Mittwoch, 25. Januar 2012

Chip-TAN oder stirb!




Ich habe gute Lust, sofort wieder zu verreisen. Zu flüchten, genauer gesagt. Bin jetzt vielleicht sieben Wochen zurück in Deutschland, und zumindest heute wäre ich gerne woanders als hier. Es ist nicht das kalte Winterwetter, dass mich vertreibt. Ich mag Schnee. Ich empfinde auch keineswegs die Menschen hier als unfreundlich, obwohl ich in München im Vergleich mit zum Beispiel Asien sehr viel weniger lächelnde Gesichter sehe. Es ist die Bürokratie, die mich in die Ferne treibt. Mir kommt´s vor, als müsste ich mich jeden Tag um irgendwelchen kleinkarierten Mist kümmern. Und fast immer geht´s um das liebe Geld. Irgendwann werde ich mal ein paar Zeilen darüber texten, wie es einem ehemals Selbständigen ergeht, der beim Arbeitsamt oder den Sozialbehörden um Zuschüsse bettelt. 

Während ich mich mit dem
Chip-TAN-Verfahren und ähnlich
kleinkarierten Blockaden eines sorglosen
 Lebens befasse, wünsche ich mich zurück
an den Mekong...  
Aber nicht diesmal. Denn was mich heute urlaubsreif schikaniert, das ist das Geldinstitut, das mein Leben begleitet. Die Stadtsparkasse München. Bei der bin ich Kunde seit… seit… ach, seit immer! Ich muss um die sieben Jahre alt gewesen sein, als meine Mama mich in die Filiale in der Münchner Quiddestraße geführt hat. Rausgekommen bin ich mit einem Sparbuch in der linken Hand, einem Knax-Heft in der rechten, und einem Sparschwein in der Jackentasche. Könnte sein, die Ära ist bald zu Ende. Denn die Stadtsparkasse tanzt Step auf meinen Nerven. 

Kaum dass ich nach der Weltreise deutschen Boden betrete, erhalte ich ein Schreiben von meinen Geldverwahrern. Das Online-Banking wird umgestellt, lese ich. Ab Ende Januar ist Schluss mit den praktischen TAN-Listen aus Papier. Schade. Ich mag, wie Online-Überweisungen damit funktionieren. Muss nur eine Nummer von der Liste in ein Kästchen auf dem Bildschirm übertragen, der Sicherheit ist genüge getan. Aber jetzt nicht mehr. Die Bank zwingt mir das sogenannte Chip-TAN-Verfahren auf, ob ich will oder nicht. Ich will definitiv nicht. Geldinstitut wechseln? Hm. Noch gäbe es Banken, die ohne die unsägliche Zwangs-Verchippung auskommen. Oder die zumindest das Alternativ-Angebot "TAN per SMS" kostenlos anbieten, ohne dafür extra Gebühren zu kassieren wie die Stadtsparkasse. Aber all der Aufstand für den Wechsel, dafür bin ich momentan zu faul und anderweitig beschäftigt. Na gut, ich gebe klein bei. Wandere ums Eck in die Stadtsparkasse in der Thomas-Dehler-Straße und lass mir gegen eine Zwangsabgabe von elf Euro - angeblich Selbstkostenpreis, komisch, bei anderen Sparkassen kostet´s neun - ein Chip-TAN-Gerät andrehen. Das Gerät sei voll mobil, habe ich bereits der Homepage der Stadtsparkasse entnommen. Sei bloß scheckkartengroß, kann es überall mitnehmen. Stimmt. Fast. Weil es ist  halt dick, knapp so wie eine Zigarettenschachtel. In meine Brieftasche passt das Trum jedenfalls nicht. Bin aber auch kein Banker mit dicker Börse.

Lustigen Sicherheits-Spielereien mit Chipkarten,  
Fingerabdruck- und Augen-Scannern sind wir 
während der Weltreise überall rund um den Globus
begegnet. Hat sogar mitten in Vietnam besser funktioniert
als jetzt das Chip-TAN der Stadtsparkasse.

Die Dame am Schalter fragt, ob sie mir das Verfahren zeigen soll. Ich habe mir von der Beschreibung auf der Homepage vor allem die Schlagworte "bequem" und "komfortabel" gemerkt. Na okay. Jetzt will ich sehen, was bequemer und komfortabler sein könnte als das simple Abschreiben eines sechsstelligen Codes von einer Zahlenliste auf Papier. Die Dame zeigt mir weiße Balken, die wild auf einem Monitor flackern. Eine Art Kodierung? Übt auf mich eine eher beunruhigende Wirkung aus. Ich merke, wie ich nervös werde. Nehme mir fest vor, dass ich niemals neben einem Epilepsie-Kranken stehen möchte, während der seine Chip-TAN-Überweisung erledigt. Soll´s ja angeblich schon gegeben haben, dass so einer austickt beim bloßen Blick auf wilde Szenenwechsel in einem Kinofilm.  

Die Dame hält das rote Chip-TAN-Gerät etwas umständlich an den Monitor, so als wollte auch sie das Geflacker lieber wegsaugen. Tatsächlich soll jetzt wohl irgendwas dekodiert werden. Zunächst tut sich nichts. Sie dreht das Gerät ein bisschen, hin und her, her und hin. Irgendwann, nach etwas zu vielen Augenblicken, macht´s einen Pieps, und die Dame guckt erleichtert. Jetzt liest sie einmal sechs und einmal acht Ziffern vom Display des Chip-TAN-Dekodierers ab, und überträgt sie in zwei Kästchen auf dem Bildschirm. Sie guckt, als wäre die Demonstration zufriedenstellend verlaufen. Sehe ich anders. Das Alles scheint mir unbequemer und unkomfortabler zu sein als früher. Zeitraubender sowieso. Außerdem nervenzerfetzender. 

Zurück zuhause probier´ ich es selbst. Und wünsche mir binnen fünf Minuten meine gute alte TAN-Liste auf Papier zurück. Gleich die erste Überweisung bricht kurz vor Vollzug mit der Botschaft "Datenübertragung fehlerhaft" ab. Zigmal. Ich wollte eigentlich nur schnell eine Kleinigkeit bei einem Onlineshop kaufen. Bezahlen per Paypal, Giropay, das hat doch schon Dutzende Male geklappt. Diesmal aber macht Paypal die Schotten dicht, hält mich nach mehreren Abbrüchen vermutlich für einen Hacker. Die Telefon-Hotline der Stadtsparkasse kann mir nicht weiterhelfen, weil "…die Online-Kollegen erst morgen wieder da sind". Kurz vor fünf Uhr am Nachmittag, aha. Na schön.
Szene vom Mekong: Während der
Bootsfahrt nach Luang Prabang leiht mir 
eine Mitreisende ein Buch, das mir Geduld,
Balance und andere buddhistische
Weisheiten näher bringen will. Muss das
nochmal lesen. Hilft sicher beim Umgang
mit Chip-TAN.

Nächster Tag, neun Uhr vormittags. Die für´s Online-Banking zuständigen Kollegen sind tatsächlich im Dienst und sogar telefonisch erreichbar. Muss sogar nur 13 Minuten Sparkassen-Jingle ertragen, bis ich einen ganz netten Kerl am Hörer habe. Einer, der aus der Praxis erzählt. "Das kann gar nicht klappen, wenn sie eine Schreibtischlampe neben ihrem Monitor stehen haben". Ich staune. Kann nicht? "Ne, wegen des seitlichen Lichteinfalls. Damit kommt ihr Lesegerät nicht klar. Ist bei mir auch so". Ja, und nu? Kann ich nie wieder überweisen? "Klar doch. Ehrlich gesagt, das Gerät, dass wir in den Filialen verkaufen, das taugt nix. Holen Sie sich besser das Modell Schießmichtot aus unserem Online-Shop". 

Mit dem Verb "Holen" meint er natürlich "kaufen". Also nochmal Geld ausgeben? Mein Kampfgeist erwacht. Niemals gebe ich auch nur einen weiteren Cent für diesen Bockmist aus, den ich nie wollte. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich in die Filiale marschieren, den Chip-TAN-Quälgeist auf den Thresen knallen. Ich würde erst das Haus verlassen, wenn ich mein Geld wiederbekomme oder sich meine Finger um ein funktionierendes Gerät schließen. Das nehme ich mir vor, und schreite zur Tat. Lange Rede kurzer Sinn: Ich kriege mein Geld wieder, ja. Aber erst nach einem zehn minütigen Disput. Zwei Mitarbeiter der Filiale verweigern sich meinem Anliegen zunächst komplett. An meinem dramatischen Tonfall merken sie jedoch, dass ich nicht aufgeben werde. Ich übe mich in Geduld. Bleibe freundlich, hebe aber etwas den Ton, so wie ich das in Asien gelernt habe. Die Beiden tuscheln und telefonieren, werfen "Verpackung?" und andere Worte durch den Raum, und nehmen das rote Biest dann tatsächlich grimmigen Blickes zurück. Verabschiedet werde ich mit einer unmissverständlichen Feststellung: Das Verfahren klappt bei jedem anderen. Damit wäre ich der einzige Mensch auf dem Planeten, der zu doof ist für Chip-TAN.  

Was lerne ich sonst daraus? Offenbar hat der Sparkassen-Vorstand nicht nur die Einführung von "Chip-TAN oder stirb!" beschlossen, ohne seine Kunden zu fragen - sondern auch die Abschaffung von "Der Kunde ist König". Motivierte Sparkassen-Angestellte machen kleine Sparer glücklich, diese Zielsetzung ist wohl von gestern. Nach dieser Erfahrung habe ich plötzlich richtig Lust auf Online-Banking. Aber bitte ohne Chip-TAN. Ich trauere den Zeiten nach, als wir inHongkong ein Dauer-Visum für Thailand beantragen durften. Oder als wir nach Burma einreisen wollten. Der Papierkram damals, das war alles so angenehm und zufriedenstellend im Vergleich mit dem, was ich jetzt mit der Sparkasse erlebe...

Also doch besser gleich wieder weit, weit weg? 
Richard



P.S.: Das Einstiegsbild mit dem Chip-TAN-Lesegerät stammt aus dem Onlineshop der Stadtsparkasse. Ist gut an dem Displaytext zu erkennen, der eine geglückte TAN-Transaktion suggeriert. Sowas hab´ ich nur einmal gesehen. Dafür bestimmt zehn Fehlermeldungen.

2 Kommentare:

  1. Oh, durch den Bericht lern ich tatsächlich meine Papier-TANs wieder zu schätzen.
    Werde zukünftig umso mehr jede Online-Überweisung genießen! ;-)

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  2. Fairness wem Fairness gebührt: Hab mir, nachdem ich mein erste Chip-TAN-Gerät zum Teufel gejagt habe, ein neues Gerät besorgt. kobil opTAN Touch nennt es sich. Ein Nachteil: es kostet ´n en Euro mehr. Zwei große Vorteile: es sieht gut aus. Und es funktioniert.

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