Freitag, 25. März 2011

Hügel der sieben Farben, Teil 2

You find lego-style house-collections 
like this a lot in Argentina. The rights to buy
one house are given away
 by lottery. (English captions this time 
due to popular demand, deutsche 
Übersetzung auf Anfrage ;-) 
Ich sehe reihenweise Häuschen wie aus Legosteinen, hoch oben auf einem Andenplateau im Norden von Argentinien. Bei der Anfahrt auf das Örtchen "San Antonio de Los Cobres" frage ich unseren neuen Reiseführer Cristian, was es mit den, offenbar frisch aus dem Fels gestampften Reihenhäusern im am Rand des Dorfes auf sich hat. Er sagt, die werden vom Staat gebaut. Billigst.  Jedes Haus kostet 70.000 Pesos, also rund 12.000 Euro. Deshalb seinen die Häuser unter Argentiniern extrem begehrt, selbst in dieser kärglichen Gegend. Die Kaufrechte werden verlost. Wer gewinnt, zahlt danach jahrelang. Denn Geld haben hier die wenigsten, auch unser Reiseführer nicht. Doreen nutzt eine der Fahretappen für eine Plauderei mit ihm. Cristian erzählt von seinem Leben und seinem Alltag. Von seinen vier Kindern. Davon, dass er jeden Tag um 6 Uhr zu arbeiten beginnt. Dass sein Tag um 23 Uhr endet. Dass seine Familie ihn - wann immer möglich - auf der Arbeit besucht, damit sie einander sehen. Er erzählt, dass er gewöhnlich zwei Wochen durcharbeitet, und dann ein bis zwei Tage frei nimmt. Dass er jahrelang keinen richtigen Urlaub mehr hatte;  dass er dieses Jahr mit seiner Familie für ein paar Tage zu den Wasserfällen nach Iguazu fahren wollte; sich das dann aber wegen Krankheit seiner Tochter nicht mehr leisten konnte. Ich frage mich, was er wohl denkt, wenn ihm 18-jährige Abiturienten aus Europa erzählen, wie sie auf Kosten ihrer Eltern zwei Monate in Argentinien einen drauf machen. Solche gibt es hier in Salta nämlich einige.

I really wonder why Doreen
is so full of love for 
cactus-plants. Hints of 
her character?    
People from Argentina praise the dead.
 Big cemeteries built into the mountains 
are quite common around
 San Antonio and Purmamarca.  
Ich dachte immer, ich sei harte Arbeit gewohnt, mit 70-Stunden-Woche und so. Aber was Cristian erzählt, das geht weit darüber hinaus. Trotzdem sei er glücklich, sagt Cristian. Seine Familie sei sein Glück. Wirtschaftlich betrachtet, sieht er sich selbst eher in der Mittelschicht. Immerhin beherrscht er mehrere Sprachen, und zählt damit unter den Tourguides zur besser bezahlten Elite. Jedenfalls sei das vor zwei bis drei Jahren noch so gewesen. Da haben Touristen für englischsprachige Führungen extra Pesos entrichtet. Inzwischen hat der harte Wettbewerb dazu geführt, dass die Reisebüros solche Extraleistungen an ihre Kunden verschenken statt verkaufen. Gespart wird jetzt an ihm und anderen  Angestellten, wie überall auf der Welt. 

Our tourguide Cristian (next to me):
 Proud owner of a Ford, 
english-knowledge and four children.  
A tree, a horse and a mountain range. 
All you need for a picturesque foto. 
Die Fahrt durch den nördlichsten Teil von Argentinien geht weiter. Cristian erinnert uns, dass wir jetzt die Kokablätter bräuchten, die wir uns gleich nach Start unserer Reise in die Hochanden besorgt hatten . Wir sollen sie in die Backen stecken und dort lassen. Nicht beißen, nicht kauen. Der Saft würde sich mit der Zeit aus den Blättern lösen und die Sauerstoffaufnahme im Blut verbessern. Die Blätter in den Bäckchen fühlen sich nach kurzer Zeit nicht mehr so sehr wie nach einer Zahnarzt-Spritze an; sondern entfalten ein angenehmes Aroma, ein bisschen wie Kräutertee. Ob sie wirken, das ist laut unserem Lonely-Planet-Buch strittig. Aber bekanntlich versetzt der Glaube ja Berge. Und wir haben uns inzwischen über mehrere Hochebenen auf rund 4000 Meter Höhe empor gearbeitet, wo die Luft schon merklich dünner wird. Wer wenig trinkt oder ungewohnt viel sportelt, der bezahlt mit der so genannten "Höhenkrankheit": einem echt diabolischen Kopfschmerz, der einem das Hirn durch die Augen aus dem Schädel treibt. Doreen bleibt verschont, mich erwischt´s trotz Kokatrick am späten Abend. Zu wenig getrunken, zu schnell bewegt, zu viel Sonne getankt.  

Doreen dancing on the 
"Salines Grandes": plains of pure salt, 
which is being washed out from the
 soil underneath. 
Denn einen weiteren Höhepunkt bildet unser Halt an den "Salinas Grandes": gewaltige Ebenen aus Salz, die bis zum Horizont reichen. Die weiße Fläche reflektiert die Sonne gnadenlos, sie brennt sich dir in die Augen, bildet einen unwirklichen Kontrast zu den paar Wolken am strahlend blauen Himmel. Hier würde ich gerne ein bisschen länger bleiben wollen, um den unfassbaren Anblick und diese Stille zu genießen. Einfach mal gar nichts hören, nicht mal ein Vogelzwitschern. Interessantes Gefühl. Leider sitzen der Tourguide und das zweite Pärchen schon seit zehn Minuten im Auto, und sehr viel länger darf ich deren Geduld wohl nicht mehr strapazieren. Das ist einer der Momente, wo ich die geführte Tour verfluche. Andererseits wäre ich ohne sie wohl nie hier gelandet, und hätte ohne Cristian so viel über den Alltag in Argentinien erfahren. Doreen und ich beschließen, dass wir irgendwann nochmal hierher müssen. Dann auf eigene Faust. 

Doreen fell in love with the purple colors 
of the mountain called 
"Cerro Siete Colores". Join her 
Facebook-group by clicking here
Koka-leaves make up cocaine, 
but also some real good tea. Just throw
 them into hot water, add sugar, enjoy. 
Sollte es wirklich so kommen, verbringen wir sicher nicht bloß eine Nacht, sondern mehrere davon im bezaubernden "Purmamarca". Ein wirklich idylisches Örtchen, geprägt durch hübsche Häuser und bunte Märkte, eingerahmt von Hügeln und Bergen in den buntesten Farben und Formationen. Doreen verliebt sich in den lila Schimmer des "Cerro de los Siete Colores", der Berg der sieben Farben. Ich verliebe mich in den Pfad um den Berg herum. Wo ich hier überall klettern könnte, wenn mir die Rundfahrt nur Zeit dafür ließe! Ist wahrscheinlich der letzte Berg in Argentinien, den wir so hautnah erleben. Nach Purmamarca führt unsere Fahrt noch durch diverse, weniger bemerkenswerte Orte inklusive Stops an diversen Souvenirshops.
The rainforest in the evening twilight, as seen 
from the Ruta Panamericana  on our way
 back to Salta.
Aufkommende Müdigkeit weicht Neugier, als wir einen kurvenreichen Abschnitt der RA9 erreichen, der berühmten Ruta-Panamericana-Straße. Auf 30 Kilometern hab ich noch nie so viele Kurven - waren es über 500? - am Stück erlebt, ein Fest für Vollgasköpfe wie mich! Leider sitze ich nicht am Lenkrad. Das hier muss ich unbedingt irgendwann selbst fahren, dieses herrliche Geschlängel durch den Regenwald. Es bringt uns zurück nach Salta, und damit endet unser vorläufig letzter Ausflug in die Pampa. Doreen beendet in den uns verbleibenden Tage in Salta ihren Spanischkurs; und ich bin glücklich, dass ich nach meinen paar Gitarrenstunden zumindest das argentinische Folklorestück "Luna Tucumana" halbwegs unpeinlich drauf habe. Wer sich traut: Klick, Geduld und Nachsicht, bitte danke ;-). Sonntag früh werden wir Nordargentinien verlassen, wir steigen in den Bus nach Chile. Er bringt uns nach Arica, an die Grenze zu Peru - unsere letzte Station in Südamerika. 
Gruß aus der Salzwüste, 
Richard 

6 Kommentare:

  1. Da macht sich wirklich jedesmal Neid breit ;-)

    Ist das Salz eher so wie Sand oder sinds eher so harte "Steine"?

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  2. Eine Mischung eigentlich. Der Boden aus Salz ist hart, aber bröselig; bisschen wie Sandstei. Außerdem liegt die Salzebene auf einer Sole aus gesättigtem Wasser auf, ein bisschen so wie bei einem zugefrorenen See. Du kannst also quasi "einbrechen", ist mir auch passiert - bin aber nur ein paar Zentimeter eingesunken. An den Rändern ist die Salzschicht nämlich recht dünn; in der Mitte des Sees über 80 Meter dick.

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  3. Passt auf euch auf! Alles Liebe, -- Trille

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  4. hallo ihr beiden, bin begeistert von den Bildern, vor allem das Bild im Regenwald bei Abend-Dämmerung mit den Bergen im Hintergrund. ...romatisch, könnte vom Romantik-Maler Caspar David Friedrich stammen.

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  5. Hi ihr zwei - wow, da kann Richi direkt bei DSDS mitmachen, wenn er wieder da ist :-)
    Gute Weiterreise,
    Löwis us dr'Schwiiz

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  6. Ja der Clan aus der Schweiz - grüzi! Das ist ja nett, von Euch zu lesen, vor allem eine so charmante Schwindelei wie die DSDS-Andeutung ;-) Ja, uns geht´s gut soweit, wir freuen uns auf unsere Fahrt nach Peru. Morgen geht´s los - Grenzübergang, dann eine längere Busfahrt, und drei Tage in der schönen Stadt Arequipa in Peru. Liegt auf knapp über 2000 Meter; und dient uns als Zwischenstation zum akklimatisieren, bevor wir Richtung Cusco ins Anden-Hochplateau weiterreisen und dort auf um die 4000 Meter Höhe erreichen.

    Im kommenden Jahr kommen wir bei Euch vorbei, wenns Recht ist! ;-)
    lg,
    Richard

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