Dienstag, 3. Mai 2011

Mutprobe in Daytona (mit Video!)





Die Haupttribüne von Daytona, vom Infield aus betrachtet. 



Ich lege wirklich keinen allzu großen Wert auf Geburtstage. Zumindest nicht auf meinen eigenen. Aber eines muss ich dem Wiegenfest zusprechen: ich krieg manchmal was geschenkt, was ich mir selbst vermutlich nie gönnen würde. Irgendwann in den vergangenen Wochen muss ich Doreen mal von der Stadt Daytona Beach in Florida vorgeschwärmt haben, genauer gesagt von der sagenhaften Rennstrecke dort. Das ist vermutlich irgendwo in Südamerika passiert. Vielleicht in Buenos Aires oder Lima, wo es noch Spielhallen alter Schule mit richtig steilen Arcadegames gibt. In zwei oder drei dieser Spielhallen habe ich ein paar Pesos in ein, für immer verehrenswertes Sega-Rennspiel versenkt: "Daytona USA". Doreen müssen meine leuchtenden Augen aufgefallen sein. Anders kann ich mir nicht erklären, wie sie auf den Gedanken kommen konnte, mir ein paar Runden Selberfahren in genau jenem Rennwagen zu schenken, den "Daytona USA" zum Inhalt hat. Und das nirgendwo anders als eben in Daytona: Heimat des Marathonrennens "Daytona 500". Mekka für US-Motorsportler. Mutprobe für mich.


Doreen durfte mit auf die Rennstrecke. Sie hat mir Mut
gegeben, und Videos gedreht. Zum Beispiel wie ich
 mich beim einsteigen anstelle. Klicken und
 Geduld haben. 
Heute war es soweit. Hab Doreens Gutschein eingelöst; mich hinter das Lenkrad eines Rennwagens geklemmt und bin in Daytona gefahren. Selbst lenken, das Gas dosieren, den eigenen Mut auf die Probe stellen und lernen, wie sich das alles anfühlt. Und das im Cockpit eines V8-Geschosses aus der US-Rennserie "Nascar". Hätte ich nie gedacht, dass die einem sowas hier wirklich an die Hand geben. Tun sie aber. Eine Waffe auf Rädern. Bullige Rennautos mit dem Aussehen eines Straßenfahrzeugs, tatsächlich aber reinrassig für den Motorsport gebaut. Groß, breit, fett blubbender Motor. Der Innenraum?  Lenkrad, Sitzschale und Instrumente für Drehzahl, Öldruck und so weiter. Die Karosserie ist über einen Stahlkäfig gestülpt, die Scheinwerfer sind Attrappen. Amerikanischer als dieses Vollgas-Furiosum ist nur das Sternenbanner. Wir sind um 11 Uhr mittags an die Rennstrecke gekommen. Ein gewaltiger Bau, mit Sitztribünen bis zum Himmel und einem Asphaltband bis zum Horizont. Parken? Mittendrin statt außen vor. Elf Fahrschüler in einem Raum, die Begleiter dürfen dabei bleiben. Auch Doreen. Die Vorbesprechung dauert vielleicht eine Stunde inklusive Sicherheitshinweisen, mehr nicht. Kein Abfahren der Strecke, keine großen Erklärungen von Bremszonen, Flaggen oder sonst einem Kram. Nichtmal Funkverkehr werden wir haben, wird uns gesagt. Stattdessen: rein ins Auto und erleben. Ein Instruktor fährt voraus und gibt die Linie vor. Ich soll im Windschatten folgen und sein Tempo halten. Wenn mir das gelingt, winkt eine gute Rundenzeit. Wenn ich Schiss bekomme und abreißen lasse, dann… wie  haben sie es im Briefing formuliert? "Safety and fun first. Speed is not important". Hm. Für mich irgendwie schon.


Ein Nascar-Auto von innen. Gebaut nach dem Motto
"wo nichts ist, kann nichts kaputt gehen". Das
Lenkrad wird erst nach dem Einsteigen montiert.
Erster Eindruck: sich durch das Fensterloch in die Sitzschale fädeln - es gibt keine Türe - , das ist gar nicht so viel Akrobatik wie gedacht. Dann - den Motor anlassen. Für einen Vollgasmenschen wie mich ist das einfach nur begeisternd, wenn der Motor im Leerlauf röchelt und sofort jeden kurzen Gasstoß mit einem gierigen Aufbrüllen quittiert. V8 vom Feinsten. Danach - Abfahrt. Kupplung, erster Gang, zweiter Gang, dritter, vierter, alles ganz einfach. Auf der Rennstrecke selbst wird nicht mehr geschaltet. Nur noch das Gas dosiert. Das hier ist keine typisch europäische Rennstrecke, sondern Daytona. Die Mutter aller Ovale. Besteht aus nichts als ein paar ewig langen Geraden, die durch langgezogene Linkskurven verbunden sind. Sind alles Steilkurven, so dass du nicht bremsen musst, ja nichtmal bremsen darfst. Nur Gas wegnehmen ist erlaubt. Ich hab sowas ein paarmal im Fernsehen gesehen, und habe immer gedacht, dass das verflixt einfach aussieht. Ist es aber nicht. Sondern eine Mutprobe, wie ich sie noch nie erlebt habe. Zumindest wenn du schnell sein willst. Und das will ich ja. Also fahre ich immer so viel Gas, bis die Angstgefühle zu überwiegen beginnen. Versuche den Speed des vorausfahrenden Instruktors zu halten. Mit 250 Sachen knapp an einer Leitplanke aus Beton entlang. 

Dass da rechts außen im Bild, das bin ich ;-) 
Ich bin ehrlich nicht sicher, ob ich in der ersten Runde überhaupt geatmet habe. Knapp 69 Sekunden dauert meine erste Runde, das halte ich ohne Luftholen aus. Muss ja immer voll konzentriert sein; einmal im falschen Moment blinzeln, und schon schießt du in die Mauer - das sind jedenfalls so die Gedanken, die dir anfangs durch den Kopf schießen. Weil nämlich der Instruktor überhaupt nicht ans Langsammachen denkt. Der zuckelt in der Boxengasse kurz vor sich hin, und steigt danach voll auf den Pinsel. Und ich hinterher. Vergesse das Atmen; versuche das Auge ein paar Meter voraus schweifen zu lassen für korrekte Blickführung; und genieße es, wie ich Runde um Runde an Sicherheit gewinne. Dass das so ist, lese ich weder am Tacho, noch am Drehzahlmesser oder an der Stoppuhr ab. Solche Zeiger bzw. Nebensächlichkeiten erfassen, das traue ich mir nicht zu. Ich fokussiere nur die Rennstrecke, den Instruktor und die Frontscheibe aus Kunststoff, wie sie bei 240 Sachen zu zittern beginnt. Mit jeder Runde bleibe ich in den Steilkurven mehr und mehr auf dem Gas stehen. Und spüre, wie die Schwer- bzw. G-Kräfte meinen Körper stärker und stärker in den Sitz pressen. In den letzten beiden Runden fällt mir das Luftholen merklich schwer, dafür sorgen diese G-Kräfte. Das macht mir ein bisschen Angst. Aber es peitscht mich zugleich vorwärts. Ein unbeschreibliches Gefühl. Als wäre ich Jetpilot. Und anstrengend. Nach acht Runden klettere ich aus dem Sitz, und bin so durchgeschwitzt wie das letzte Mal bei einer Bergwanderung durch die österreichischen Alpen mit meinem Daddy. Mein T-Shirt ist komplett durchtränkt. Meine beste Rundenzeit: knapp über 65 Sekunden. Laut Instruktor "awesome". Das sagen sie hier gerne und oft. Komplimente aussprechen, das ist hier in den USA ganz groß. Das mag oberflächlich sein, sorgt aber für eine angenehme Atmosphäre und ein schönes Wohlgefühl. Ich mag das inzwischen ganz gern. 

Meine Wenigkeit vor dem Einsteigen. Etwas nervös,
aber noch halbwegs lässig. Wie das nach der
Fahrt ausgeschaut hat? Siehe dieses Video
Was mich beschäftigt: ich halte mich ja für halbwegs ausdauertrainiert, selbst wenn man mir den Zwangsverzicht auf´s Fitness-Studio seit Beginn der Weltreise langsam ansieht. Aber, wie bitte sollen Menschen diesen Nascar-Ritt bewältigen, die weniger fit sind, und die sich vielleicht nicht ganz so lange konzentrieren können? Eigentlich echt gefährlich. Und trotzdem. Einen Nascar-Rennwagen bewegen, das kann hier jeder tun, der dafür zu zahlen bereit ist. Ohne Fitnesstests, Selbstauskunft reicht. Ich kann´s immer noch nicht fassen. Für mich ist das ein weiterer Grund zum umdenken. Ich hielt die US-Gesellschaft bisher für eher wenig tolerant. Nach außen wirkt das ja oft so. Aber im Land selber, da scheint mir grundsätzlich ein vertrauensvolles Miteinander zu herrschen. Mehr als bei uns trauen die Menschen hier offenbar einander zu, dass jeder sich selbst und seine Fähigkeiten halbwegs einschätzen kann; dass jeder seine Ziele verfolgen darf; dass Politik und Gesellschaft nicht jedes Detail per Gesetz regulieren müssen. Wir in Europa übernehmen so vieles aus den USA. Vielleicht auch dieses freiheitliche Denken. Fände ich gut.

Danke an meine wundervolle Freundin, dass sie mir Daytona geschenkt hat. 
Richard 









4 Kommentare:

  1. Awesome! Gutes Geschenk *g* so muss das sein :) freu mich auch schon wenn ich mein Geschenk einlösen darf. Einmal im Leben auch mal Ferrari fahren :D

    So jetzt mal das Video reinziehen!

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  2. Ja, das war wirklich ein einmaliges Geschenk! So ein Nascar-Ding fahren, das kannst ja auch wirklich nur in den USA machen. Und dann noch Daytona... na, und Du - Ferrarifahren im bayrischen Voralpenland, das wird sicher genauso genial. Um München rum gibt´s ja so wundervolle Strecken für sowas... übrigens, weißt du jeder zweite Ami sagt, sobald er erfährt dass Doreen und ich aus Deutschland sind? "Is it really true, that you have no speedlimit on the Autobahn? I got to visit Germany to try this!". Ich glaube, wenn das Tempolimit nach Deutschland käme, brechen 30 Prozent US-Urlauber weg... ;-)

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  3. Mindestens ;) Und 50% der Schweizer und Österreicher *g* Spezel von mir aus der Schweiz hat sich neues Auto gekauft. Die haben gefragt, ob sie die Temposperre von 250 aufheben sollen? Er meinte, warum? Hier ist doch eh nur 130. Ja, aber sie kommen doch aus Deutschland, da fahren Sie bestimmt auch ab und zu nach hause ;-)

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  4. Hallo ihr beiden,

    also hut ab. Als ich das erste Video sah, hab ich glatt Gänsehaut bekommen. Das war wohl eines deiner Wünschträume das sowas mal erleben darfst. Das wird dir wohl immer in Erinnerung bleiben.

    Liebe Grüße Jutta

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