Montag, 6. Juni 2011

O´Zapft is´ in Washington


Die zauberhafte Welt der
Cascade-Mountains...
Oregon hätten wir beinahe verpasst. Der selbsternannte "Biberstaat" geht zwischen seinen großen Bruderstaaten Washingon im Norden bzw. Kalifornien im Süden fast unter. Doreen und ich, wir hatten Oregon nur als Durchfahrt auf dem Plan. Wir haben auf unserer Straßenkarte grob skizziert, dass wir unseren kleinen Kia Rio von Seattle aus eine Schleife durch Washington drehen, und ihn danach südlich in Richtung San Francisco driften lassen würden. Oregon? Städte, von denen ich noch nie gehört habe. Wälder, die nie enden wollen. Und Biber. Warum also halten? Und doch sind wir jetzt hiergeblieben, im Staat der Fichten und Flüsse, der Berge und Biber. Ist einfach zu bezaubernd, diese Gegend.

Unzählige Seen laden zum Zwischenstopp ein.

Angefangen hat unser Angetansein bei einer Spazierfahrt durch die Landschaft östlich von Seattle, durch die sogeannten "Cascades". Ein Gebirge, vergleichbar den Alpen. Trotz Ferienzeit fährst du auf einsamen Straßen an schneebedeckten Gipfel vorbei, an wunderschön saftigem Grün. Die Wege winden sich an kleinen Bächen und Creeks durch Täler, die wir ab und zu auf 100 Jahre alten, rostigen, ehemaligen Eisenbahn-Brücken überqueren. Dazwischen laden immer wieder kleine Espresso-Buden zu einem kurzen Halt ein. Keine Ahnung, warum, aber die Kunst des Kaffeekochens beherrschen sie hier in dieser Gegend wie sonst kaum irgendwo auf der Welt. Du kannst hier sogar an der Shell-Tanke halten, Sprit nachfüllen und ein Koffeingetränk genau nach Wunsch bestellen. Ich: "Haben Sie Cappuccino?". Hübsches junges Ding von vielleicht 20 Jahren: "Klar. Ein oder zwei Shots?". Ich: "???". Sie: "Wie hätten sie denn gerne die Mischung? Und den Milchschaum,  wollen sie eher viel oder wenig, eher hart oder weich?". Ich: "?!?". Irgendwann ist die Bestellung erledigt, und mit einer ganz erstaunlich aromatischen Koffeinzauberei im Getränkehalter cruist du weiter. Und entdeckst erstaunliches. Zum Beispiel Bayern mitten in den USA. Gemeint ist ein Ort namens Leavenworth, ungefähr zwei Autostunden östlich von Seattle. Du fährst rein, und denkst du bist am Chiemsee. Als wir den hiesigen Bäckerladen betreten, mögen wir unseren Ohren kaum trauen: im Radio läuft Antenne Bayern. Während ich noch überlege, ob ich ein Stück Schwarzwälder Kirsch oder zwei Mohnsemmeln mitnehme, spricht uns der Bäcker auf mit fränkischem Dialekt an.

...jedenfalls bis du einige Häuser
genauer anguckst. Man beachte
den Dachstuhl.
Leavenworth: du denkst, du bist
in Garmisch... 
Er erzählt, dass die Menschen in Leavenworth früher von Goldsuche, Waldarbeit und der Eisenbahn gelebt hätten. Aber dann sei das Geschäft zurückgegangen. Mitte der 60er-Jahre hätten sich die Bürger der Stadt überlegt, wie ein Aussterben des Ortes zu verhindern sei. Die Lösung: Tourismus, gepaart mit alpiner Bergbauern-Exotik im Bayern-Look. Seitdem gibt´s ein Oktoberfest und eine Blaskapelle. Seitdem müssen alle Neubauten im Ort aussehen, wie sich Amerikaner Garmisch-Partenkirchen vorstellen. Du kannst im "Ritterhof" nächtigen, im "Cafe Mozart" Kuchen naschen, im "Alpenhaus" Souvenirs ergattern und im "Andreas Keller" Leberkäs´ mit Bratkartoffeln einwerfen. Das Bild im Ortskern ähnelt dem eines bayrischen Ferienorts schon sehr, zumindest wenn man die Details außer acht lässt.  Bei genauerem Hingucken merkt man dann schon, dass viele Häuser aus Pressholz und Kunststofffassade gebaut sind, wie oft in den USA. Und dass auf Flachdächer gerne ein kurzer Dachstuhl aufgesetzt ist, der nur rund ein Fünftel des Gebäudes überbaut. Das sieht dann aus wie bei einer Filmkulisse: von vorne echt, von der Seite fake. 

Einer der vielen kleinen Wasserfälle
in den Cascades...
Aber bei einigen Häusern funktioniert die Illusion verflixt gut. Der Wirt der Pension Anna sei einige Mal nach Bayern geflogen und habe sich die Materialien für sein Haus dort zusammen gekauft, erfahren wir von Mark. Er ist ein großer athletischer Typ, und mit Gabi verheiratet. Die beiden führen den kleinen Schreibwaren-Laden "Siegerts Papierplatz" ; und freuen sich tierisch über unseren Besuch aus Bayern. "Meistens kommen nämlich nur Amerikaner hierher", erzählt Mark. Gabis Eltern haben sich in Deutschland kennengelernt. SIe als Deutsche, er als in Deutschland stationierter US-Soldat. Daher spricht Gabi so gut deutsch. Eine Geschichte, die wir schon häufiger gehört haben. Mir dämmert langsam, welch großen Beitrag das US-Militär auf diesem Weg zur Völkervermischung und damit zum Weltfrieden leistet, auch heute noch.  Wir plaudern über dies und das, über unsere Reisepläne; und Mark empfiehlt uns die Stadt Portland als nächste Zwischenstation. Liegt an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Washington und Oregon. Wäre ein schöner Drive dorthin, sagt Mark. 

Eines der Ziele auf dem "Three Capes Loop":
der knuffige Leuchtturm am Cape Mears.
Ende Mai, Westküste USA, kurz
vor Kalifornien: Schneesturm.
Und er hat Recht. Doreen und ich, wir reissen in drei Tagen knapp 1600 Kilometer runter; fahren wie in Trance. Die Straßen schneiden durch endlose Nadelwälder; arbeiten sich in unzähligen Windungen auf Pässe in knapp 2000 Meter hoch; heben sich auf Ebenen hinaus, wo sich weite Kurven an sanft geschwungene Hügel - die "Rolling Hills" - schmiegen. Tannenwälder, Steppe, Sonne, Regen, Schneefall, wir werden binnen weniger Stunden von Eindrücken überschüttet. Die folgenden Tage setzen noch was drauf, denn wir erreichen die Pazifikküste von Oregon. Ein Traum. Die "Interstate 101" schlängelt sich am Meer entlang. Ab und zu gehen kleinere "State Roads" und "Country Roads" ab, quasi die Geheimtipps unter den Straßen. Eine davon nennt sich "Three Capes Loop". Die Schleife führt uns an steile Klippen, idyllische Leuchttürme, einsame Stränden, beschauliche Hafenstädtchen. Woanders in den USA, zum Beispiel in Washington oder Kalifornien, sind große Teile der Küste in Privathand und daher für den Normalsterblichen nicht besuchbar. In Oregon dagegen ist fast alles zugänglich. Auch Doreen genießt die Fahrt, die kurzen Zwischenstopps, die vielen schönen Momente. Den Blick auf Flüsse und das Meer, auf eine oft wundervolle Weite. Sowas kenne ich aus Europa nicht. Ich kann hier stundenlang über nahezu leere Straßen cruisen, ohne dass Ampeln, Kreisverkehr oder Siedlungen die Fahrt unterbrechen. Einfach ein Traum, sogar in unserem spartanischen Miet-Kia mit Kurbelfenster und Leistungsloch, aber schneller Automatik, guter Kurvenlage und großen Guckfenstern. Hier muss ich nochmal mit dem Motorrad her.  
Die Route 101 führt von Seattle bis nach Kalifornien,
oft direkt an der Pazifikküste entlang. 

 Irgendwann sind wir im romantischen Küstenstädtchen Bandon hängen geblieben. Die Leute hier schlendern über eine kleine Strandpromenade,  schlürfen in den Cafés ihren Cappuccino (ja, auch hier!) oder lassen beim Krabbenfischen die Seele baumeln. Unsere Bleibe hier heißt "Sea Star Lodging",  und sie hat uns mit einem wundervollen Zimmer für relativ überschaubares Geld geködert. Von der Couch aus blicken wir durch das große Fenster auf ein paar schaukelnde Segelboote im Hafen vor uns. Schade, dass wir hier nur wenige Tage ausspannen. Aber es gibt noch so viel zu erleben in den USA: die Redwood-Wälder durchforsten wir gerade, während ich diese Zeilen tippe. Es folgen San Francisco, Las Vegas, Nevada. Außerdem würde ich gerne ein paar nette Leute treffen, die anlässlich der Videospiel-Messe E3 nach Los Angeles pilgern. Wir folgen dem Ruf.  

Immer auf der Jagd, 
Richard 





P.S.: hier noch ein paar Momentaufnahmen aus den letzten Tagen.  


1 Kommentar:

  1. Hallo ihr beiden,

    hört man da ein wenig Heimweh in den Zeilen. Oder täusch ich mich da. Auf alle fälle freut es mich das ihr auch mal etwas Bayerisches zu sehen bekommt, auch wenn es nicht "echt" ist.

    Liebe Grüße Jutta

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