Dienstag, 22. Februar 2011

Hafenstimmung in Buenos Aires...


Gestern Abend: Doreen und ich beschließen, das wir ins Kino gehen wollen. Filme laufen hier in Argentinien in aller Regel im englischen Original, mit spanischen Untertiteln. Kein Problem also, dass wir kaum spanisch sprechen. Las peliculas cueastan casi nada; Filme kosten übrigens fast nix hier: 4 Euro für 2 Karten als Sommeraktion. Wir gucken El Cisne Negro, läuft in Deutschland glaub ich als Black Swan. Ich fand den Film schön,  hätte mir angesichts des Themas - Schwanensee-Ballett - aber weniger Gewalt und eine eleganter Erzählweise gewünscht.  Doreen fand den Film "eklig" und hat mich gefragt, wer mir den Film empfohlen habe. Sie: "Bestimmt Männer, oder?". Ich: "Äh... ja".


Wir hatten aber beide einen schönen Abend. Sind ein bisschen durch die Straßen geschlendert. Durch das Tangoviertel San Telmo und weiter Richtung Rio Plata, in das Hafengebiet, das Barrio Puerto Madero. Wer Hamburg mag, wird dieses Viertel lieben. Du schlenderst am Kai entlang, begleitet von roten Backstein-Häusern - früher vermutlich mal Lagerhallen, heute schicke Restaurants direkt am Kai. Dazwischen immer wieder uralte Hebekräne aus Eisen und Holz, heute ein toprestaurierter Blickfang. In der Ferne siehst du die Wolkenkratzer des Büro- und Bankenviertel schimmern; oder lässt dein Auge auf dem 1898 gebauten Navy-Segelschiff Fragata Sarmiento ausruhen, das heute als Museum dient. Viele Leute genießen die entspannte Stimmung hier, die Cafes und Lokale. Schön hier, quasi ein kleiner Urlaub innerhalb der Weltreise.


Ich mag das Wasser,
Richard



Montag, 21. Februar 2011

Wir tanzen Tango die ganze Nacht


Argentinas capital welcomes
us with rain and dirt allover the place.
All english captions
this time btw., to keep our US-friends
 Doug and Dene happy.... ;-)

Buenos Aires, wir sind angekommen! 22 lange Busstunden hat´s gedauert von Villa la Angostura bis hierher. Und einen Tag der Eingewöhnung. Oder eher zwei? Die Ankunft am Busterminal hat uns jedenfalls geschockt. Buenos Aires ist eine 13-Millionen-Stadt und besitzt nach Hören und Sagen einen riesengroßen, mehrstöckigen Busterminal. Wir haben damit auch das Wort "modern" asoziiert. Weit gefehlt. Als wir in die Straße des Terminals biegen, stehen uns beiden die Münder offen. So etwas haben wir selbst hier in Südamerika noch nicht gesehen. Baracken, menschenunwürdige Verschläge, Dreck ohne Ende. Und das in einer angeblich so reichen Stadt wie Buenos Aires. Richard, wo hast du mich da nur hingebracht?

Now this is more like the capital
of Argentina, right? This is where the
politicians are supposed
to do their job, we think. 
 Liebe Doreen, tut mir leid. Ich hab was ganz anderes erwartet. Die Perle Südamerikas, prächtige Bauten, stolze Argentinier, sowas eben. Keine Ahnung, warum Bahnhöfe immer in den schlimmsten Vierteln einer Stadt untergebracht sind. Oder warum Stadtviertel nach dem Bau eines Bahnhofs verkommen. Hier ist das jedenfalls ganz extrem. Du hast ja auch den Kerl gesehen, direkt nach dem Ausgang. Der eine herumliegende Mülltüte aufgerissen, sich irgendwas darin gegriffen und das in seinen Mund geschoben hat. Danach sind wir zwischen Pfützen, Dreck, Papier, Flaschen und undefinierbaren Fetzen balanciert, Richtung U-Bahnhof. Ich habe gehofft, dass es fünf Stationen weiter besser aussehen würde, in der Umgebung unseres Hostels. Besser ist´s ja auch, aber immer noch schlimmer als in den übleren Gassen im Hasenbergl. Wie hast Du das so schön formuliert? "Sieht so aus, unser Durchhaltevermögen wird hier auf eine härtere Prüfung gestellt". Stimmt. Aber das Hostel, das ist dann doch ganz in Ordnung, gell?  

The first day, we invest ten Euros into a
2,5-hour-trip with a Touristic-Bus.
Good decision. Helps to get an overview
over this massive town. 
Our Hostel "Sabatico". Not in the prettiest
of barrios, but pretty in itself. 
Jap, liebster Retter von Sparta (jeder wählt seinen Kosenamen heute selber *g*). Unser Hostel ist echt super. OK, ich übertreibe, aber bei dem Zimmer auch kein Wunder. Bei 0-Sterne-Unterkünften - wie es Hostels eben sind - findet man in Südamerika schon heftige Zimmer und auch Bäder vor. Toiletten, die nicht dicht sind und deswegen natürlich einen gewissen Geruch absondern, Betten, die gerade noch Deine 60 Kilochen halten, aber man Angst hat, wenn man womöglich ein Kilo zunimmt und Türen, die sogar ich im Schlaf aufbrechen könnte. Naja, aber unser Zimmerchen ist ein Traum. Sogar Deko gibt es hier. Kunstblumen mit Dekosand in einer Vase arrangiert und auch extrem hübsche uralte bunte Soda-Syphons zur Lampe umgebaut. Ich bin begeistert…von unserer Unterkunft und den Soda-Syphons. Und da kenne ich noch jemanden…

Second day, we stroll around the
barrio San Telmo:  all charming
with its cute
little streets, flea
markets,artisans and
street performers.
As you can see, Argentina has
not changed Doreens habits
a single bit. She´s still happy
 when she shops
something cute like this... 
Ja, meine Fee aus dem Zauberwald, die Teile geben ein hübsches Fotomotiv ab. Ich meine, in welcher anderen Stadt verkaufen sie denn bitte Bar-Zubehör als Souvenir? Hier tun sie sowas. Überhaupt könnte ich mich hier dumm und dusslig kaufen bei unserem Bummel heute durch das Barrio San Telmo, bzw. den Flohmarkt (klicken, gedulden, Video gucken ;-) dort. Hätte ich keine Rücksicht auf unser Gepäck nehmen müssen, dann hätte ich jetzt mindestens: ein Grammophon; ein rostiges Auto-Nummernschild mit Aufdruck "Argentina" und den Initialen "ric"; ein interessant faltbares Militär-Klappmesser; ein Toiletten-Blechschild mit dem Aufdruck "Bano"; ein unfassbar gut erhaltenes Triumph-Zweizylinder-Motorrad aus den 50er-Jahren; und eben einen Syphon, weil die Teile einfach gut ausschauen im Regal einer Männerbude. So muss ich mich eben zufrieden geben mit: einer CD "Musica de Iran" einer Bande türkischer Straßenkünstler; einem Minimauspad für mein Mac; und einer neuen Shorthose als Ersatz für mein inzwischen verschandeltes Exemplar. Unser Bummel heute durch San Telmo, mit seinen kleinen Gassen, den vielen Lädchen, den romantischen Innenhöfen, wirklich herrlichen Antiquitäten und den Marktständen überall, der hat mich mit der Stadt versöhnt. Ich glaube, das heute hat uns beiden gut getan. Am besten an Buenos Aires hat mir bisher der Auftritt der brasilianischen Trommlergruppe (klicken und hören!) gefallen. Und dir? 

Buenos Aires is filled with coffee culture.
You find cafes every corner. Also, please notice the
nice Triumph-motorbike in the background.
Doreen in front of one of the
many old buildings you can find
in Buenos Aires. If you keep your
eyes open, that is... 
Trommeln ist wohl eher Männersache, da könnt ihr mal richtig zeigen wer der Herr im Haus ist :o) Gestern, während unserer 2,5 stündigen Touri-Bus-Fahrt, die uns nicht nur zu vielen Sehenswürdigkeiten, 1000en von Denkmälern, sondern auch in ganz verschiedene Barrios (Stadtviertel) geführt hat, war ich ganz begeistert von dem Viertel La Boca. Eines der armen Arbeiterviertel mit vielen einsturzgefährdeten, vergitterten, aber auch wunderschönen, bunten Häusern. Ist der Tag der Portenos
(Buenos Aires´ianer) komplett mit Tango ausgefüllt, sodass sie sich mit diesen Zuständen zufrieden geben? Der Tanz ist uns heute eigentlich zum ersten Mal begegnet. Zwischen den Ständen des Antiquitätenmarktes, das Tango-Pärchen. Dass das eine Tango-Demonstration war, habe ich aber eher nur an der Musik erkannt. Die Dame war doch wohl schon sehr demotiviert von ihren wöchentlich wiederkehrenden Auftritten vor etlichen Touristen, sodass die typischen Tango-Bewegungen bis zuletzt auf sich warten ließen. Aber trotzdem war es ein kleiner Vorgeschmack auf die Tangoshow, die wir uns hoffentlich diese Woche noch anschauen werden. Hast Lust? 

Buenos Aires is all filled up with Streets
and victorian-stylebuildings, but you can
 find a couple of parks. At weekends,
the "Portenos" gather here to eat,
play soccer, hang out.  
Probably the most overwhelming
building in the city centre. Belongs
to... you guessed right: Oil company. 
Klar, meine Goldmarie. Tanzen interessiert mich zwar weniger, Erotik hin, Hingabe her. Aber ich würde das wirklich gerne mal sehen wollen, wie sich ein aufeinander eingespieltes Paar vollkommen der Musik hingibt. Klasse wär´s, wenn sie dabei zumindest zwischendurch zu dieser modernen Variante der Tangomusik Gas geben. Gotan Project zum Beispiel, was wir im letzten Hostel kennen gelernt haben. Hoffe, dass ich in Buenos Aires Zeit finde, die CD richtig zu genießen. Hier gibt´s ja wirklich Sachen ohne Ende, die wir angucken und ausprobieren könnten… dabei haben wir noch letztens beschlossen, dass wir mindestens zwei Tage pro Woche gar nichts unternehmen. Thema Entschleunigung. Bin mal gespannt, ob wir das hier durchziehen. Bleiben wir vielleicht doch zwei Wochen hier? 

Gruß von Euren Argentinien-Korrespondenten (aus dem Touri-Bus, mit Kopfhörer für deutschsprachige Erläuterungen). 

Doreen und Richard 
Richard talks to three turkish
travellers, who collect money
by playing interesting sufi- and
iran-music. One of those CDs to the
left is Richards now... 
Amazing: the tourist doppeldecker
bus gets through the tiniest of
streets without harm. But: Attention
 when standing up. Trees approaching!
At the flea market in San Telmo,
you´ll can some pretty strange stuff.
Even books like this. Probably not seen
in Germany after 1945.  
Doreen has a passion for flags. No one knows, why. But here is proof. 

A couple of those syphon-things,
which are talked about in the main
text. Barmixers dream, not? 

Mittwoch, 16. Februar 2011

Das Monster vom Lago Nahuel Huapi





Der Lago Nahuel Huapi. Das blaue
Ding im Vordergrund, das ist
NICHT das Seemonster!
In der Gegend rund um Villa La
Angostura lässt sich´s
herrlich radeln. Hier der Bildbeweis.
Doreen und ich haben ja nun beschlossen, dass - jeder für sich - öfter mal seine eigenen Vorhaben durchzieht. Und so bin ich letztens also zweimal alleine los spaziert, mich orientieren und die Gegend um Villa La Angostura erkunden. So eine Wasserratte wie mich, die zieht es natürlich erstmal Richtung Ufer. Villa La Angostura liegt zwischen zwei Seen eingeschlossen, dem kleinen Lago Correntoso und dem großen Lago Nahuel Huapi. Hier wollen manche Menschen ein Seeungeheuer gesehen haben; den Bruder vom Loch-Ness-Monster; Nessiehuapi sozusagen. Die Indianer nennen das Tier Nahuelito. Mir ist das laut Wikipedia 4,50 bis 45 Meter lange Wesen mit dem Schlangenhals nicht begegnet. Dafür habe ich bei meinem Spaziergang am See entlang einen wundervollen kleinen Puerto in einer Bucht entdeckt; einen Hafen mit einem Steg und ein paar Motorbooten, und Felssteilwänden am Gegenufer, die den idyllischen  Anblick komplettieren. Tour Nummer Zwei hat mich an einen erstaunlich einsamen Strand geführt. Du liegst auf dunklem Sand im Schatten von Büschen und Nadelbäumen; schaust auf den kristallklaren Lago Nahuel Huapi und denkst dir: "Schade, dass Doreen das jetzt nicht sehen kann!"


Doreen führt ihr wunderschönes
Sommerkleid aus... 
Schnappschuss bei Abendsonne
in einem Cabalgatas = Reiterhof.
Zwei Tage später ziehen wir aber gemeinsam los, wiederum in eine andere Himmelsrichtung. Diesmal entlang der idyllischen Ruta 231 Avenua Siete Lagos, die an sieben Seen entlang bis nach Chile quer durch die Anden führt. Mit das schönste Stück Asphalt, das ich in meinem Leben gesehen habe. Hier muss ich irgendwann unbedingt mit dem Motorrad her. Jedenfalls, wir also gleich nach dem Frühstück los, vorbei an Wäldern, Pferdekoppeln und herrlichen Anwesen; und entdecken nach rund anderthalb Stunden Marsch See und Sandstrand. Mitten in den Bergen gelegen; ein bis zwei Häuser an den Hängen zu erahnen; sonst nur Wälder, Gipfel und kristallklares Wasser, das dich noch in drei bis vier Meter Tiefe den Grund erkennen lässt. Eigentlich wollten wir uns an diesem Tag maximal zwei bis drei Stunden hier aufhalten, und am frühen Nachmittag wieder zurück im Hostel sein. 

Der Strand des Lago Correntoso füllt sich 
immer erst ab 17 Uhr mit Leuten.
So sieht das Seengebiet von einem
erhöhten Mirador = Aussichts-
punkt aus. 

Tatsächlich suchen wir uns ein schattiges Plätzchen zum Dösen; albern im Wasser herum; betrachten den Strand, wie er sich Stunde um Stunde mit Menschen füllt; lesen, reden und merken gar nicht, wie die Zeit vergeht. Plötzlich ist es Abend, und ein herrlicher Tag neigt sich dem Ende zu. Schade nur, dass aus dem Spaziergang nach Hause nichts wird. Den verderben uns nämlich zwei Streuner. Die Tiere - beide Typ Schäferhund-Mischling-mit-Irgendwas - kleben sofort nach unserem Aufbruch an unseren Fersen, laufen mal vor und mal neben uns; und bleiben immer in unserer Nähe, auch nach einem Kilometer Strecke. Nun gibt es sicherlich Menschen, die in so einer Situation entzückt sind. Aber Doreen und ich, wir waren noch nie Mitglied im Verein der Hundefreunde. Wir wollen kein Rudel gründen, und würden gerne auf Begleitung verzichten. 

Gauchos gibt´s in Argentinien kaum noch; 
aber reiten kannst du fast überall. 

Doreen hat mir dieses Armband geknüpft.
 Ist es nicht wunderschön? 
Zumal die beiden Tiere genau den verwanzten Eindruck machen, der sich einem als Bild im Kopf aufdrängt, wenn man an südamerikanische Straßenköter denkt. Also, was tun? Wir wissen uns keinen besseren Rat, als an der nächsten Parada - zu deutsch: Haltestelle - zu warten und mit dem Bus weiter zu fahren. Nunja, es gibt Schlimmeres, als sich für zwei argentinische Pesos in einem alten, grünen, abgekasperten US-Schulbus lässig durch die Gegend schaukeln zu lassen. Zum Beispiel am nächsten Morgen einkaufen gehen, und schon wieder zwei Streuner an den Hacken zu haben. Kein Witz. Nur sind diese beiden Tiere noch aufdringlicher. Der Schäferhund humpelt; der Schlittenhund hat teils ausgerissenes Fell. Denkt der, ich hab ´nen Kamm dabei? Stehen die auf mein Duschgel? Oder das Bananen-Aroma aus meinem Rucksack? Keine Ahnung. Ich weiß nur, wenn mir das noch öfter passiert, krieg ich den Verfolgungswahn. Zum Glück ist eine Ex-Kollegin aus alten 360-Live-Tagen so lieb, und schickt mir per Email ein paar Verhaltenstipps zu. Sie schreibt, wir sollen es mit Ignorieren und ZItronenaroma probieren, statt mit Steinewerfen und Pfefferspray. Na, einen Versuch ist´s wert. 

Die Wälder rund um den
Cascada Inacayal sind
fast noch unberührte Natur.
Kurz nach dieser Aufnahme sind wir
hinten den Wasserfall rauf-
gekraxelt. Siehe Video...  (klicken und
Geduld haben ;-)
Übrigens, Doreens Beziehungsarbeit zeigt in den letzten Tagen Wirkung. Wir hatten einen wunderschönen Valentinstag, gefüllt mit einer tollen Fünf-Stunden-Wanderung durch völlig unberührte Wälder rund um die Wasserfälle der Cascada Inacayal. Abends dann die laut Doreen "leckerste Pizza ihres Lebens" in der Pizzeria La Encantada. Ich habe das erste Mal seit Mitte Dezember wieder Zeit gefunden, um an meinem iPhone-Game "Twinki Run Run" weiter zu basteln. Und habe ein Buch angefangen. "Francisca, yo te amo" von Jose Luis Rosasco. Ein bilingualer Jugendroman in spanisch und englisch. Den hat sich Doreen letztens in Puerto Varas gekauft, verbunden mit der Hoffnung, dass wir damit unsere Spanischkenntnisse vervielfachen. Leider ist das Werk aber halt von einem Literatur-Preisträger verfasst, der extrem mit Wortschatz und Sprachbildern arbeitet. Bei einigen Sätzen bin ich froh, wenn ich  ein Wort erkenne - geschweige denn den Zusammenhang. Aber ich hab ja Zeit zum lesen, vor allem übermorgen. Da fahren wir mit dem Bus ans nächste Etappenziel: Buenos Aires. 


Freue mich auf 22 Stunden ganz vorne im Bus, 























Sonntag, 13. Februar 2011

Beziehungsarbeit im Andenparadies


Die Busfahrt von Esquel nach 
Villa de Angostura führt durch 
wunderschöne Landschaft… 
Gipfel. Holzhäuser. Mountainbiker. Blauer Himmel, klare Bäche und herrliche Seen wohin du blicken kannst - nein, uns hat es nicht frühzeitig wieder zurück ins bayrische Voralpenland getrieben, nach Garmisch oder  an den Kochelsee. Vielmehr sind wir in Villa de Angostura gelandet, einem kleinen Ferienort in den Anden, im sogenannten Seengebiet von Patagonien. Doreen und ich, wir sind hier schonmal mit dem Bus durchgekommen, vor einiger Zeit, auf dem Weg von Puerto Varas nach Puerto Madryn. Wenn du hier durchfährst und die Idylle an dir vorbeifliegt, dann machst du ganz große Augen, und ein melancholisches "Oh, wie ist das schön hier!". So auch bei mir, als wir seinerzeit hier durchgegondelt wurden. Ich hatte nicht zu träumen gewagt, dass es uns nochmal in dieses südamerikanische Bergparadies verschlagen würde. Schließlich, warum dieselbe - oder zumindest eine ähnliche - Route ein zweites Mal fahren? Aber was soll´s. Wir sind auf Reisen, da darf man auch mal Schleifen drehen. 
Großes Bohai, als während der 
Busfahrt  eine Kolonne aus Lambos
 und Porsches am Bus vorbeiröhrt.
 Leider viel zu schnell für meine Kamera. 

Also haben wir uns in Esquel dazu entschlossen, dass wir nach etlichen weniger attraktiven Städten mal wieder was Hübsches sehen wollen. Dass wir einen Ort besuchen, wo wir einfach nur abhängen können. Keine großen Vorhaben, nicht ständig von A nach B hetzen - sondern bitte ein einladendes Hostel in einer einlullenden Umgebung. Hat geklappt. Unser Hostel namens Don Pilon liegt drei Gehminuten vom  Ortszentrum entfernt, wo sich kleine Gasthäuser, Trekking-Shops und Klamotten-Stores dicht an dicht drängen. Hier gibt es auch endlich, was ich so vermisst habe, und was in Südamerika selten zu sein scheint: Cafés mit (einladender) Außenbestuhlung, und Grünanlagen mit (schattigen) Parkbänken. Unser Zimmer? Halbwegs sauber, gepflegter Holzboden, schön groß. Aus dem Bett sehen wir durch ein großes Fenster einen Stapel Feuerholz; dahinter das dichte Grün etlicher Buchen und Birken; in Richtung Horizont zeichnen ein paar Berge sanfte Schwünge aus Braun und Ocker in den hellblauen Himmel.  

Ankunft am zentralen Plaza San Martin.
Hier gibts am ersten Abend ein gratis
Deathmetal-Konzert... Moritz, Nick, Ann,
das wär´ was für Euch gewesen! 
Jedenfalls sonst immer, nur heute nicht, denn heute regnet es Schnürl. Eine willkommene Abwechslung nach all dem gleißenden Sonnenschein der letzten Tage. Viel gemacht haben wir trotzdem nicht. Doreen hat sich drei Tage gewünscht, in denen sie gar nichts tun darf; drei Tage in denen ich sie nicht zu irgendwelchen Aktivitäten anstachele. Doreen und ich, wir haben viel geredet in letzter Zeit. Und haben dabei festgestellt, dass wir uns beide nicht wirklich erholt fühlen; sondern dass wir mehr unter Druck stehen, als dass bei einer Weltreise der Fall sein sollte. Die Gründe sind sicherlich vielfältig. Bestimmt hängt einiges damit zusammen, dass ich in meinem bisherigen Leben noch nie eine derart innige Beziehung geführt habe, wo ich mit einem Menschen für Tage und Wochen praktisch die ganze Zeit verbringe. 

Villa de Angostura besteht fast 
nur aus Grünzeug, Holz- und Steinhäusern. 
Das hat dazu geführt, dass ich oft nicht die Dinge getan habe, die ich gern getan hätte. Ich bin manchmal aus falsch verstandener Rücksicht früh ins Bett gegangen; habe viel Zeit mit Warten verbracht, statt einfach zu tun, wonach mir ist. Mach sowas zu lange und zu oft, dann setzt ein leichtes Unbehagen ein. Zum Beispiel habe ich mein Macbook ja eigentlich mitgenommen, um während der Reise mein iPhone-Game "Twinki Run Run" fertig zu entwickeln. Tatsächlich ist in den Wochen seit unserer Abreise gar nichts passiert. Ich habe ab und zu mal die Entwicklungs-Software gestartet und geguckt, ob der bisher entstandene Code noch funktioniert  - für mehr habe ich nicht die Zeit und nicht die Muse gefunden. Doreen geht´s ja ähnlich. Sie will mehr zur Ruhe kommen als ich; will dösen; lesen; Armbänder knüpfen; aber nichts davon ist in einer Art und Weise gelungen, dass sie rundum glücklich wäre.   

Blick aus unserem Zimmer, 
vom Bett aus...
Deswegen haben wir geredet. Und beschlossen, dass wir verschiedenes ändern. Wir entschleunigen vor allem den Reiserhythmus. Wir fahren nicht mehr alle fünf bis sieben Tage die nächste Etappe an, sondern bleiben auch mal länger. In Villa de Angostura zum Beispiel werden wir elf Tage verbracht haben, wenn wir kommenden Donnerstag abreisen. Dieses Plus an Zeit wollen wir für mehr Selbstverwirklichung nutzen. Soll heißen: Ich rede Doreen nicht mehr ständig ein, dass wir möglichst alle Ziele in der Umgebung besuchen, bewandern, befahren und erkunden müssen. Sondern ich verzichte auf Action, um selbst endlich zur Ruhe zu kommen. Oder wenn Action, dann gebe ich sie mir manchmal eben alleine. Denn wir haben seit Ende Dezember ja wirklich jede Minute zusammen verbracht. Und das mir, als eingeschworenem Einzelgänger! Der ich bis vor kurzem noch Panik bekommen habe, wenn ich in meiner Bude in München einen Gast länger als zwei Tage aufnehmen sollte. 
Doreen bei der Beziehungsarbeit ;-)

Jetzt sind Doreen und ich schon bald zwei Monate zusammen unterwegs, und das bisher ohne einen einzigen größeren Streit. Das ist wohl größtenteils Doreens Verdienst. Sie besitzt eine unglaubliche Gabe, die eigenen Gefühle und die meinen zu erkennen, zu deuten und in Zusammenhang zu bringen. Sie ist die unermüdliche "Beziehungsarbeiterin" von uns beiden. Und dafür bin ich ihr sehr, sehr dankbar. Ebenso wie  für die Tatsache, dass mich das Seemonster vom Lago Nahuel Huapi nicht gefressen hat. Aber das ist ein anderes Thema. Eines für den nächsten Blog…

Hasta luego,
Richard 

Dienstag, 8. Februar 2011

Esquel und das Labyrinth der Lagune (Teil 2)



So sieht das aus, wenn man die Lagune 
umwandern will. Kein Wanderweg, dafür wilder
 Busch und skelettierte Schädel.
Auf der Suche nach einem Weg um die Laguna La Zeta herum wandern wir immer weiter, immer am Zaun entlang, hoffen auf einen Weg zwischen den Weiden. Aber es kommt keiner. Kilometerweit nur Zaun und Steppen. Irgendwann treffen wir vier argentinische Mountainbiker. WIr können kein spanisch, die kein englisch. Also erklären sie uns mit Händen und Füßen, dass wir umkehren sollten. Alternativ könnten wir den rund 400 Meter hohen Berg vor uns querfeldein überqueren und so nach Esquel zurück finden. Die Hunde, die wir in der Entfernung bellen hören; nein, die seien kein Problem. 

Direkt am Laguna La Zeta: fast kein
 Lebewesen, außer diesem Pferd.
Jasmin, das Foto ist für dich!
Am Ende hat uns die Lagune wieder.
Ein ereignisreicher und eindrucksvoller
Tag geht zu Ende.
 


Wir verstehen die Orientierungs-Tipps der vier Mountainbiker so, dass wir den Berg über die Weiden vor uns problemlos erreichen würden;  steigen über den Zaun, und marschieren weiter - Doreen mutig drauflos, ich mit flauem Gefühl im Magen. Wir sehen einen skelettierten Tierschädel; einen einsamen Baum mitten in der Pampa; wunderschöne Landschaftsbilder wie aus Western-Filmen. Aber dann stehen wieder Pferde und Rinder im Weg, diesmal überall in Marschrichtung. Da dran vorbei? Dabei haben wir noch nicht mal den Fuß des Berges erreicht; und keine Ahnung, ob und wie es dort dann weiterginge. Sorry, das ist mir hier mitten in der menschenleeren Pampa zu viel des Mutes - oder des Leichtsinns. Ich überrede Doreen zur Rückkehr. Einen warmen Regenschauer, ein paar Dornbüsche, und etliche Kilometer später erreichen wir wieder die Lagune und damit vertrautes Gebiet. 

Unser Tagesausflug in das besuchenswerte 
Örtchen Trevelin. Der Wind tobt, die Frisur sitzt, 
jedenfalls fast. 
Den folgenden Tag nutzen wir für einen kurzen Trip in das Nachbarörtchen Trevelin. Meine Güte, ist das hübsch hier! Gepflegte Straßen, einladender Park, Unmengen an tollen alten Autos. Wer einen alten Citroen DS oder Ford F100 Pickup sucht - hier fahren sie im Dutzend herum! Oben auf dem Hügel entdecken wir  ein herrchliches Hostel, mit Garten, Liegestühlen, die Einrichtung aus vollstem Holz geschnitzt. Wunderbar, aber leider vorerst kein Platz mehr frei. Sonst würden wir sofort umziehen. Hier wollen wir irgendwann nochmal her. 

An der Hauptstraße treffen wir zwei Deutsche. 
Sie kommt aus der Nähe vom Chiemsee, 
und verkauft jetzt  Sonnenöfen
 in Argentinien. Nett, mit Euch
 geplaudert zu haben! 
Trevelin wurde irgendwann 1850 herum 
von einem Waliser gegründet. Zwei Teestuben
 halten die Teezeremonie am Leben.  
Den Abend gestalten wir mit  weiterer Reise-Grobplanung: Wir wollen Patagonien demnächst verlassen, in Richtung Zentralargentien, genauer gesagt Mendoza. Danach weiter nach Buenos Aires an die Atlantikküste, dann zu angeblich ganz tollen Wasserfällen oben im Norden. Dazwischen vielleicht noch ein kurzer Flug nach Rio de Janeiro, eine Freundin von Doreen besuchen? Vorher gönnen wir uns auf jeden Fall eine Belohnung: paar Tage Zwischenstopp im idyllischen Villa de Angostura, ein beschauliches Örtchen rund fünf Bus-Stunden nördlich von Esquel. Mitten in den Bergen, aus lauter Holzhütten bestehend. Nicht sehr südamerikanisch, sondern eher touristisch. Und damit genau das, was wir jetzt brauchen. Abends noch schnell ein paar Emails geschrieben, so ist eine neue Bleibe flott gefunden. 
Du kannst während der Fahrt 
den Kopf aus dem Fenster
 halten und deppert grinsen…

"La Trochita": die Drei-Stunden-Zugfahrt 
mit einer alten Henschel-Dampflok 
zum kleinen Mapuche-Indianer-Dorf 
 Nahuel Pan lohnt.
Unser letzter Tag in Esquel wird nochmal richtig hübsch: Wir fahren Zug, genauer gesagt "La Trochita". Eine alte Schmalspur-Dampflok müht sich mit knarrenden Passagierwagons ab. Eine rund 400 Kilometer lange Zugverbindung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Transport von Schafwolle aus dem ländlichen Esquel in die industrialisierten Regionen im Norden gebaut. Heute fahren kaum noch Züge in Argentinien, aber der hier wird als Touristenattraktion Tag für Tag zweimal 20 Kilometer lang über schmale Gleise gescheucht. Und das ist toll. 

… oder die Fahrt genießen und sinnieren, 
wie sich die Menschen damals 
vor 65 Jahren gefühlt haben mögen. 
Wir schaukeln gemächlich durch die Landschaft; lassen das Holzfenster herunter; recken den Kopf ins Freie. Und du kannst hier tun, was im sicherheitsvernarrten Europa niemals mehr denkbar wäre. Du kannst während der  Fahrt den Waggon nach hinten heraus verlassen; stehst dann unter freiem Himmel auf der kaum gesicherten Waggonkupplung; und kannst dich so in Richtung Speisewagen hechten. Ich mache das natürlich nicht sofort; sondern halte mich am Geländer fest,  lasse mich seitlich ein bisschen ins Freie hängen, genieße den Fahrtwind; den fein perlenden Dampf und das "Tschufftschuff" der alten Henschel-Lok aus Deutschland. Drüben im Speisewagen bringt uns eine nette ältere Dame Kaffee, Kakao und Apfelkuchen, und wir genießen die Sicht auf die Umgebung und winkende Menschen unten auf der Straße. Schöner Abschied aus Esquel. Freue mich trotzdem auf lecker Frühstück in unserer nächsten Station: Villa de Angostura.
Gruß,  Richard

Schöne Umgebung, lecker Steak, herrliche Zugfahrt: Uns hat´s gefallen in Esquel!