Zutritt zu dem, was hinter dem Zaun liegt. Die ursprüngliche Fußgänger- und Einkaufszone, denke ich mir. Ist die kleine Container-Einkaufs-Stadt ein Ersatz dafür, ist sie das Werk improvisationsbereiter Kaufleute? Der Bereich hinter dem Zaun jedenfalls ist tot. Kein Mensch zu sehen. Alles leer und staubig, Fassaden in Trümmern, Scherben auf dem Boden. Kaufhäuser, Restaurants und Büros sind verlassen und geschlossen. Ich versinke in Gedanken, Doreen holt mich zurück in die Realität: "Jetzt weiß ich, warum alle Hotelzimmer ausgebucht waren. Die großen Hotels sind ja fast alle dicht". Stimmt. Und das in der größten Stadt auf der Südinsel von Neuseeland; mit dem immer noch belebtesten Flughafen, von Auckland abgesehen.

An einem Sicherheits-Zaun ist diese
Tafel angebracht. Interessant, welche
Gefahren in einem
ehemaligen Erdbeben-Gebiet lauern...


In einiger Entfernung sehe ich einen Godzilla von einem Kran in den Himmel ragen. Von einem Ausleger baumelt die Mutter aller Kneifzangen, ein riesiges Ding. Die dinosauriergleiche Maschine beißt sich in die Wand eines Hochhauses, schneidet durch den Stahlbeton wie eine Schere durch Pappe. Daneben kämpft ein noch höheres Gebäude um sein Gleichgewicht, steht deutlich schief. Ein kurioses Bild. Ich bremse meine Schritte und beobachte das Dach. Einige Menschen scheinen dort zu arbeiten. Plötzlich heben sich Teile der Dachkonstruktion nach oben, baumeln am Arm eines 100 Meter langen Kran-Auslegers, schweben dann nach unten. Später erfahre ich, was da abgetragen wird: das Hotel Grand Chancellor. Der Boden hat nachgegeben, ist instabil geworden. Der Abriss dieses einen Gebäudes alleine kostet 16 Millionen Neuseeland-Dollar, rund 9 Millionen Euro. Hunderten Häusern steht ein ähnliches Schicksal bevor. Während ich die Szene beobachte, macht sich eine Mischung aus Melancholie und Hoffnung in mir breit. Das hier wird noch Jahre dauern.  

Einige ehemalige Bewohner
des Stadtzentrums scheinen
unzufrieden mit dem
Tempo des Wiederaufbau...
Christchurch krallt sich fest in meine Gedankenwelt, auch einen Tag nach unserer Abreise. Erst da wird mir bewusst, dass Neuseeland insgesamt nur vier Millionen Einwohner hat. Da stellt sich schon die Frage, wer all die Schäden bezahlen soll. Viele Hausbesitzer hatten nach dem ersten großen Beben von ihrer Versicherung Geld erhofft. Einige haben Teilbeträge erhalten, viele nicht. Während unserer Weiterreise treffen wir Günter und Elfie. Das Paar aus Österreich lebt seit 25 Jahren in Neuseeland. Sie erzählen, dass alle Unternehmen im Zentrum von Christchurch dichtgemacht haben, oder umgezogen sind. Die Angestellten müssten sehen, wie sie damit klarkommen. Sie dürfen nicht einmal Läden oder Büros aufräumen, weil CERA nur wenigen Menschen Zutritt zum gefährdeten Stadtbereich erlaubt. 
...drum verlassen etliche die Stadt und
ziehen raus auf´s Land.

Deshalb geht also alles so langsam vorwärts. Und weil die Versicherungen Schadensgelder zurückhalten. Sie tun das auf Basis einer Klausel, erzählt Günter. Wer Geld beantragt, kriegt es nur ausbezahlt, wenn nach Festlegung der Schadensumme durch die Versicherung 20 Tage lang keine Nachbeben mehr auftreten. "Nachbeben haben wir hier aber ständig", sagt er, "Neuseeland befindet sich nunmal in einer tektonisch aktiven Zone". Deshalb hat er seinen Job als Schreiner aufgeben müssen: "Die Leute in Christchurch haben halt jetzt andere Dinge im Kopf als neue Möbel." 

Letzten Endes haben die Tage in Christchurch mein Weltbild wieder ein kleines bisschen verändert. Ich war naiv. Hatte vorher nur oberflächlich drüber nachgedacht, wie die Schadensbewältigung nach einem Katastrophenfall läuft. Hatte immer geglaubt, dass Menschen, die eine bedrohliche Notlage überleben, danach irgendwie Hilfe kriegen. Sozusagen automatisch, durch Nächstenliebe, Spenden oder Regierungen oder was weiß ich. Erst recht in einer so hochindustrialierten Nation wie Neuseeland, gerade nach so großer Medien-Berichterstattung wie im Fall der Erdbeben von Christchurch. In der Realität läuft das offenbar anders. Viele Menschen, die ihr Haus verloren haben, mussten den neuseeländischen Winter auf dem Campingplatz verbringen. Von den Menschen, die Angehörige verloren haben, weiß ich nichts. Ich bin dankbar, dass mir solche Gespräche erspart geblieben ist.


Mir fällt grad kein passendes Abschiedswort ein, 
Richard