Sonntag, 2. Oktober 2011

Typisch Thailand - Band 4: Und dann ist da noch...




Zugfahrt in Thailand:
als säße man im Cabrio.
Dickes Bussi an Doreen dafür, dass ich ihrer kleinen Reihe "Mein Thailand" einen Gastbeitrag hinzufügen darf. Wenn ich so darüber nachdenke, was ich an diesem Land mag - hm, dann ist das Wichtigste vielleicht, dass ich hier so unglaublich viel Zeit an der frischen Luft verbringen kann. Ich mag es, draußen zu sein. Chiang Mai ist dafür wie geschaffen. Die Stadt mit ihrer kompakten Struktur ist herrlich begeh- und beradelbar. Ist das erstemal seit meiner Abreise zur Weltreise, dass sich ein Ort zur Fortbewegung per Drahtesel aufdrängt. Kommt mir entgegen. Ich liebe den direkten Kontakt mit meiner Umwelt, ohne Glas oder gar Bildschirm dazwischen. Zuhause fahre ich deshalb Motorrad mit geöffnetem Visier, und kurbel im Auto die Fenster runter. Hier in Thailand erlebe ich die "Fortbewegung an der Frischluft" herrlich intensiv, selbst beim Zugfahren. Züge hier sind so nicht hermetisch abgeriegelt wie bei uns, sondern laden zum durchatmen ein. Als Doreen und ich per Express von Bangkok nach Chiang Mai fahren, öffnen die Schaffner einige Einstiege zwecks Durchzug. Beim Spaziergang entdecke ich eine aufgeschobene Ladetür im Frachtraum. Wer´s mal sehen will, ich hab die Videokamera raus gehalten. Kümmert keinen hier, dass ich mich durch die eine oder andere Luke hinaus lehne; mich in den Wind lege und die direkte Wahrnehmung von Dschungel und Reisfeldern genieße.


Ein Songtheo-Taxi. Heranwinken,
einsteigen und durch die Luke
freie Sicht nach hinten genießen.
In Chiang Mai stellt sich oft ein ähnliches Gefühl ein, wenn Doreen und ich längere Strecken zurücklegen, oder wenn es später wird. Dann gönnen wir uns gelegentlich ein Taxi. Das Wort "Taxi" steht in Thailand für eine Vielzahl Transportmittel. Kann ein Auto sein, aber das wäre eher die Ausnahme. Eher schon ist eine Rikscha bzw. die motorisierte Variante davon gemeint, also ein Tuktuk. Beide per Definition nach fast allen Seiten offen gebaut, so dass ich viel von der Umwelt mitbekomme. Meine Lieblings-Taxi-Variante heißt aber "Songtheo". Das sind kleine, überdachte Pritschenwagen, quasi umgebaute Pickups mit je einer Sitzreihe an den Flanken der Ladefläche. Sie bilden das öffentliche Bus-Nahverkehrssystem. Du winkst eines heran und steigst von hinten durch eine ins Blech geschnittene Luke ins Innere ein. Weil der Ausschnitt so groß geraten und die Sicht mangels Tür ungetrübt ist,  ergibt sich ein tolles Blickfeld nach hinten. Du hast während der Fahrt direkten Kontakt mit allem, was sich hinter dir tut. Sehr ungewohnt, den - meistens unbehelmten - Motorradfahrern im Windschatten direkt in die Augen zu schauen. Aber eben auch reizvoll. 

Ein stolzer Muay-Thai-
Kämpfer. Wie er sich im Ring
macht? Klick das Video!
Apropos "in die Augen schauen": Neulich in der Thapae-Box-Arena gucke ich einem jungen Kerl in die Augen. Habe Doreen überredet, dass wir einen typisch thailändischen Sport angucken müssen. Genauer gesagt, einen Kampfsport: Thaiboxen, oder "Muay Thai" auf gut siamesisch. Soll ja ganz anders sein als westliches Boxen. Spiritueller, sportlicher, athletischer. Jedenfalls, also wir Freitagabend in der Arena. Acht Kämpfe stehen auf dem Programm. Einige Meter neben uns macht sich dieser Typ bereit:  Vielleicht 19 Jahre alt, drahtige Figur, nackt bis auf Handschuhe, Turnhose und den glückverheißenden "Mongkol"-Kopfschmuck. Die Haut glänzt vor Öl, damit "sie geschmeidig bleibt und nicht reißt", erklärt mir Doreen. Ein Muay-Thai-Kämpfer wie aus dem Bilderbuch. Fotogen, wirkt aber ein bisschen aufgeregt, so als stünde er vor seiner ersten großen Herausforderung. Hat seine Freunde mitgebracht. Kumpels klopfen ihm auf die Schulter, Mädels lassen sich mit ihm knipsen. Ich mache auch ein Foto. Das letzte vor seinem Aus ungefähr vier Minuten später.
Vorher entern er und sein Gegner den Ring und beginnen das "Wai Kru Ram Muay": eine Zeremonie, die Respekt vor dem Lehrer und Achtung vor dem Gegner in Einklang bringen soll. Ich mag die exotische Choreographie, eine Mischung aus Meditation und Warmmachen. Die Kämpfer wirbeln die Fäuste, wippen die Füße, balancieren ihre Körper, verbeugen sich tief ins Publikum. Im Hintergrund verbinden sich Glöckchen (Tribu), Java-Klarinette (Pi Java) und Streichinstrument (Sor U) zum asiatischsten Musikmantra, das ich je gehört habe. Der Rythmus steigert sich langsam, legt richtig zu. Dazu könnte gut ein Derwisch abdrehen.  
Danach der Gong, und die Kämpfer dreschen mit Füßen und Fäusten aufeinander ein. Ein bisschen so als würde Bruce Lee mit Rocky gekreuzt. Die Kämpfe sind etwas weniger schnell als ich gedacht habe, und viel weniger brutal. Sie enden, wenn ein Gegner offensichtlich unterlegen ist oder keine Kraft mehr hat. So wie bei dem 19-jährigen, von dem ich gut vier Minuten vor seiner Niederlage ein Foto schießen durfte. Runde Eins ist keine 50 Sekunden alt, als er einen Rundkick an den Hals bekommt, danach in die Seile und dann zu Boden fliegt. Chancenlos, daher Niederlage laut Ringrichter. Ein kurzer und eher unspektakulärer Kampf, so wie die meisten an diesem Abend in der Thapae-Arena von Chiang Mai. Ich blicke kaum was, weil der Sprecher ausschließlich in Thai kommentiert. Finde ich okay. Passt zur großartigen asiatischen Atmosphäre während der Zeremonien und um den Ring herum. Wer Thailand besucht, sollte sich Muay Thai unbedingt angucken.  

Thailands vielleicht schönster, in
jedem Fall aber weißester
Tempel: der "Wat Rong Kun" bei
Chiang Rai. Video sehen wollen?
Spiritualität ist nicht nur im Boxstadion ein Thema, sondern eigentlich überall. Thailand ist durch und durch vergeistigt. Dass Taxipiloten während der Fahrt kurz die Hände vom Lenkrad nehmen, die Hände zum Wai-Gruß falten und einen vorbeihuschenden Gebetsschrein "ehren", ganz normal. Kein Haus ohne eigenen Glücksschrein, kein Stadtviertel ohne eigene Tempel. Gebetsstätten sind in Thailand eine Angelegenheit der Gemeinschaft. Prinzipiell scheint mir jeder einen buddhistischen Tempel bauen zu dürfen, dem danach ist. So wie das zurzeit in Chiang Rai geschieht. Chiang Rai ist ein kleiner Ort nördlich von Chiang Mai, nahe dem Goldenen Dreieck  Thailand-Laos-Burma. Da wo früher tonnenweise Opium angebaut wurde, und heute Kaffee den Agrarumsatz stützt. Doreen und ich, wir haben dort im Rahmen einer Ein-Tages-Tour den "Wat Rong Kun" besucht - ein herrlicher Tempel, den der thailändische Künstler Chalermchai Kositpipat seit 1997 auf eigene Faust hochzieht. Die Fertigstellung der Anlage ist um die nächste Jahrhundertwende herum geplant. Also eine Bauzeit über mehrere Generationen. Das, die abstrakte Schönheit und die Liebe zum Detail erinnern mich an Barcelona, Antoni Gaudi und seine Basilika Sagrada Familia. Entzieht sich ja ebenfalls konventionellen Vorstellungen von einem Kirchenbau. 

Schnell mal rüber machen
nach Burma, neues Visum
holen.
Übrigens, den Ein-Tages-Trip in Richtung Chiang Rai haben wir ursächlich nicht zum Sightseeing in Angriff genommen. Hauptzweck war etwas sehr Thailand-eigenes: ein so genannter "Visa Run". Hintergrund ist der, dass Deutsche nur sehr begrenzte Zeit im Land verbringen dürfen. Zwei bis vier Wochen sind der Normalfall, zwei Monate sind es nach Beantragung eines Touristenvisums. Wenn das aber abläuft, so wie bei uns geschehen, musst du zur Einreise-Behörde und verlängern. Kostet knapp 50 Euro pro Person und gestaltet sich so angenehm wie die KFZ-Zulassung in Münchner Kreisverwaltungs-Referat. Also nicht sehr. Besser besagten "Visa Run" ausprobieren. Den bietet jedes Reisebüro in der Gegend an. Wir fahren also im Rahmen des Tagesausflugs zur Grenze nach Burma; werden ausgeladen; marschieren über die Grenze raus aus Thailand; erreichen nach 100 Metern die Einreise-Kontrolle des Nachbarstaates; erhalten an einem Behörden-Schreibtisch per burmesischem Stempel die Einreise im Pass beglaubigt; gehen rüber zum Nachbar-Schreibtisch und reisen per Ausreise-Stempel sofort wieder offiziell aus; laufen über die Grenze zurück; kriegen vom thailändischen Beamten per Stempel im Reisepass die Wieder-Einreise genehmigt ; und dürfen zwei weitere Wochen im Land bleiben. Skurril, aber legal wie ein Geburtstags-Kuchen. 

Selbst die Tschicks sehen
in Thailand irgendwie
anders aus als bei uns: Opium-
Demonstration im Bergdorf
nahe dem Goldenen
Dreieck. 

Bei den Worten "skurril" und "Thailand" springt mich der Umgang der Hiesigen mit der englischen Sprache an. Doreen hat ja letztens in ihrem Blog schon ihre Eindrücke dazu geschildert. Dass Englisch überall auf der Welt verstanden, geschweige denn gesprochen wird, von dem Gedanken habe ich mich längst gelöst. Aber Thailänder und Angelsächsisch, das ist wie Essstäbchen und Uncle-Bens-Reis: Geht einfach nicht zusammen. Wenn Thais Englisch sprechen, verbinden sie vielleicht zwei Dutzend Worte an Vokabular mit der simplen Grammatik ihrer eigenen Sprache. Thai kommt ohne Personalpronomen und Zeitformen aus; Verben werden in der Stammform eingesetzt; gesteigert wird durch Wortverdopplung.
Wenn du dich mit offenen Augen
bewegst, siehst du unendlich viel
Leben  auf der Straße.
Zum Beispiel, wie junge Welpen und
 neue Besitzer zusammen finden.
Wenn ich also im Lokal eine "Coke" bestelle, ernte ich manchmal das Gewünschte. Manchmal Schulterzucken, ein "No have" oder aber "Same same". Das Wort "Same" kommt aus dem Englischen. Die Thais sagen Same same, also wörtlich übersetzt  "ähnlich ähnlich" und meinen damit "sehr ähnlich". Zur Erinnerung: gesteigert wird durch Wortverdopplung. Gemeint ist etwa Pepsi statt Coke. Damit kann ich leben. Weniger mit dem, was im Café passiert, wenn´s blöd läuft. Dann kriege ich Chili statt Zucker zu meinen Cappuccino, weil manche Thais damit ernsthaft ihren Kaffee "veredeln". Sie empfinden beide Aromen als funktionsgleich und also als "sehr ähnlich". Blöderweise ist Chiligewürz vom hiesigen braunen, feingemahlenen Zucker gar nicht so leicht zu unterscheiden. Ich hab´s jedenfalls zu spät gemerkt.     
Gruß aus Noinas Malschule. Noina
ist die zweite Dame v.l.  Übrigens:
in Thailand bin ich endlich
mal größer als der Durchschnitt.
Gutes Gefühl, das!
Nach so einem Missgeschick dauert´s oft, bis ich der Ursache auf die Schliche komme. Ich finde einfach selten einen Thai, der meine Sprache(n) spricht und mir die Welt erklären kann. Manchmal muss ich im Gespräch jeden windigen Satz drei bis fünfmal erklären, auseinander pflücken und neu zusammen setzen. Und ernte trotzdem keine Reaktion. Das kann dann schon frustrieren, wenn du dich ständig unverstanden fühlst. Erst recht, wenn der Biorythmus eh am Boden liegt. So wie bei mir vor einigen Wochen. Während der letzten Tage in Bangkok hat meine Weltreise-Motivation die Grätsche gemacht. Ich habe kaum noch inneren Antrieb gespürt, der mich neuen Zielen entgegen schieben würde. Habe mich stattdessen müde, matt und genervt gefühlt. Nun möchte ich während der Weltreise unter anderem lernen, wie ich in mich hinein höre, meine Gefühle erfasse und sie deute. Klappt manchmal schon ganz gut. Gemeinsam mit Doreen bin ich drauf gekommen, dass mir Ansprache und konkrete Aufgaben fehlen. Ihr vielleicht auch. 

In ihrem Schmuckkurs lötet sich
Doreen einen wunderschönen
Ring aus Silber. 
Also haben wir in Chiang Mai was geändert. Der Plan: Wirklich lange vor Ort bleiben, zwei Wochen mindestens, vier sind es letztlich geworden. Dadurch bleibt Zeit zum Aufbau einer Art Zuhause. Wir können den Alltag mit Struktur füllen; und kommen mehr mit Leuten in Kontakt. Ich stehe jeden Tag pünktlich auf, gehe in die Schule und lerne Dinge, die schon seit meiner Jugend durch den Kopf geistern: Figürliches Zeichnen, Malen mit Acrylfarbe, mehr Körperbewusstsein durch Kung-Fu. Doreen lernt Schmuckfertigung und entspannt beim Qi Gong. Schulen und Kurse gibt´s in Thailand in Hülle und Fülle. Sie kosten viel weniger als in Deutschland. Vor allem habe ich endlich mal genug Zeit, dass ich mich der eigenen Weiterbildung widme und beinahe vergessene Lebensträume anstrebe. Na jedenfalls, wir fühlen uns wohl in Chiang Mai. Liegt bei mir sicher auch daran, dass meine Kurse an so einladenden Orten stattfinden. Das Atelier meiner Lehrerin Noina ist zu einer kleinen "Soi" - sprich: Straße - völlig offen, ohne Wände oder Fenster oder Türen oder sonst etwas, was das Blickfeld einschränken würde.  Ähnlich sieht die Kampfkunst-Schule aus: Vier Pfeiler, ein Dach, fertig. So weht mir frische Luft um die Nase, und ich kriege was viel vom Leben auf der Straße mit.  

Eine Facette mehr, für die ich Thailand mag.    
Richard









P.S.: hier noch zwei Bilder. Das obere kommt bei raus, wenn Doreen einen Kurs für Schmuckherstellung besucht und einen Ring aus Silber lötet. Das untere passiert, wenn man mir ein ein paar Pinsel, Graphitstaub und Ratzifummel in die Hand drückt. 












5 Kommentare:

  1. Eure Kunstwerke hauen mich einfach nur um. Grandios! Ich bin wirklich von Eurer Kreativität und Begabung begeistert!!!

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  2. da haben wir ja richtige Künstler in der Familie...
    und es ist eine Freude zu sehen, dass ihr euch so gut erholt habt in Thailand von der offensichtlich doch recht anstrengenden Weltreise

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  3. Eure Kunstwerke werden ja immer besser. Gratulation!
    Das du jetzt auch noch Kung Fu machst freut mich. Das soll ja angeblich das Selbstbewusstein stärken.

    Liebe Grüße von Jutta
    P.S. Der kommentar kommt von Papis PC weil ich irgendwie keine Kommentare abschicken kann.

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  4. Tja, also vielen lieben Dank für die Blumen, die "Kunstwerke" betreffend. Also, mir hat die Malerei jedenfalls viel Spaß gemacht. Ich hoffe, ich finde in Zukunft Zeit für mehr davon. Werde zusehen, dass ich mein Leben entsprechend gestalte ;-)

    Auch für Kung Fu würde ich gerne Platz finden. Stärkt auf jeden Fall Körper und Geist, soviel kann ich nach zehn Stunden Training schon sagen.

    @Jutta: schilderst Du mir bitte mal das Problem, dass du beim Kommentar-Versenden hast?
    Merci, Ric

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  5. Hallo an alle!

    Auch von mir vielen lieben Dank für das viele Lob von Euch. Ich glaube wir sind beide ziemlich überrascht von dem was für da zustande gebracht haben :o)

    Alles Liebe nach Hause!
    Eure Doreen

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