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Woran erkennst du einen Farang auf
dem Motorrad? Genau, am Helm.
Einheimische fahren meistens oben ohne. |
Vor einigen Tagen sind Doreen und ich in Chiang Mai angekommen. "Rose des Nordens", so nennt sich das 140.000-Seelen-Städtchen selbst. Der Lonely-Planet-Reiseführer umschreibt diese zweitgrößte Menschen-Konzentration innerhalb von Thailand, zugleich Residenz der Provinz Chiang Mai, als beschaulich, betulich und naturbelassen. Chiang Mai hat sich in einer ländlichen Landschaft eingenistet. Hoch oben im Norden, nahe dem "Goldenen Dreieck", sprich der Grenze zu Burma und Laos. Zwischen dichtem Regenwald und flachen Ausläufern des Himalaya-Gebirges. Ideal für ein bisschen faulenzen, wandern und, ja, auch Kultur live erleben. Wir befinden uns immerhin im Mittelpunkt jener Region, die meine Großeltern noch als "Siam" gekannt haben. Mehr Asien kann ich mir kaum vorstellen. Etwas Ruhe genießen, Ursprünglichkeit kennen lernen: deswegen sind wir hier. Darum haben wir uns von einem sogenannten "Express-Zug" über Nacht von Bangkok hierher schaukeln lassen - aber das ist eine andere Geschichte für eine spätere Blognotiz. Vor Ort jedenfalls haben Doreen und ich beschlossen, dass jeder mal mehr für sich selbst unternimmt. Wo sich die Umgebung für Ausflüge ins Grüne anbietet: warum sie nicht mit dem Motorrad erkunden?
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Unterwegs in Nordthailand. Wo die Hunde
genüsslich über die Straße schlendern, weil sie so selten
jemand dabei stört. |
Ich würde mich nicht als durch und durch vom Motorrad-Virus durchdrungenen Menschen bezeichnen. Aber mit meiner GSR-Suzuki durch das Voralpenland schwingen; auf der Rennstrecke Selbstvertrauen tanken; oder über einen schönen Pass in Richtung Italien gondeln, das vermisse ich in letzter Zeit. Werde hier in Thailand ja ständig an die Schönheit des Motorradfahrens erinnert. Hier gibt´s einfach viel mehr motorisierte Zweiräder als zuhause. Wenn irgendwo zwischen Khao Lak, Bangkok und Chiang Mai etwas an dir vorbeiröhrt, dann ist´s mit großer Wahrscheinlichkeit ein Taxi, Tuktuk oder eben ein Moped. Einfach jeder fährt hier sowas. Wer da als Zugroaster mit dabei sein möchte, stößt auf offene Arme. Eine Kawa oder Honda mieten und im Kreis fahren, diesem Unterfangen kommen mindestens zwei Dutzend Fahrzeug-Verleiher in Chiang Mai gerne entgegen. Die Frage an den Vermieter, ob der deutsche Führerschein ausreicht - oder ob überhaupt einer benötigt wird - hat hemdsärmelige Antworten zur Folge. "Ich bin nicht die Polizei. Mir ist das egal" oder "Hauptsache, du trägst einen Helm". Na dann.
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Mein Leih-Motorrad: eine Honda
Dream mit 125 Kubik. Sieht nach
nichts aus, kann aber was. |
Aber so ganz ohne Kenntnisse von Orten, Schildern, thailändischen Schriftzeichen, hiesiger Sprache und - nicht zu vergessen! - dem Linksverkehr sollte ich meinen ersten in Moped-Ausflug in Südost-Asien vernünftigerweise eingrenzen. Auf den zumindest teilweise englisch beschilderten Stadtbereich. Will aber eigentlich raus auf´s Land. Will Reisfelder sehen, Bauern bei der Arbeit, Dörfer, Dschungel, Kurven und Berge. Alpen auf asiatisch, sozusagen. Na, und neulich, bei uns in der Bleibe, was sehe ich da beim Blick auf den Waschzettel-Aushang? Zwischen allerlei Angeboten für Elefanten-Reiten und Fuß-Massage weckt der Name eines Reiseanbieters meine Neugier. "Something Different Tours" bietet Motorradfahrten verschiedenster Prägung an. Onroad und Offroad, für einen Tag oder mehrere. In Gegenden, wo Otto-Normal-Tourist sonst nicht hinkommt. Klingt gut. Gebucht.
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Eine Tour buchen bei dem Kerl,
der Sylvester Stallone im
Dschungel getroffen hat. So
muss das sein! |
Ich entscheide mich für eine Ein-Tages-Tour in die Berge. Sie soll zu 30 Prozent auf Asphalt stattfinden, und zu 70 Prozent Offroad. Zuhause fahre ich ausschließlich auf der Straße. Jetzt will ich erleben, wie sich die Wühlerei durch den Matsch anfühlt. Dreckig, aber bitte nicht zu dreckig. Insgeheim hoffe ich auf trockenes Wetter für mein erstes Mitten-durch-die-Pampa-Erlebnis. Will mich nicht allzu sehr einsauen, oder abglitschen und mich auf den Felsen ablegen. Um acht Uhr morgens holt mich ein Typ namens Nat auf seiner kleinen Honda ab. Ihm scheint Something Different zu gehören, bei ihm im Büro erledigen wir den Papierkram. Den Versicherungs-Schein zum Beispiel, ein von ihm selbst ausgedruckter Dreizeiler. Muss halt reichen, mai pen rai - passt schon, so ist das eben hier in Thailand. An der Wand hängt ein Bild. Es zeigt Nat und einen diebisch grinsenden Sylvester Stallone. Nat erzählt, dass er "Sly" vor einigen Jahren im Dschungel nahe Chiang Mai getroffen hat, beim Location-Scouting für seinen letzten "Rambo"-Streifen. Ich hab den Film mehrere Male gesehen. Aber dass der in der Umgebung von Chiang Mai gedreht wurde? Ach verdammt, bis vor ein paar Wochen hab´ ich nicht mal gewusst, dass es diese Stadt überhaupt gibt!
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Noch grinst mein Tourguide Kuad
unbeschwert. Da hat´s ja auch noch
nicht zu regnen begonnen. |
Wir plaudern über dies und jenes, dann bringt mich Nat mit meinem Moped und meinem Tourguide namens Kuad zusammen. Kuad scheint mir zur Sorte "stiller Thai" gehörig. Er kann zwar etwas Englisch sprechen, traut sich aber nicht. Ich muss schon nachfragen, wenn ich etwas wissen will. Das habe ich so oder ähnlich inzwischen zwar schon etliche Male erlebt. Aber meine Eingewöhnung ändert nichts am Ergebnis - die Kommunikation gestaltet sich einseitig und mühselig. Vor allem wenn ich, wie diesmal, der einzige Teilnehmer an der Tour bin und das Gespräch alleine am laufen halten soll. Verdammte Nebensaison. Und mein… hm… Motorrad? Nicht die erhoffte KTM oder Yamaha fürs Gelände-Extrem. Sondern eine Honda Dream - ein kleines Eisen, das trotz Stollenbereifung aussieht wie die Zwangsehe aus Roller und Moped. Hier in Thailand extrem populär, sehe ich oft. Am Ende des Tages weiß ich auch, warum. Der 125-Kubik-Motor reißt überraschend an. Das Ding fährt sich wendig wie ein Tretroller. Klettert wie eine Bergziege. Steckt mehr weg als Olli Kahn. Kannst du hinwerfen, auf die Seite schmeissen, egal. Und die Vier-Gang-Halbautomatik nimmt mir viel Gedanken-Arbeit ab. So bleibt meinen paar grauen Zellen genug Kapazität, damit sie sich auf das Wesentliche konzentrieren: Überleben im Regenwald.
Kuad führt, ich folge. Wir halten kurz am Markt, kaufen was Essbares. Irgendein Passant quatscht Kuad an. Ich frage Kuad, was der denn jetzt wollte, ob´s vielleicht ein Freund war. Kuad verneint. Er erzählt, dass sei hier in Nordthailand nunmal so, dass jeder jeden anspricht, ob man sich nun kennt oder nicht. Nach rund anderthalb Stunden Autobahn im Sonnenschein werden die Straßen schlechter, und das Wetter ebenfalls. Monsunregen setzt ein. Wir halten kurz, ich streife meine Regenjacke über. Aber das hat eher symbolische Funktion, sie hält die Nässe vielleicht drei Minuten vom Körper ab. Dann biegen wir von der Hauptstraße ab. Dahin, wo die Schlaglöcher größer werden, und die Asphaltstücke kleiner. Die Seitenstraße schrumpft zu einem Pfad aus Pfützen und Schlamm zusammen, wird schließlich eins mit dem Regenwald. Dann geht´s bergauf. Im Vorhang aus Regen verfestigen sich grau schattierte Fächen zu Palmen und Büschen. Dazwischen erahne ich eine rund einen Meter breite, braune Mischung aus Morast, Fels und Rinnsaalen an einer Steigung, steil wie ein Treppenhaus. Und da bitteschön soll ich jetzt rauf? Hab ich Kuad nicht vor Beginn der Tour gesteckt, dass ich höchstens an der Xbox ein Motocross-Champ bin? Dass ich im wahren Leben noch nie Offroad unterwegs war?
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Da würde ich zuhause kaum zu Fuß die Seiten wechseln.
Hier in Thailand mache ich das mit dem Motorrad... |
Kuad bedeutet mir mit einer Geste, dass ich am Gasgriff drehen soll. Ich denke, er will mit damit das Startsignal geben und mich anfeuern. Er meint aber eigentlich, ich solle nur immer tüchtig Stoff geben und schön in Schwung bleiben. Doch das schwant mir erst später. Als ich genau das mit dem Schwung nämlich nicht hinkriege - sondern mich vorsichtig vorantaste, mich mit dem Vorderrad zwischen zwei Findlingen verkante und das Moped zum Stehen kommt. Motor abgewürgt. Merke: Sowas sollte am nassen Hang nie passieren. Die Füße finden kaum Halt, in den tiefen Schlammpfützen genauso wenig wie auf dem, vom durchtränkten Sand glitschig gewordenen Fels. Die ganze Fuhre kippt, ich kann sie nur mit aller Kraft abfangen. Das Vorderrad rutscht trotz gehaltener Handbremse; mir kriecht ein bisschen Panik unter die Haut. Irgendwie halte ich meine Honda aber doch aufrecht, indem ich meinen linken Fuß in eine schmale Felskante keile und mein Schienbein gegen die Fußraste stemme. Aber wie soll ich jetzt weiter machen? Erstmal muss ich das rechte Bein entlasten, damit ich damit den Kickstarter antreten kann. Ist mangels Anlasser meine einzige Chance auf Wiederbelebung der Maschine. Ich krieg das Bein frei, aber das Moped will nicht ins Leben zurück kehren. Kuad ist weit voraus, hat sich irgendwo im grauen Regen aufgelöst. Muss das hier alleine hinkriegen.
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Auf glitschigem Fels abwärts eiern, wissend, dass du unten
bei zu hohem Tempo ungespitzt in den Fluss
purzelst? Interessantes Gefühl! |
Beim siebten oder zehnten Versuch, ich zähle schon nicht mehr mit, tut der Kickstarter endlich wie ihm geheißen: Er startet den Motor. Der Zweizylinder röchelt an, verschluckt sich, sägt sich nach einem kurzen Dreh am Gasgriff einer lebenserhaltenden Drehzahl entgegen. Die Kupplung greift, das Moped ruckt kurz und reißt sich und mich endlich aus der misslichen Lage heraus. Ich gerate in den folgenden zwei Stunden bestimmt noch vier- oder fünfmal in ähnliche Situationen; balanciere das Moped; fange Rutscher ab; kämpfe gegen durchdrehende Räder; lege einmal das Motorrad auf die Seite; fühle mich völlig überfordert und möchte eigentlich aufgeben. Auch Kuad kämpft, ihm geht mehrmals das Radl weg. Aber scheitern gilt nicht. Wir befinden uns nunmal mitten im Nirgendwo. In der Mae-Wang-Region südwestlich von Chiang Mai, da wo sich nur ein paar Bergvolk-Siedlungen der Hmong zwischen Hügeln und Wäldern verlieren. Google Maps zeigt in dem Areal eine Hauptstraße und sonst nichts. Es gibt also nur eine Richtung: Vorwärts. Wo wir hoffentlich bald auf einen geteerten oder doch zumindest halbwegs ebenen Pfad stoßen.
So anstrengend die Aufstiege, so erleichternd die Ebenen. Ich atme aus und beginne zu genießen: die Natur uns um uns herum. Die Regenpausen. Die spannenden Überquerungen kleiner Fuhrten mittels Brücken aus ein paar Baumstämmen. Und ich lerne. Wie ich die Landschaft "lesen" muss, wie ich vorausschauend fahre. Dass ich das Moped besser in Spurrillen bewege als seitlich davon, weil´s die Stabilität steigert. Dass ich bei Bergab-Fahrten die Vorderradbremse lieber vergesse, außer ich würde stürzen wollen.
An manchen Steilstücken reicht die Bremswirkung am Hinterrad nicht aus. Das Motorrad rutscht weiter, und mir das Herz in die Hose. Das passiert zwei- oder dreimal. Aber irgendwann überwinde ich meine Angst, löse die Bremse und lasse die Fuhre kurz rollen. Und, oh Wunder, es klappt. Ich muss auch nicht mehr ständig mit den Füßen am Boden Halt suchen, sondern lasse sie auf den Rasten und vertraue meinem Gleichgewichts-Sinn. Das Vertrauen in meine Fähigkeiten wächst. Das merkt Kuad. Er grinst mehr als vorher. Hatte wohl Sorge, dass ich mich hinlegen und verletzen könnte, und spürt meine gewachsene Sicherheit. Ich spüre langsam die Anstrengung. Wir sind seit fünf Stunden unterwegs, oder seit neun? Mein sonst recht verlässliches Zeitgefühl lässt mich im Stich, meine Sinne konzentrieren sich auf Wichtigeres. Mopedfahren im Dschungel ist ein ständiger Balanceakt. Ich versuche bewusst meine Konzentration hoch zu halten, und an Etappenzielen zu entspannen. Beim kleinen Wasserfall irgendwo im Dschungel. An ein paar wilden Hütten. Einer kleinen Plantage. Ich sehe meine erste Schlange in ganz Südostasien, meinen ersten wilden Elefanten.
Letzten Endes erlebe ich mein Motorrad-Abenteuer als ereignisreich, spannend und aufbauend. Trotzdem hüpft mein Herz höher, als sich ein Stück Asphalt aus dem Regenwald schält. Hurra, die Zivilisation hat uns wieder! Kuad und ich, wir cruisen auf einer wundervollen Passstraße zurück Richtung Chiang Mai. Lang geschwungene Links- und Rechtskurven schlängeln sich durch sanft aus dem Boden knospende Hügel. Reisfelder schmiegen sich an wild wuchernden Regenwald, eine Etage über der anderen. Wir fahren vorbei an Hütten aus Bambus, wo Kinder toben. An alten Frauen, die ihren Handkarren über die Straße schieben. Viele dieser exotischen Szenerien habe ich im Kino schonmal gesehen. Meistens als Stimmungskontrast zu irgendwelchen Ballereien, eben zum Beispiel in Sylvester Stallones "Rambo". Jetzt bin ich selbst hier. Irgendwie toll! Irgendwann stellt sich sogar einer dieser seltenen "Flow"-Momente ein. Die Honda fährt wie von selbst. Ich schwinge mit traumwandlerischer Selbstverständlichkeit von Kurve zu Kurve, mein bewusstes Denken schaltet sich komplett ab, ich genieße wie die Fliehkräfte meinen Gleichgewichts-Sinn kitzeln.
Nach rund anderthalb Stunden haben wir uns dann irgendwann durch den völlig chaotischen, weil nahezu regelfreien Berufsverkehr von Chiang Mai gekämpft - wir sind zurück. Kuad ist so kaputt wie ich. Er erzählt, dass ihm die Fahrt eigentlich zu krass war. Trotzdem haben wir´s gut hingekriegt. Nur ein Umfaller auf der ganzen Tour. Kein Sturz. Von keiner Brücke gepurzelt. Stattdessen viel gesehen und viel gelernt, auch über das Land und die Leute. Ob ich´s nochmal wagen würde?
Eigentlich schon. Aber eher bei Sonnenschein.
Richard
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Woran erkennst du einen Farang auf
dem Motorrad? Genau, am Helm.
Einheimische fahren meistens oben ohne. |
Vor einigen Tagen sind Doreen und ich in Chiang Mai angekommen. "Rose des Nordens", so nennt sich das 140.000-Seelen-Städtchen selbst. Der Lonely-Planet-Reiseführer umschreibt diese zweitgrößte Menschen-Konzentration innerhalb von Thailand, zugleich Residenz der Provinz Chiang Mai, als beschaulich, betulich und naturbelassen. Chiang Mai hat sich in einer ländlichen Landschaft eingenistet. Hoch oben im Norden, nahe dem "Goldenen Dreieck", sprich der Grenze zu Burma und Laos. Zwischen dichtem Regenwald und flachen Ausläufern des Himalaya-Gebirges. Ideal für ein bisschen faulenzen, wandern und, ja, auch Kultur live erleben. Wir befinden uns immerhin im Mittelpunkt jener Region, die meine Großeltern noch als "Siam" gekannt haben. Mehr Asien kann ich mir kaum vorstellen. Etwas Ruhe genießen, Ursprünglichkeit kennen lernen: deswegen sind wir hier. Darum haben wir uns von einem sogenannten "Express-Zug" über Nacht von Bangkok hierher schaukeln lassen - aber das ist eine andere Geschichte für eine spätere Blognotiz. Vor Ort jedenfalls haben Doreen und ich beschlossen, dass jeder mal mehr für sich selbst unternimmt. Wo sich die Umgebung für Ausflüge ins Grüne anbietet: warum sie nicht mit dem Motorrad erkunden?
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Unterwegs in Nordthailand. Wo die Hunde
genüsslich über die Straße schlendern, weil sie so selten
jemand dabei stört. |
Ich würde mich nicht als durch und durch vom Motorrad-Virus durchdrungenen Menschen bezeichnen. Aber mit meiner GSR-Suzuki durch das Voralpenland schwingen; auf der Rennstrecke Selbstvertrauen tanken; oder über einen schönen Pass in Richtung Italien gondeln, das vermisse ich in letzter Zeit. Werde hier in Thailand ja ständig an die Schönheit des Motorradfahrens erinnert. Hier gibt´s einfach viel mehr motorisierte Zweiräder als zuhause. Wenn irgendwo zwischen Khao Lak, Bangkok und Chiang Mai etwas an dir vorbeiröhrt, dann ist´s mit großer Wahrscheinlichkeit ein Taxi, Tuktuk oder eben ein Moped. Einfach jeder fährt hier sowas. Wer da als Zugroaster mit dabei sein möchte, stößt auf offene Arme. Eine Kawa oder Honda mieten und im Kreis fahren, diesem Unterfangen kommen mindestens zwei Dutzend Fahrzeug-Verleiher in Chiang Mai gerne entgegen. Die Frage an den Vermieter, ob der deutsche Führerschein ausreicht - oder ob überhaupt einer benötigt wird - hat hemdsärmelige Antworten zur Folge. "Ich bin nicht die Polizei. Mir ist das egal" oder "Hauptsache, du trägst einen Helm". Na dann.
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Mein Leih-Motorrad: eine Honda
Dream mit 125 Kubik. Sieht nach
nichts aus, kann aber was. |
Aber so ganz ohne Kenntnisse von Orten, Schildern, thailändischen Schriftzeichen, hiesiger Sprache und - nicht zu vergessen! - dem Linksverkehr sollte ich meinen ersten in Moped-Ausflug in Südost-Asien vernünftigerweise eingrenzen. Auf den zumindest teilweise englisch beschilderten Stadtbereich. Will aber eigentlich raus auf´s Land. Will Reisfelder sehen, Bauern bei der Arbeit, Dörfer, Dschungel, Kurven und Berge. Alpen auf asiatisch, sozusagen. Na, und neulich, bei uns in der Bleibe, was sehe ich da beim Blick auf den Waschzettel-Aushang? Zwischen allerlei Angeboten für Elefanten-Reiten und Fuß-Massage weckt der Name eines Reiseanbieters meine Neugier. "Something Different Tours" bietet Motorradfahrten verschiedenster Prägung an. Onroad und Offroad, für einen Tag oder mehrere. In Gegenden, wo Otto-Normal-Tourist sonst nicht hinkommt. Klingt gut. Gebucht.
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Eine Tour buchen bei dem Kerl,
der Sylvester Stallone im
Dschungel getroffen hat. So
muss das sein! |
Ich entscheide mich für eine Ein-Tages-Tour in die Berge. Sie soll zu 30 Prozent auf Asphalt stattfinden, und zu 70 Prozent Offroad. Zuhause fahre ich ausschließlich auf der Straße. Jetzt will ich erleben, wie sich die Wühlerei durch den Matsch anfühlt. Dreckig, aber bitte nicht zu dreckig. Insgeheim hoffe ich auf trockenes Wetter für mein erstes Mitten-durch-die-Pampa-Erlebnis. Will mich nicht allzu sehr einsauen, oder abglitschen und mich auf den Felsen ablegen. Um acht Uhr morgens holt mich ein Typ namens Nat auf seiner kleinen Honda ab. Ihm scheint Something Different zu gehören, bei ihm im Büro erledigen wir den Papierkram. Den Versicherungs-Schein zum Beispiel, ein von ihm selbst ausgedruckter Dreizeiler. Muss halt reichen, mai pen rai - passt schon, so ist das eben hier in Thailand. An der Wand hängt ein Bild. Es zeigt Nat und einen diebisch grinsenden Sylvester Stallone. Nat erzählt, dass er "Sly" vor einigen Jahren im Dschungel nahe Chiang Mai getroffen hat, beim Location-Scouting für seinen letzten "Rambo"-Streifen. Ich hab den Film mehrere Male gesehen. Aber dass der in der Umgebung von Chiang Mai gedreht wurde? Ach verdammt, bis vor ein paar Wochen hab´ ich nicht mal gewusst, dass es diese Stadt überhaupt gibt!
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Noch grinst mein Tourguide Kuad
unbeschwert. Da hat´s ja auch noch
nicht zu regnen begonnen. |
Wir plaudern über dies und jenes, dann bringt mich Nat mit meinem Moped und meinem Tourguide namens Kuad zusammen. Kuad scheint mir zur Sorte "stiller Thai" gehörig. Er kann zwar etwas Englisch sprechen, traut sich aber nicht. Ich muss schon nachfragen, wenn ich etwas wissen will. Das habe ich so oder ähnlich inzwischen zwar schon etliche Male erlebt. Aber meine Eingewöhnung ändert nichts am Ergebnis - die Kommunikation gestaltet sich einseitig und mühselig. Vor allem wenn ich, wie diesmal, der einzige Teilnehmer an der Tour bin und das Gespräch alleine am laufen halten soll. Verdammte Nebensaison. Und mein… hm… Motorrad? Nicht die erhoffte KTM oder Yamaha fürs Gelände-Extrem. Sondern eine Honda Dream - ein kleines Eisen, das trotz Stollenbereifung aussieht wie die Zwangsehe aus Roller und Moped. Hier in Thailand extrem populär, sehe ich oft. Am Ende des Tages weiß ich auch, warum. Der 125-Kubik-Motor reißt überraschend an. Das Ding fährt sich wendig wie ein Tretroller. Klettert wie eine Bergziege. Steckt mehr weg als Olli Kahn. Kannst du hinwerfen, auf die Seite schmeissen, egal. Und die Vier-Gang-Halbautomatik nimmt mir viel Gedanken-Arbeit ab. So bleibt meinen paar grauen Zellen genug Kapazität, damit sie sich auf das Wesentliche konzentrieren: Überleben im Regenwald.
Kuad führt, ich folge. Wir halten kurz am Markt, kaufen was Essbares. Irgendein Passant quatscht Kuad an. Ich frage Kuad, was der denn jetzt wollte, ob´s vielleicht ein Freund war. Kuad verneint. Er erzählt, dass sei hier in Nordthailand nunmal so, dass jeder jeden anspricht, ob man sich nun kennt oder nicht. Nach rund anderthalb Stunden Autobahn im Sonnenschein werden die Straßen schlechter, und das Wetter ebenfalls. Monsunregen setzt ein. Wir halten kurz, ich streife meine Regenjacke über. Aber das hat eher symbolische Funktion, sie hält die Nässe vielleicht drei Minuten vom Körper ab. Dann biegen wir von der Hauptstraße ab. Dahin, wo die Schlaglöcher größer werden, und die Asphaltstücke kleiner. Die Seitenstraße schrumpft zu einem Pfad aus Pfützen und Schlamm zusammen, wird schließlich eins mit dem Regenwald. Dann geht´s bergauf. Im Vorhang aus Regen verfestigen sich grau schattierte Fächen zu Palmen und Büschen. Dazwischen erahne ich eine rund einen Meter breite, braune Mischung aus Morast, Fels und Rinnsaalen an einer Steigung, steil wie ein Treppenhaus. Und da bitteschön soll ich jetzt rauf? Hab ich Kuad nicht vor Beginn der Tour gesteckt, dass ich höchstens an der Xbox ein Motocross-Champ bin? Dass ich im wahren Leben noch nie Offroad unterwegs war?
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Da würde ich zuhause kaum zu Fuß die Seiten wechseln.
Hier in Thailand mache ich das mit dem Motorrad... |
Kuad bedeutet mir mit einer Geste, dass ich am Gasgriff drehen soll. Ich denke, er will mit damit das Startsignal geben und mich anfeuern. Er meint aber eigentlich, ich solle nur immer tüchtig Stoff geben und schön in Schwung bleiben. Doch das schwant mir erst später. Als ich genau das mit dem Schwung nämlich nicht hinkriege - sondern mich vorsichtig vorantaste, mich mit dem Vorderrad zwischen zwei Findlingen verkante und das Moped zum Stehen kommt. Motor abgewürgt. Merke: Sowas sollte am nassen Hang nie passieren. Die Füße finden kaum Halt, in den tiefen Schlammpfützen genauso wenig wie auf dem, vom durchtränkten Sand glitschig gewordenen Fels. Die ganze Fuhre kippt, ich kann sie nur mit aller Kraft abfangen. Das Vorderrad rutscht trotz gehaltener Handbremse; mir kriecht ein bisschen Panik unter die Haut. Irgendwie halte ich meine Honda aber doch aufrecht, indem ich meinen linken Fuß in eine schmale Felskante keile und mein Schienbein gegen die Fußraste stemme. Aber wie soll ich jetzt weiter machen? Erstmal muss ich das rechte Bein entlasten, damit ich damit den Kickstarter antreten kann. Ist mangels Anlasser meine einzige Chance auf Wiederbelebung der Maschine. Ich krieg das Bein frei, aber das Moped will nicht ins Leben zurück kehren. Kuad ist weit voraus, hat sich irgendwo im grauen Regen aufgelöst. Muss das hier alleine hinkriegen.
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Auf glitschigem Fels abwärts eiern, wissend, dass du unten
bei zu hohem Tempo ungespitzt in den Fluss
purzelst? Interessantes Gefühl! |
Beim siebten oder zehnten Versuch, ich zähle schon nicht mehr mit, tut der Kickstarter endlich wie ihm geheißen: Er startet den Motor. Der Zweizylinder röchelt an, verschluckt sich, sägt sich nach einem kurzen Dreh am Gasgriff einer lebenserhaltenden Drehzahl entgegen. Die Kupplung greift, das Moped ruckt kurz und reißt sich und mich endlich aus der misslichen Lage heraus. Ich gerate in den folgenden zwei Stunden bestimmt noch vier- oder fünfmal in ähnliche Situationen; balanciere das Moped; fange Rutscher ab; kämpfe gegen durchdrehende Räder; lege einmal das Motorrad auf die Seite; fühle mich völlig überfordert und möchte eigentlich aufgeben. Auch Kuad kämpft, ihm geht mehrmals das Radl weg. Aber scheitern gilt nicht. Wir befinden uns nunmal mitten im Nirgendwo. In der Mae-Wang-Region südwestlich von Chiang Mai, da wo sich nur ein paar Bergvolk-Siedlungen der Hmong zwischen Hügeln und Wäldern verlieren. Google Maps zeigt in dem Areal eine Hauptstraße und sonst nichts. Es gibt also nur eine Richtung: Vorwärts. Wo wir hoffentlich bald auf einen geteerten oder doch zumindest halbwegs ebenen Pfad stoßen.
So anstrengend die Aufstiege, so erleichternd die Ebenen. Ich atme aus und beginne zu genießen: die Natur uns um uns herum. Die Regenpausen. Die spannenden Überquerungen kleiner Fuhrten mittels Brücken aus ein paar Baumstämmen. Und ich lerne. Wie ich die Landschaft "lesen" muss, wie ich vorausschauend fahre. Dass ich das Moped besser in Spurrillen bewege als seitlich davon, weil´s die Stabilität steigert. Dass ich bei Bergab-Fahrten die Vorderradbremse lieber vergesse, außer ich würde stürzen wollen.
An manchen Steilstücken reicht die Bremswirkung am Hinterrad nicht aus. Das Motorrad rutscht weiter, und mir das Herz in die Hose. Das passiert zwei- oder dreimal. Aber irgendwann überwinde ich meine Angst, löse die Bremse und lasse die Fuhre kurz rollen. Und, oh Wunder, es klappt. Ich muss auch nicht mehr ständig mit den Füßen am Boden Halt suchen, sondern lasse sie auf den Rasten und vertraue meinem Gleichgewichts-Sinn. Das Vertrauen in meine Fähigkeiten wächst. Das merkt Kuad. Er grinst mehr als vorher. Hatte wohl Sorge, dass ich mich hinlegen und verletzen könnte, und spürt meine gewachsene Sicherheit. Ich spüre langsam die Anstrengung. Wir sind seit fünf Stunden unterwegs, oder seit neun? Mein sonst recht verlässliches Zeitgefühl lässt mich im Stich, meine Sinne konzentrieren sich auf Wichtigeres. Mopedfahren im Dschungel ist ein ständiger Balanceakt. Ich versuche bewusst meine Konzentration hoch zu halten, und an Etappenzielen zu entspannen. Beim kleinen Wasserfall irgendwo im Dschungel. An ein paar wilden Hütten. Einer kleinen Plantage. Ich sehe meine erste Schlange in ganz Südostasien, meinen ersten wilden Elefanten.
Letzten Endes erlebe ich mein Motorrad-Abenteuer als ereignisreich, spannend und aufbauend. Trotzdem hüpft mein Herz höher, als sich ein Stück Asphalt aus dem Regenwald schält. Hurra, die Zivilisation hat uns wieder! Kuad und ich, wir cruisen auf einer wundervollen Passstraße zurück Richtung Chiang Mai. Lang geschwungene Links- und Rechtskurven schlängeln sich durch sanft aus dem Boden knospende Hügel. Reisfelder schmiegen sich an wild wuchernden Regenwald, eine Etage über der anderen. Wir fahren vorbei an Hütten aus Bambus, wo Kinder toben. An alten Frauen, die ihren Handkarren über die Straße schieben. Viele dieser exotischen Szenerien habe ich im Kino schonmal gesehen. Meistens als Stimmungskontrast zu irgendwelchen Ballereien, eben zum Beispiel in Sylvester Stallones "Rambo". Jetzt bin ich selbst hier. Irgendwie toll! Irgendwann stellt sich sogar einer dieser seltenen "Flow"-Momente ein. Die Honda fährt wie von selbst. Ich schwinge mit traumwandlerischer Selbstverständlichkeit von Kurve zu Kurve, mein bewusstes Denken schaltet sich komplett ab, ich genieße wie die Fliehkräfte meinen Gleichgewichts-Sinn kitzeln.
Nach rund anderthalb Stunden haben wir uns dann irgendwann durch den völlig chaotischen, weil nahezu regelfreien Berufsverkehr von Chiang Mai gekämpft - wir sind zurück. Kuad ist so kaputt wie ich. Er erzählt, dass ihm die Fahrt eigentlich zu krass war. Trotzdem haben wir´s gut hingekriegt. Nur ein Umfaller auf der ganzen Tour. Kein Sturz. Von keiner Brücke gepurzelt. Stattdessen viel gesehen und viel gelernt, auch über das Land und die Leute. Ob ich´s nochmal wagen würde?
Eigentlich schon. Aber eher bei Sonnenschein.
Richard
Motorradfahren in Rambos Land
So spannend und interessant sich Dein Blogeintrag liest, Richy, möchte ich aber auch unbedingt erfahren, was die Dame mit ihrer freien Zeit anstellt :-)
AntwortenLöschenAlso Doreen, los geht's... :-)
<3
Sabinchen!!!!
AntwortenLöschenDie Dame macht ein paar Kurse. Heute gehts los mit einem Qi-Gong-Kurs. Ein Silber-Schmuck-Kurs wurde schon erfolgreich absolviert :o)
Wie geht´s Dir?
Liebe Grüßle
Doreen <3
hallo ihr beiden,
AntwortenLöschendas war ja jetzt wirklich spannend zu lesen. Aber wie so oft, bist du wieder gut aus der Sache rausgekommen. Hätt ich auch nicht anders erwartet von dir.
Ich hab mich beim Lesen, auch gefragt, was die Doreen in der Zwischenzeit gemacht hat. Aber die Antwort hat sie bereits gegeben.
Liebe Grüße Jutta mit Anhang.