Mittwoch, 23. November 2011

Christchurch: Besuch im Epizentrum




Ich glaub´ ich hab´ schonmal erwähnt, wie planlos Doreen und ich in Neuseeland angekommen sind. Wohin wir reisen wollten, was wir sehen möchten - alle unsere Reisevorbereitungen hätten locker auf einem dieser kleinen gelben Postit-Zettelchen Platz gefunden. Wir wollten spontan sein, uns von Erzählungen anderer inspirieren lassen. 
Der Lake Pukaki liegt auf dem Weg
von Wanaka nach Christchurch.
Nur Christchurch stand von vornherein als Etappen-Ziel fest. Jene Stadt an der Ostküste, die so viele Reiseberichte als herrlich englisch, unvergleichlich charmant und wunderbar lebenswert beschreiben. Ich habe den Namen Christchurch allerdings das erste Mal im Herbst 2010 wahrgenommen, als er wegen des starken Erdbebens Schlagzeilen machte. Dass sich am 22. Februar 2011 ein weiteres Beben ereignen würde, haben Doreen und ich kaum mehr wahrgenommen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt  im Herzen von Argentininen unterwegs, da schwebt so manche Information unverrichteter Dinge an dir vorüber… 

Ebenfalls auf dem Weg: Blick auf den
Mount Cook, Neuseelands höchster Berg.
Erdbeben, sowas kenne ich aus Deutschland kaum. Als Kind hat mich mal ein ganz sanftes Beben in der Region München durchgeschüttelt. Habe mir sagen lassen, dass gelegentlich einige Häuser in der Eifel wackeln. Aber sonst? Viele Menschen in Japan, Kalifornien und anderen Regionen auf unserem schönen Planeten leben mit der ständigen Gefahr. Doreen und ich, wir wollten wissen: wie fühlt sich eine Stadt an, die von so einer Naturkatastrophe heimgesucht wurde? Wie wirken sich die Erderschütterungen aus; welche Zerstörungen richten sie an; wie sehr verändert sich das Leben der Bewohner? Sind die Folgen so viele Monate danach überhaupt noch greifbar? 

Nach unserer Ankunft in Neuseeland werden wir überraschend bald mit dem Thema Christchurch konfrontiert. Nämlich direkt nach unserer Landung in Queenstown, drei Wochen und rund 1000 Reisekilometer bevor wir die Stadt erreichen möchten. Im Hostel erzählt uns eine Mitbewohnerin, dass sie ihre Reisepläne ändern musste. Weil nämlich ihr Reisebus Christchurch gar nicht mehr anfahre. Von anderen hören wir, das Zentrum von Christchurch sei komplett gesperrt. Es sei unglaublich schwierig, überhaupt eine Unterkunft zu finden. Die Fahrt lohne nicht, weil es sowieso kaum was zu erleben gäbe. Beim Abendessen lernen wir Cathy kennen. Die Engländerin verbringt einige Monate per "Work & Travel" in Neuseeland. Sie finanziert ihre Reise durch Arbeit zwischendurch. 
Ihr letzter Arbeitgeber: eine Institution namens "Canterbury Earthquake Recovery Authority", kurz "CERA". CERA soll die Aufräumarbeiten koordinieren; Gelder an Erdbeben-Opfer verteilen; Schäden beseitigen. Klappt offenbar nicht sonderlich gut. Die Stimmung in der Stadt sei schlecht, erzählt Cathy. Es gäbe kaum noch Restaurants und Weggeh-Gelegenheiten. Große Teile des Stadtzentrums seien zerstört und können nicht wieder aufgebaut werden, weil der Boden instabil sei. Offenbar wurden Teile der Stadt buchstäblich auf Sand gebaut. Das rächt sich jetzt. Viele flüchten und suchen woanders ein neues Zuhause. Vielleicht flüchten sie auch vor dem Tod: das Beben hat schließlich etliche Menschenleben gekostet. 

In den Außenbezirken von Christ-
church zeigen sich kaum Anzeichen
der Erdbeben, im Zentrum umso mehr. 
Während Cathy erzählt, versuche ich mich in die Lage der Betroffenen zu versetzen. Wenn ihnen jemand Lichter am Horizont zeigte, Bau- und Zeitpläne zum Beispiel, dann müssten die Menschen doch Hoffnung und Kraft schöpfen können. Aber Cathy winkt ab: "Bei CERA weiß noch keiner, wann der Wiederaufbau beginnt." Sie schildert, dass momentan Räumkommandos Trümmer beseitigen und Statiker die Häuser sezieren. Sie sichten Schäden, begutachen Strukturen, sortieren in Kategorien: Unbeschädigt, leicht beschädigt, renovierungsbedürftig, abrissreif. Das  Beben vom Februar ist neun Monate her, trotzdem kann von Sanierung oder gar Aufbau vorerst keine Rede sein? Bin überrascht. Cathys Schilderungen verdichten sich in meinem Kopf zum Bild einer sterbenden Stadt. 

Große Teile des Zentrums sind
gesperrt. Die meisten Gebäude
werden abgerissen.
Etliche Tage später schaukelt uns unser treuer Nissan-Sunny-Mietwagen von Wanaka aus in Richtung Christchurch. Wir fahren an etlichen Naturwundern vorbei, sehen wie der majestätische Mount Cook den Horizont dominiert. Mir fällt ein Stein von Herzen, als wir die Außenbezirke der Stadt erreichen. Nichts zu spüren von Resignation oder Stadtflucht. Ganz im Gegenteil. Es geht zu wie am Münchner Stachus vor Weihnachten. Der dichte Verkehr auf der zweispurigen Einfallstraße stellt meine Konzentration auf die Probe. Mein erstes Mal im "linken" Berufsverkehr. Auf unserem Campingplatz ein ähnliches Bild. Keine Spur von Leere oder trüber Stimmung. Am nächsten Tag dringen wir mit dem Auto problemlos in das Zentrum der Stadt vor. Wir finden für unseren Nissan einen Parkplatz, und sind bereit für unseren ersten Kontakt mit dem Epizentrum. Hier, im Stadtkern, soll es die stärksten Zerstörungen gegeben haben. Mal sehen. 
Der Neuaufbau gelingt nur zögerlich,
aber immerhin: nahe der Lichfield-
Street entdecken wir dieses
provisorische Einkaufszentrum. 

Das Grand-Chancellor-Hotel.  Hat
aufgrund sogenannter
"Bodenverflüssigung" Schieflage,
wird abgerissen.


Jedenfalls, die Sonne scheint. Unser Spaziergang beginnt hoffnungsvoll. In den Außenbezirken haben wir eine Handvoll von Mauern gebrochene Ziegel gesehen. Sonst keine Hinweise darauf, dass hier irgendwann Ungewöhnliches passiert sein könnte. Im Stadtzentrum nähern wir uns einem belebten Platz und entdecken Kurioses: knallbunte Baucontainer, gestapelt als wären sie Teil einer Lego-Stadt. Einige Container sind mit Schaufenstern versehen, andere mit Türen. So entsteht das überraschend elegante Provisorium eines Einkaufszentrums. Komplett mit modernen Straßencafés und Sitzgelegenheiten unter schattenspendenden Bäumen. Dahinter hat ein Kaufhaus geöffnet - na bitte, hier geht ja doch was. Ich genieße die Stimmung. Einige wenige hundert Meter später stoßen wir auf eine Grenze. Ein Maschendrahtzaun verstellt den Weg. Er breitet sich nach links und rechts aus, so weit das Auge reicht. Ich schätze das abgeschirmte Areal ab, schätze es so groß wie die Münchner Altstadt. Ein Verbotsschild warnt vor dem Zutritt zu dem, was hinter dem Zaun liegt. Die ursprüngliche Fußgänger- und Einkaufszone, denke ich mir. Ist die kleine Container-Einkaufs-Stadt ein Ersatz dafür, ist sie das Werk improvisationsbereiter Kaufleute? Der Bereich hinter dem Zaun jedenfalls ist tot. Kein Mensch zu sehen. Alles leer und staubig, Fassaden in Trümmern, Scherben auf dem Boden. Kaufhäuser, Restaurants und Büros sind verlassen und geschlossen. Ich versinke in Gedanken, Doreen holt mich zurück in die Realität: "Jetzt weiß ich, warum alle Hotelzimmer ausgebucht waren. Die großen Hotels sind ja fast alle dicht". Stimmt. Und das in der größten Stadt auf der Südinsel von Neuseeland; mit dem immer noch belebtesten Flughafen, von Auckland abgesehen.

An einem Sicherheits-Zaun ist diese
Tafel angebracht. Interessant, welche
Gefahren in einem
ehemaligen Erdbeben-Gebiet lauern...


In einiger Entfernung sehe ich einen Godzilla von einem Kran in den Himmel ragen. Von einem Ausleger baumelt die Mutter aller Kneifzangen, ein riesiges Ding. Die dinosauriergleiche Maschine beißt sich in die Wand eines Hochhauses, schneidet durch den Stahlbeton wie eine Schere durch Pappe. Daneben kämpft ein noch höheres Gebäude um sein Gleichgewicht, steht deutlich schief. Ein kurioses Bild. Ich bremse meine Schritte und beobachte das Dach. Einige Menschen scheinen dort zu arbeiten. Plötzlich heben sich Teile der Dachkonstruktion nach oben, baumeln am Arm eines 100 Meter langen Kran-Auslegers, schweben dann nach unten. Später erfahre ich, was da abgetragen wird: das Hotel Grand Chancellor. Der Boden hat nachgegeben, ist instabil geworden. Der Abriss dieses einen Gebäudes alleine kostet 16 Millionen Neuseeland-Dollar, rund 9 Millionen Euro. Hunderten Häusern steht ein ähnliches Schicksal bevor. Während ich die Szene beobachte, macht sich eine Mischung aus Melancholie und Hoffnung in mir breit. Das hier wird noch Jahre dauern.  

Einige ehemalige Bewohner
des Stadtzentrums scheinen
unzufrieden mit dem
Tempo des Wiederaufbau...
Christchurch krallt sich fest in meine Gedankenwelt, auch einen Tag nach unserer Abreise. Erst da wird mir bewusst, dass Neuseeland insgesamt nur vier Millionen Einwohner hat. Da stellt sich schon die Frage, wer all die Schäden bezahlen soll. Viele Hausbesitzer hatten nach dem ersten großen Beben von ihrer Versicherung Geld erhofft. Einige haben Teilbeträge erhalten, viele nicht. Während unserer Weiterreise treffen wir Günter und Elfie. Das Paar aus Österreich lebt seit 25 Jahren in Neuseeland. Sie erzählen, dass alle Unternehmen im Zentrum von Christchurch dichtgemacht haben, oder umgezogen sind. Die Angestellten müssten sehen, wie sie damit klarkommen. Sie dürfen nicht einmal Läden oder Büros aufräumen, weil CERA nur wenigen Menschen Zutritt zum gefährdeten Stadtbereich erlaubt. 
...drum verlassen etliche die Stadt und
ziehen raus auf´s Land.

Deshalb geht also alles so langsam vorwärts. Und weil die Versicherungen Schadensgelder zurückhalten. Sie tun das auf Basis einer Klausel, erzählt Günter. Wer Geld beantragt, kriegt es nur ausbezahlt, wenn nach Festlegung der Schadensumme durch die Versicherung 20 Tage lang keine Nachbeben mehr auftreten. "Nachbeben haben wir hier aber ständig", sagt er, "Neuseeland befindet sich nunmal in einer tektonisch aktiven Zone". Deshalb hat er seinen Job als Schreiner aufgeben müssen: "Die Leute in Christchurch haben halt jetzt andere Dinge im Kopf als neue Möbel." 

Letzten Endes haben die Tage in Christchurch mein Weltbild wieder ein kleines bisschen verändert. Ich war naiv. Hatte vorher nur oberflächlich drüber nachgedacht, wie die Schadensbewältigung nach einem Katastrophenfall läuft. Hatte immer geglaubt, dass Menschen, die eine bedrohliche Notlage überleben, danach irgendwie Hilfe kriegen. Sozusagen automatisch, durch Nächstenliebe, Spenden oder Regierungen oder was weiß ich. Erst recht in einer so hochindustrialierten Nation wie Neuseeland, gerade nach so großer Medien-Berichterstattung wie im Fall der Erdbeben von Christchurch. In der Realität läuft das offenbar anders. Viele Menschen, die ihr Haus verloren haben, mussten den neuseeländischen Winter auf dem Campingplatz verbringen. Von den Menschen, die Angehörige verloren haben, weiß ich nichts. Ich bin dankbar, dass mir solche Gespräche erspart geblieben ist.


Mir fällt grad kein passendes Abschiedswort ein, 
Richard



Freitag, 18. November 2011

Wanaka oder: 3000 Fuss über dem See... (mit Video!)



Der Kiwi hat das Fliegen verlernt. Wenn aber schon Neuseelands Nationalvogel nicht mehr abhebt, dann wenigstens ich - zwecks um Neuseeland von oben zu betrachten.
Blick auf den Lake Wanaka nahe... genau, der Kleinstadt
Wanaka im Zentrum der Südinsel von Neuseeland.
Aber der Reihe nach. Wir sind mittlerweile in Wanaka angekommen. Ein kleines 5.000-Seelen-Nest mitten in den Bergen, im Herzen der Südinsel von Neuseeland. Wanaka lebt von seiner wundervollen Kessellage zwischen sattgrün leuchtenden 2000ern und einem Bergsee von einer Klarheit, als hätten ihn Elfen höchstpersönlich in einer Vollmondnacht geschöpft. Doreen und ich, wir kuscheln uns hier vier gemütliche Tage in einem putzigen Hostel namens "Mountain View Backpackers" ein, genießen die Intimität unseres charmanten Doppelzimmers und führen viele Gespräche mit anderen Reisenden. Überwiegend Deutsche und Franzosen: steht Mitteleuropa im November leer? Aufgrund seiner Lage wird Wanaka von Travellern überflutet, ja. Aber die Meute verläuft sich zwischen unzähligen Zeitvertreib-Variationen. Wandern, klettern, Skifahren in den umliegenden Bergen. Segeln, fischen, schwimmen. Abhängen am Strand des Lake Wanaka. Sich vom Powerboot durch den Clutha-Fluß scheuchen lassen. 

Holz, Leim, Baumwoll-Bahnen: Im Hangar
des Flugveranstalters restaurieren sie
einen alten Doppeldecker. 
Mein persönliches Oha-Erlebnis hatte ich allerdings woanders. Und zwar rund zehn Kilometer südlich der Stadt, da wo sich der Flughafen auf einer kleinen Ebene ausbreitet. Das Wort "Flughafen" grenzt vielleicht ein bisschen an Hochstapelei für die paar Hangars und die Piste im Grünen. Trotzdem: Als Doreen und ich daran vorbeifahren, reißt´s meine Neugier vom Sitz. Eine Werbetafel verspricht  "Learn to fly! Trials for 99 Dollars". Ui, das wäre doch was. Ein Rundflug durch diese traumhafte Berglandschaft, und das für überschaubares Geld? In dieser Hochpreis-Gegend, wo der Mountainbike-Verleih für einen Tag Radelei 50 Dollar aufruft? Vielleicht darf ich sogar selbst das Ruder anfassen, und so meinem kleinen Lebenstraum näher kommen - einmal selbst ein Flugzeug steuern? Einen Tag darauf kurzer Anruf. Flugwetter prima, Termin frei, alles klar, nichts wie hin! 

Mein Fluglehrer Ivan und ich.
Im Hangar des Veranstalters "Wanaka Flight Training" großartiger Empfang durch Peter, den Chef. Neuseeländer sind einfach die nettesten Menschen weit und breit. Begrüßen dich mit offenen Armen und einem Spruch auf den Lippen, plaudern mit dir statt nur über sich. Sehr angenehm. Peter macht uns mit Ivan bekannt, unserem Piloten für heute. "Unserem" deshalb, weil Doreen mich tapfer begleitet. Ihr ist bewusst, dass wir in das wackligste Fluggerät seit den Gebrüdern Wright einsteigen würden. Dass ich möglicherweise kurz das Ruder übernehmen dürfte. Und obwohl Doreen mich und meine Fahrweise im Auto kennt - oder vielleicht grad deswegen? - unterstützt sie die Idee und wagt sich mit an Bord unseres viersitzigen Tiefdeckers: eine Piper Cherokee PA 28, Registrierung ZK-DEB.

Meine erste Rechtskurve
an Bord der Piper Cherokee.
Ivan wirkt auf mich wie der Prototyp eines Piloten. 1,90 Meter groß, gutaussehend, Sonnenbrille, athletische Figur. Er beherrscht ein paar deutsche Sprachfetzen. Seine Eltern stammen aus dem deutschsprachigen Teil der Tschechei. Er sagt "Tschechoslowakei" dazu, aber was soll´s - ich sprech ja auch immer von Jugoslawien. Jedenfalls, wir sprechen englisch. Flieger tun das eben so. Erstmal tut Ivan so, als dürfte ich die Maschine checken. Er zeigt mir, wie ich den Ölstand im Motor kontrolliere; wie ich den Spritvorrat in den Tragflächen messe; macht mich mit ein paar wichtigen Instrumenten im Cockpit bekannt. Er demonstriert, wie ich die Spritzufuhr aktiviere; den Motor starte; Schub gebe; die Bremse löse. Sofort beginnt die kleine Piper zu rollen - und mir rutscht das Herz in die Hose. 

Kann Doreens Mut nur bewundern. Den ganzen
Flug über hat sie tapfer Fotos geschossen und Videos
gedreht. Sehen wollen? Bitte klicken

Ivan nimmt demonstrativ Füße und Hände von den Kontrollen. Ich soll die Fuhre steuern, mit den Fußpedalen. Anfangs bin ich unsicher, wieviel Pedalkraft welche Wirkung auf das Flugzeug ausübt. Aber das klappt alles einfacher als gedacht. Tatsächlich bewegt sich die Piper vorwärts, schwenkt wie gewünscht nach rechts in Richtung Startbahn. Ich glaube Ivan ist froh, dass ich seiner Bitte folge: ich möge doch jeden Kontakt mit dem Fünf-Millionen-Privatjet am Pistenrand vermeiden. Danach spricht er ein paar Dinge mit dem Tower ab, und wir stehen mitten auf dem Runway. 


"Now I will tell you how to take off, and how to fly. It´s easy." Wie bitte - ich darf den Vogel von der Piste heben? Hatte ich erwähnt, dass ich noch nie in einem Cockpit gesessen habe? Jedenfalls nicht im Cockpit eines einsatzfähigen Flugzeugs, das an der Startbahn zum Sprung bereit steht; mit laufendem Motor; darauf wartend, dass es jemand von der Leine lässt?

Und hatte offensichtlich
Spaß dabei... ;-)
 Ivan gibt mit mir gemeinsam vollen Schub, löst die Bremse. Die Piper beginnt zu rollen, beschleunigt. Sie zieht ein bisschen nach links. Ich lenke die Fuhre jetzt nicht mehr mit den Fußpedalen, sie beeinflussen nur das Vorderrad. Ab jetzt wird mit dem Steuerknüppel gesteuert. Er beeinflusst die Ruder an den Tragflächen. Ich nehme das als Symbol dafür, dass wir das Flugzeug jetzt in sein ureigenstes Element überführen: weg vom Boden, rauf in die Luft. Auf Ivans Kommando ziehe ich den Steuerknüppel etwas an mich heran, die Piper schüttelt sich kurz, dann heben wir ab - wir fliegen! Ich wage kaum zu atmen, verkrampfe meinen Finger ins Steuer. Nach wenigen Augenblicken haben wir unsere Flughöhe von 3000 Fuß erreicht. 

Meine Anspannung beginnt sich zu lösen. Ich spüre Abenteuerlust in mir keimen; beginne die Vibrationen im  Steuerruder zu spüren; will wissen, wie das Flugzeug auf Lenkkommandos reagiert. Kurzer Stups am Steuer, sofort beginnt sich das Flugzeug nach links zu neigen. Kriege nur am Rand mit, wie Doreen auf dem Rücksitz in diesem Moment seufzt und leidet. Unfassbar, wie sensibel die Kontrollen reagieren. Ivan hat mir allerdings vorher eingeschärft, dass - sollte ich ein Picknick machen, oder aus einem anderen Grund den Steuerknüppel loslassen  - sich die Fuhre sofort von selbst stabilisiert und einfach geradeaus fliegt. Jedenfalls solange, wie die Kraftstoffpumpe mehr als nur Luft ansaugt. Ganz einfach also. 

Der Clutha-Fluß. Am Tag nach unserem Überflug haben
Doreen und ich ihn uns vom Boden aus erwandert.
Ich führe den Steuerknüppel wie ein Skalpell. Löse nur ganz leichte Korrekturen aus, etwa wenn ein Windstoß uns aus der vorgesehenen Richtung treibt. Ich versuche das Flugzeug auf Höhe zu halten, steuere es über die Stadt, Roy´s Bay und den See hinweg, und versuche dem kurvenreichen Flussbett des Clutha zu folgen. Klappt erstaunlich gut. Irgendwann gewinne ich genug Lockerheit, dass ich kurz nach hinten blicke und Doreen in die Augen schaue; und ein paar Zehntelsekunden lang die Sicht in die Berge genieße. Wir haben einen tollen Tag erwischt. Strahlend blauer Himmel, kein Wölkchen weit und breit, unbegrenzte Sicht. Der Flug dauert 20 Minuten, es kommt mir wie Sekunden vor. Viel zu schnell vorbei. Bei der Landung übernimmt Ivan Motordrosselung, Landeklappen und andere Notwendigkeiten, lässt mich aber immer noch die Piste anvisieren. Holpernd, scheppernd, aber halbwegs sicher erreichen wir festen Boden. 

Eine Jak-9 aus dem
Zweiten Weltkrieg,
bereit zum Start. 
Und damit ist der Tag noch nicht zu Ende. Denn gerade als unsere fliegende Kiste ausrollt und ich sie in Richtung Hangar lenke, rückt etwas ins Blickfeld, das ich bisher nur aus dem Museum und von historischen Bilddokumenten kenne. Ein Jagdflugzeug aus der Zeit des Zweiten Weltkrieg - eine russische Jakowlew Jak-9. Der schnittige Einsitzer steht wie neu da, voll flugtauglich. Zwei Kerls wuseln drumherum, machen die Maschine offenbar für einen Start klar. Auf der Motorabdeckung ist ein Hakenkreuz-Symbol zu sehen. Ich werte das als Kennzeichen dafür, dass die Maschine einen Luftkampf gegen ein deutsches Flugzeug flog und ihn offenbar gewonnen hat. Diese Jak  war wirklich im Einsatz. Dahinter im Hangar erspähe ich ein weiteres Relikt aus den Jahren um 1940 herum: eine deutsche Focke-Wulf 190. 

Eine Focke-Wulf 190, bald wieder
einsatzbereit.
Meine Güte, als Kind habe ich etliche Bücher über diese Oldtimer verschlungen; habe Modelle davon gebaut; bin im Deutschen Museum mit leuchtenden Augen vor den Ausstellungsstücken gestanden. Und jetzt kullere ich an genau solchen Maschinen vorbei, nur dass diese hier noch in Action sind und demnächst abheben. Gerade als wir unsere Piper parken und uns ins Freie schälen, schreitet ein älterer Herr in Richtung der Jak-9. In Lederjacke und Pilotenhaube zwängt er sich ins Cockpit. 
Der Anlasser heult, der Motor startet, die Jak wendet in Richtung Startbahn. Doreen und ich stehen direkt daneben. Dass ich mal so direkt dran sein darf, wenn eines der letzten erhaltenen Jagdflugzeuge aus dieser Epoche zur Tat schreitet - kann mein Glück kaum fassen. Noch dazu nimmt der Pilot nun wirklich keine Rücksicht auf das Alter der Maschine. Tiefflug, Loopings, Schrauben: Der Pilot holt aus der Jak-9 Manöver raus, vom denen ich kaum glauben mag, dass der Konstrukteur sie jemals dafür vorgesehen hat. Einmal taucht die Maschine bedrohlich tief ab, scheint in einigen hundert Metern Entfernung in den Erdboden einzuschlagen - aber dann höre ich den Motor aufheulen und sehe sie sich vertikal in den Himmel schrauben. Fast so, als würde sie mit der Luft spielen. Neuseeland ist offenbar nicht nur reich an Naturwundern, sondern überhaupt an erhebenden Momenten. Schön, dass ich speziell diesen so hautnah erleben durfte.

 
Ich grüß dann mal die Sonne, 
Richard 


Samstag, 12. November 2011

Planlos in Neuseeland (mit Video!)





Die Natur von Neuseeland erschlägt
 dich mit wunderschönen
Aussichtspunkten.
Neuseeland. Die letzte Etappe unserer Weltreise. Wir sind da. Dabei hing unser Ankommen zuletzt ein bisschen in der Luft, drohte sogar ins Wasser zu fallen. Nämlich wegen des Hochwassers in und um Bangkok. Würde der Chao-Phraya-Fluß die Gegend um den internationalen Flughafen Suvarnabhumi unter Wasser setzen und der Flugbetrieb eingestellt? Nahrung erhalten solche Gedanken während unserer Fahrt im Minibus von Siem Reap nach Bangkok. Zum ersten Mal während unseres Aufenthalts in Südostasien haben wir ernsthaften Kontakt mit Landunter in Thailand. Die Straßen östlich von Bangkok stehen teils so sehr unter Wasser, dass Asphalt und Felder zu einer spiegelnden Fläche verschmelzen. Es ist, als führen wir durch einen See. An manchen Stellen ragen Häuser oder Palmen aus der funkelnden Fläche empor. Unser Kleinbus kämpft sich tapfer durch knietiefes Wasser; er pflügt eine Schneise durch die Fluten, treibt eine Bugwelle vor sich her. In mir keimt ein bisschen Angst bei dem Gedanken, dass Wasser in den Ansaugtrakt geraten und die Fuhre absaufen würde mitten in dieser riesigen Fläche. Aber Daumendrücken hilft. Letzten Endes kommen wir gut an. 

Der Süden von Neuseeland: eine
einzige Schafweide.
Sattes Grün. Grau in allen
Schattierungen: die vorherrschenden
Farbtöne in Neuseeland.
Doreen und ich, wir gönnen uns für eine letzte Nacht eine schöne Bleibe in Bangkok, und fahren am nächsten Morgen voller Zuversicht zum Flughafen. Jetzt kann uns nur noch die zeitweise Stilllegung der gesamten Quantas-Flotte einen Strich durch die Weiterreise machen, von der ich irgendwo eine Schlagzeile mitbekommen habe. Wieso muss eigentlich das Bodenpersonal genau jener Fluglinie streiken, die unsere Weiterreise arrangieren soll? Aber wir haben Glück. Ein paar Stunden vor unserem Start nehmen die Unzufriedenen ihre Arbeit wieder auf. Unsere Boeing 747 ist eines der ersten Flugzeuge, das nach wochenlangen Zwistigkeiten abhebt. Und so kommen wir pünktlich in Queenstown an. 

Zwischenstopp in Dunedin,
inkl. Besuch des vielleicht
weltschönsten Bahnhofs.
Allein mit der Natur: ganz
normal in den Catlins,
zumindest während der
Nebensaison.
Knapp 20.000 Menschen leben hier, dennoch zählt Queenstown zu den größten Städten auf der Südinsel von Neuseeland. Von hier aus wollen wir uns in den kommenden vier Wochen zur Nordinsel hochkämpfen. Dort blicken wir Anfang Dezember tapfer dem Finale unserer Weltreise ins Auge. Schnüff! Der Neuseeland-gemäße Anflug vertreibt jeden melancholischen Gedanken im Nu. Unser Flieger schwebt minutenlang durch einen Canyon ein, links und rechts sehe ich viel Grün, aber auch schneebedeckte Gipfel. Sind wir hier nicht auf der Südhalbkugel unseres schönen Planeten, sollte hier Anfang November nicht der Sommer beginnen? Der Empfang könnte jedenfalls dennoch kaum wärmer sein. Ein Beamter an der Passkontrolle begrüßt uns mit jener offenen Freundlichkeit, die uns in Neuseeland seitdem überall begegnet. Kurzer Blick in die Pässe, ein paar lässige Fragen zu unserem Aufenthalt und die Vergewisserung, dass wir ein Rückflugticket besitzen - dann noch ein Lächeln, ein Gruß, schon folgt der nächste Wow-Moment. Als wir rucksackbepackt die Wartehalle betreten, finden wir uns in keinem muffigen Raum wieder wie sonst so oft in Flughäfen. Stattdessen scheinen wir wie durch einen weiten, offenen Raum zu schweben. 

Das einzige Schloss von
Neuseeland: Castle Larnach
bei Dunedin. Sehr
besuchenswert!
Ganz normale Abenddämmerung
in Neuseeland.
Eine riesige Glasfront von bestimmt fünfzig Meter Breite und zehn Meter Höhe läd zum Blick nach draußen ein - und was ich sehe, lässt mich staunen. Ich sehe ein Flugzeug an der Gangway geparkt, dahinter ein gewaltiges Panorama aus herrlichen Bergen und grünen Flächen. Ist das Wirklichkeit oder doch nur eine Fototapete? Ich neige meinen Kopf unwillkürlich ein bisschen nach links und rechts, um mich von der Echtheit dieses Anblicks zu überzeugen. Neuseeland ist ja bekannt für seine atemberaubenden Landschaften. Aber dass einen die Natur schon am Flughafen mit Eindrücken erschlägt, das hätte ich nicht erwartet.   

Der Lake Wakatipu bei Queenstown.
Wie der See vom Gipfel im Bildhintergrund
 aus aussieht? Klick für Video!
Was soll ich sagen. Doreen und ich, wir kommen halt ziemlich planlos in Queenstown an. Teils hatten wir zuletzt in Asien wenig Lust auf vorbereitende Erkundigungen und Reservierungen. Wir wollen unsere Zeit in Neuseeland aber eben auch spontan gestalten. Wir möchten uns vor Ort ein Bild von den Dingen machen, mit anderen Reisenden reden und uns von ihren Erlebnissen inspirieren lassen. Und so haben wir bei unserer Ankunft nur eine sehr vage Vorstellung davon, an welchen Orten wir die nächsten Wochen verbringen und wie wir die Wege dazwischen zurücklegen würden; und mit welchen Kosten wir würden rechnen müssen. Nach einigen Tagen hier bereue ich unseren Entschluss kein bisschen. Es gibt wohl kein Land, wo spontanes Reisen so einfach ist wie in Neuseeland. Wir kriegen bereits am Flughafen ein katalogdickes Unterbringungs-Büchlein zugesteckt; stolpern in jedem Hostel über Dutzende Flyer featuring regionale Attraktionen; und finden in jedem Ort mindestens ein "i-Site", also eine unabhängige Touristen-Agentur mit netten und offenbar gut geschulten Leuten. Bisher haben wir jedenfalls noch auf jede Frage eine hilfreiche Antwort bekommen. Nur einen Rat müssen selbst diese Neuseeland-Kenner schuldig bleiben. Nämlich, wie man den horrenden Preisen aus dem Weg geht. Übernachtungen sind teurer als in USA, Essen ist so teuer wie in Paris. Ein Tag lang ein Mountainbike leihen? Gerne, kostet aber halt 30 Euro. Neuseeland sprengt Budgets. 

Doreen am
südlichsten Punkt der
Südinsel von Neuseeland.
Es ist ein Irrglaube, dass sich
Linkshänder wie ich mit dem
Linksverkehr leichter tun.
Und so entscheiden wir uns zügig für unsere Lieblings-Reisevariante. Weil Bus und Flugzeug absurd teuer sind, wir ohnehin flexibel bleiben und abgelegenere Ziele ansteuern wollen, mieten wir uns ein Auto. Die Vermieter hier bieten ältere Vehikel zu günstigen Konditionen an. Ergo schaukeln wir uns und unser Gepäck mit einem rostigen Nissan Sunny durch die Gegend. Hat  130.000 Kilometer auf dem Buckel, fährt sich geschmeidig und hat einen unbestreitbaren Vorteil: sollte ich aufgrund des ungewohnten Linksverkehrs irgendwann karambolagen, rechne ich mir gute Chancen aus, dass der Vermieter den Kratzer auf dem verschrammten Lack nicht bemerkt. 

Wir cruisen so dahin, auf einmal
kreuzt bei Kingston diese alte
 Dampflok unsere Wege...
Nach zwei bis drei unfallfreien Tagen habe ich mich halbwegs mit dem Linksverkehr und einigen kuriose Verkehrsregeln arrangiert. Inzwischen kommt´s sogar nur noch selten vor, dass ich Blinker und Scheibenwischer verwechsle. Wer ahnt denn, dass sogar diese Schalter auf der "verkehrten" Seite angebracht sind? Wir beginnen das Cruisen zu genießen. Autofahren in Neuseeland ist einfach toll, ein Traum, kein Vergleich mit Deutschland. Straßen in Neuzustand. Kaum eine Ortschaft. Du rollst einfach nur dahin, und versinkst in der Aussicht. Die Südinsel von Neuseeland ist das Eiland der Einsamen. Auf einer Fläche von 150.000 Quadratkilometern - das entspricht etwas der Größe von Bayern, Niedersachsen und Baden-Würtemberg zusammen - leben insgesamt weniger Menschen als in München. 

Wir wollen nur kurz zwecks
Pinkelpause halten, und was finden
wir? Dieses Panorama! 
Die eine Million Leute verteilen sich ins Nichts. Es ist einfach leer hier. Wunderschön. Und abwechslungsreich. In einen Moment bewundern wir ein atemberaubendes Gebirge am Horizont; im nächsten Augenblick kuriose Büsche am Straßenrand; kurz darauf ewig weite Flächen aus sattgrünem Gras an den Ufern eines kristallkaren Gebirgssees.

Nach einigen Tagen in Queenstown reisen wir weiter, wechseln öfter mal die Richtung. Erstmal weiter ans Meer, Pinguine suchen und das Küstenpanorama bewundern. Eine Tagesetappe führt uns durch die "Catlins", ein wundervolles Gebiet südlich der Stadt Dunedin, direkt am Pazifik gelegen. Binnen eines Tages sammeln wir soviele Bilder und Eindrücke, das ein Postkarten-Verlag daraus mindestens 20 neue Motive auflegen könnte. Riesige Schafherden. Schroff abfallende Steilküsten. Dramatisch sich auftürmende Wolkenformationen. Vom Wind gepeitschte Bäume, die aussehen wie von einem anderen Planeten. 
Motiv aus den "Catlins". Durch den stetigen
Wind sehen Wälder aus wie skurrile Skulpturen.  
Riesige Flächen ohne Zeichen ohne Häuser, Stromleitungen oder irgendwelchen anderen Zeichen von Zivilisation. Die großartige Natur, aber auch die einleuchtende Beschilderung und die vielen einladenden Gratis-Karten motivieren Doreen und mich zum Wandern. Einmal laufen wir vier Stunden lang durch ein Flußtal, ohne dass wir einer einzigen Menschenseele begegnen oder etwas anderes hören als das Knirschen unserer Schritte, das Rascheln der Blätter, das zwitschern der Vögel und das Schlagen der Bäume, wenn die Äste im Wind einander berühren. 

Fast am besten gefällt mir, was ich nicht höre. Nämlich kläffende Hunde. Die haben uns in Asien und vor allem Südamerika etliche Male geschockt. Hier können wir uns tatsächlich auf eine Wiese legen, die Augen schließen und müssen uns keine Sorgen machen, dass sich irgendein Rudel hungriger Köter von der Brotzeit im Rucksack angelockt fühlt.   
Eher schon würden die Bananen von ein paar Hasen oder Oppossums angenagt. Ein Hiesiger erzählt mir, dass die Tiere für ihn eine Pest darstellen, weil sie seinen ganzen Garten umgraben. Sie können sich hier mangels Fressfeinden ungestört vermehren. Wenn schießwütige Touristen deshalb eine Hasenjagd buchen, was sie tun können, dann sei ihm das mehr als willkommen. Ich mag diesen rauen Charme. Neuseeland gefällt mir. Und zwar richtig gut. 

Freue mich auf schöne Wochen hier, 
Richard 



Freitag, 4. November 2011

Mein schönstes Asien-Erlebnis...Teil 2 von 2


Am nächsten Tag wieder regeneriert treffe ich Sansany schon etwas früher an der Schule. Sie verschönert meine Fingernägel mit Blümchen und ich versuche mich mit Komplimenten. Sage ihr wie wie hübsch sie mit ihren Sarongs, einem aus einer Stoffbahn gewickelten traditionellen Rock, aussieht und wie schön ich es finde, dass sie sich so viel Zeit für mich nimmt.

Die hübsche Sansany beäugt die Sarongs kritisch und verhandelt hart.
Die Hüterin der Stoffe war ziemlich stolz,
dass ich sie und ihre schönen Waren fotografieren wollte ;o)
Denn das tut sie wirklich. Vielleicht weil ich ihre allererste Volontärin bin, vielleicht weil sie nur vier Jahre jünger ist und wir uns, trotz aller kulturellen Unterschiede, super verstehen. Sansany ist anders als andere Laoten. Sie hat in Bangkok Hotelfach und Tourismus studiert und interessiert sich dafür was in der Welt so los ist. Sie legt sich richtig ins Zeug für mich. Zeigt mir die Stadt aus Touristen- und Einwohner-Sicht. Wir fahren mit ihrem Roller durch Luang Prabang, halten an günstigen Frühstücksmöglichkeiten und am Morgenmarkt wo sie jede potentielle Sarong-Stoffbahn inspiziert. Ja, auch laotische Frauen haben eine Schwäche fürs Shoppen. Sie zeigt mir so praktische Dinge wie Geldautomaten, Banken, Reinigungen, Ärzte, aber begleitet mich auch zu dem tollen buddhistischen Tempel Xieng Thong, ins faszinierende Ethnologische Zentrum und geht mit Richy und mir auf Schuh-Jagd. Gar nicht so einfach in Asien mit Schuhgröße 42, aber sie gibt nicht auf und bringt Richy ein Modell nach dem anderen. Der Samstagabend in einer Straßenbude allerdings ist mein ganz persönliches Highlight. Sie weiht Richy und mich zusammen mit ihrer Schwester Two in die Geheimnisse des laotischen Barbecues ein. Es ist ein bisschen wie Racelette mit Freunden. Nur gibt es keine Pfännchen und die Grillplatte wird von einer Vertiefung, in der Wasser vor sich hin köchelt, umgeben. In diese werfen wir alles hinein was das Körbchen auf unserem Tisch so her gibt. Glasnudeln, Salatblätter, Sojasprossen, Kräuter und Ei. Das alles plus eine Art Currypaste mischen wir später in einer Schale mit dem gebrutzelten Fleisch vom Grill. Ein leckerer und rundum schöner Abend. 

Beim Barbecue, Two, Sansany und Richy.
Die zweite Woche in meiner Schule bricht an. Ich lese den Kiddies weiterhin laut vor, helfe ihnen bei den Hausaufgaben, spiele englische Spiele (dieses Mal erfolgreich), leide mit ihnen, wenn sie das "s" zum 1000. Male vergessen an "two table(s)" zuhängen und sich mit "is" und "are" rumquälen. Klar, im Laotischen gibt es nun mal keinen Plural. Ich beobachte wie ein Mönch seinen Bleistift am Holztisch anspitzt, genieße es da zu sein und stelle immer wieder fest wie gleich die Jugendlichen überall sind. Egal ob armes oder reiches Land. Asien, Amerika oder Europa. Jungs und Mädls flirten schüchtern miteinander, hocken cool und auch mal gelangweilt in der letzten Reihe, klopfen schlaue Sprüche und sind froh, wenn die Stunde vorbei ist. 

Zum Abschied wollten auch sie mich ablichten.
Dann mal los.
Aber es berühren mich auch sehr viele Momente tief. Zum Beispiel als sich zwei Mönche aneinander kuscheln. Ganz normal sagt Claus. Sie geben sich die Nähe, die sie sonst in einer Beziehung oder von ihren Eltern bekommen würden. Oder als eine Schülerin, Timthida, von Touy gefragt wird wie ihr Traummann aussehen und woher er kommen soll. "Blaue Augen und aus Laos soll er sein." Ziemlich schwierig in Laos das mit den blauen Augen. Haben doch, mal von ein paar seltenen Ausnahmen abgesehen, alle Menschen braune bis tiefschwarze Augen. Ich gebe ihr den Tip einmal nach Deutschland zu kommen. Bei mir zu Hause gäbe es ganz viele Männer mit blauen Augen, die ihr gefallen würden. Später bekomme ich mit wie sie dieses Traumpartner-Spiel mit einem Mitschüler übt. Auf die Frage woher ihr Traummann kommen soll, sagt sie nun ganz überzeugt "From Germany". Genau wegen solcher Momente werden diese zwei Wochen immer etwas ganz besonderes und zauberhaftes für mich bleiben. Genau dafür sucht Claus Volontäre. Um seinen Schülern zu zeigen, dass es noch anderes außerhalb von Laos gibt und dass das zu erleben, erstrebenswert ist. 

Viel Liebe sendet Euch
Eure Doreen 


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IN EIGENER SACHE
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Wir, Richard und Doreen, verabschieden uns hiermit aus Asien. Vier Monate vergingen wie im Flug. Auch wenn wir manchmal wegen der sprachlichen Barriere am Verzweifeln waren, haben wir uns doch ziemlich in diesen Kontinent verliebt.

Und gerade deshalb möchten wir noch ein gutes Wörtchen für die Menschen hier einlegen. Ich hoffe das nimmt uns keiner übel. 

Viele von ihnen sind verdammt arm und können sich nicht einmal ansatzweise die Miete für ein eigenes Zimmer Zimmer in Luang Prabang leisten, trotz harter Buckelei den ganzen Tag. Wie einige der Schüler vom MEC, die wegen ihrer Ausbildung hierher kommen. Oft die einzige Möglichkeit für ein besseres Leben. Daher gibts im MEC die Möglichkeit generell für die Schule ein wenig zu opfern oder aber einen speziellen Schüler zu sponsern. Wie ich, Doreen, das demnächst mit Keng Thor mache. Einem 19-jährigen Schüler, der rote Augen bekommen hat und absolut sprachlos war als Claus ihm die Nachricht überbracht hat. Wie hat Claus zu mir gesagt "Du hast ihm gerade einen Ferrari geschenkt". 

Die Schule besitzt einige Steckbriefe von Schülern, die einen Sponsor suchen und die auch laut Meinung von Claus und den Mitarbeitern der Schule einen brauchen und regelmäßig zum Unterricht erscheinen. Es wird hier Wert drauf gelegt, dass es den richtigen zukommt.

Hier eine kleine Rechnung für Interessierte:

Gesamtkosten für einen Monat und einen Schüler:   130.000 KIP        11,60 EUR
Anteil für den Sponsor:                                           80.000 KIP           7,10 EUR
Anteil für den Schüler:                                            50.000 KIP          4,50 EUR

Der Anteil für den Schüler wird erhoben, damit er nicht faul wird und weiter zur Schule kommt. Gute Sache finde ich. Man zahlt für z. B. 6 Monate und kann danach natürlich jederzeit die Zahlung einstellen oder aber im besten Falle weitermachen. Claus versucht auch alles, dass man eine Email-Adresse (wenn vorhanden) von seinem "Patenkind" bekommt, sodass man mit ihm in Kontakt sein kann. 

Bei Interesse kann ich gerne einen Kontakt herstellen oder ihr geht über die Seite hier: 

http://mec-laos.org/sponsor.htm

1000 Küsse an die fröhlichen und hilfsbereiten Menschen hier, die uns den Aufenthalt so angenehm gemacht haben und an Euch zu Hause. 

Richard und Doreen


Mittwoch, 2. November 2011

Mein schönstes Asien-Erlebnis...Teil 1 von 2



Wir sind auf dem Weg nach Neuseeland. Ich spüre ein bisschen Wehmut in mir, weil ich Abschied von Asien nehmen muss. Vier Monate haben Richard und ich hier verbracht, und was haben wir alles erlebt! Am stärksten eingeprägt bleiben mir die Tage, die ich in der Schule in Laos verbracht habe. 


Eigentlich war alles nur Zufall. Mitte August habe ich zum ersten Mal den Wunsch verspürt einen Englischkurs zu besuchen. Sieben Monate unserer Reise waren vergangen und ich war mit meinen Englischkünsten überhaupt nicht glücklich. In Chiang Mai greife ich es an und begebe mich via Internet auf die Suche. Während sich Richy beim Malkurs verlustiert, bleibe ich auf der Seite vom Mekong Englisch Centre (MEC) in Luang Prabang hängen. Eine private Englischschule für junge Laoten. Ich stoße per Zufall auf die Rubik "Volunteering", lese einige Minuten intensiv den englischen Text von Claus aus Westphalen durch und merke wie mein Puls nach oben schnellt. So fühlt es sich immer an, wenn ich auf etwas durch und durch für mich Bestimmtes stoße. Sei es Arbeit, Kleidung, Richy oder auch unsere Weltreise. Voller Feuer schreibe ich Claus gleich an. Ob ich spontan die nächsten zwei Wochen bei ihm an der Schule mithelfen könne, möchte ich wissen. Warum nicht das Englischlernen mit gemeinnütziger Arbeit verbinden? Die Antwort kommt prompt. Claus freut sich auf meine Hilfe und begrüßt mich gerne am 4. Oktober 2011 an seiner Schule.

Auf unserer 2,5-tägigen Mekong-Fahrt vom entspannten Chiang Mai nach Luang Prabang wird mir bewusst, dass ich mich in zwei Tagen das erste Mal in ein komplett englischsprachiges Umfeld stürze. Uuuuuah. Vor Nervosität ist mir zeitweise richtig schlecht.

Als ich am Montag gegen 14:30 Uhr das MEC-Gelände betrete, kommt mir ein Mann entgegen. Es ist Claus. Er wartet bereits mit Sansany, einer ganz lieben Laotin, die die Volontäre des MECs unter ihre Fittiche nehmen soll. Es ist auch ihr erster Tag. Claus erzählt mir eine Zeit lang von sich und Sansany. Er ist voller Stolz, dass Sansany im Jahr 2005 als Schülerin bei ihm begann und nun so gut Englisch spricht, dass er sie für die Arbeit mit den Volontären gewinnen wollte. Ich bin ihr erstes "Test-Rabbit" wie er mir erzählt, alles natürlich auf Englisch - Sansany würde sonst nichts verstehen. Weiter teilt er mir mit, wie wichtig es für mich als Frau ist, darauf zu achten keinen von den Mönchen im Unterricht zu berühren. Denn das ist ihnen strengstens verboten. Aus diesem Grund sollte auch meine Kleidung respektvoll ausfallen. Das heißt für mich: alle schulter- und kniefreien Teile werden für zwei Wochen ganz unten in den Rucksack gestopft. Richy muss mir mit ein paar T-shirts aushelfen, weil ich einfach zu wenig angemessene Stücke dabei habe. Als letztes macht er mich darauf aufmerksam, dass mir das Gesetz verbietet mit einem der attraktiven - wie er sie beschreibt - laotischen Lehrer anzubandeln. "Ich weiß, Du hast einen Freund, trotzdem bin ich verpflichtet Dir das zu sagen.", druckst er etwas peinlich berührt herum. Sie haben diesen Fall schon gehabt, auch dass Volontäre sich mit Schülern einlassen. Ihm würde die Schule auf jeden Fall geschlossen werden, wenn das noch einmal vorkäme, genauso, wenn ich im Unterricht über kapitalistische Grundsätze referiere. Auch wenn es so aussieht ist Laos kein freies Land. Es herrscht außerhalb von den Touristenregionen ein streng sozialistisches System. Durch meine "Heimat" Ost-Berlin verstehe ich ihn bestens und nicke zustimmend. 
Neue Vokabeln mit laotischen Übersetzungen.

Danach ist es soweit. Ich werde für vier Klassen eingeteilt.Von 16:30 bis 18:30 bei Touy und von 18:30 bis 20:30 Uhr werde ich Ya unterstützen. Beide stammen aus Laos und sind ausgebildete Englischlehrer. Als mich Claus zu meiner ersten Wirkungsstätte bringt bin ich erstmal richtig baff. Touy spricht ein sau gutes Englisch. Ohne asiatischen Akzent, der mich so oft schon zur Verzweiflung gebracht hat, weil so unverständlich für uns Europäer. Nein, Touy spricht bestes Oxford-Englisch. Ich setze mich mit an seinen Tisch. Anders als in Deutschland oder in öffentlichen laotischen Schulen, sitzt Touy in der Mitte des Raumes und klickt am schuleigenen Acer-Netbook ganz modern eine Powerpoint-Folie nach der anderen weiter, die durch einen Beamer an die Wand geworfen wird. Ich wunder mich ganz schön. Ich dachte ich bin in einem der ärmsten Länder Asiens. Und genau hier gibt es diese technische Ausstattung? Ich denke mir, dass vielleicht die monatliche Studiengebühr des MEC von 130.000 laotischen KIP, rund 11,60 EUR zu dieser Ausstattung beiträgt. Obwohl das selbst für Englischschulen in Luang Prabang ein Schnäppchen ist, leider aber doch unbezahlbar für einige.

Noch völlig in diese Gedanken versunken, fordert mich Touy plötzlich auf, mich der Klasse vorzustellen. Ich postiere mich also mitten zwischen die Schüler und fange an zu erzählen… Mein Name ist Doreen, ich bin 29 Jahre alt und komme aus Deutschland. Die meisten haben "Germany" schon einmal gehört. Auf Nachfragen wo Deutschland denn liegt sehe ich nur ratlose Gesichter. Auch den Begriff "Europa" hat wohl noch nie jemand gehört. Also versuche ich sie stattdessen zu Fragen zu animieren. Nach ein paar Sekunden trauen sie sich: "Aus wie vielen Personen besteht Deine Familie?", "Bist Du verheiratet?", "Wie lange bist Du schon in Laos?", "Wie gefällt´s Dir hier?".

Ya (links) mit seiner Klasse.
Nach zwei Stunden steht der Wechsel an. Ich hüpfe von Klassenraum B zu Klassenraum C. Die nächsten zwei Stunden verbringe ich mit Ya. Ebenfalls ein junger Laote, aber mit noch besserem Englisch. Als ich ihn darauf anspreche, erzählt er mir, dass er die englischen Basiskenntnisse von Claus gelernt hat, aber zusätzlich in seiner Freizeit zu einer anderen Einrichtung namens "Big Brother Mouse" in Luang Prabang gegangen ist. Dort wird den lernwilligen Laoten angeboten sich jeden Morgen mit englischsprachigen Touristen zu unterhalten. Er hätte den Muttersprachlern ganz genau zugehört und sie einfach imitiert, um seinen asiatischen Akzent in die Prärie zu schicken. Mit Erfolg. Immerhin war Ya noch nie im englischsprachigen Ausland. Ich ziehe innerlich meinen Hut vor so viel Ehrgeiz während auch er mich bittet den Schülern etwas über mich zu erzählen. Ein Mönch hört mir besonders interessiert zu. Nach etlichen privaten Fragen, die er mir später stellt, grinst er ganz verschmitzt und sagt: "You are a sweet girl!". Ich denke ich bin im falschen Film. Erst die mordsmäßige Technik in der Schule und jetzt flirtet ein buddhistischer Mönch mit mir? Ich bin völlig fertig und muss mich erstmal setzen. Vorstellungsrunde beendet. Aber das mit den Komplimenten geht weiter. Laoten scheuen sich davor scheinbar viel weniger als wir. In einer Touy-Stunde sagt mir ein süßes 15-jähriges Mädchen wie schön ich mit meinen blonden Haaren sei. Meine Lieblingsschülerin Mone sagt mir immer wieder wie süß sie mich findet, weil ich die ganze Zeit lächle. Und auch Sansany begrüßt mich immer wieder mit "Hey sweet and beautiful girl".  Wenn den Menschen sowas leicht von der Zunge geht, ist das ein sehr hübsches Gefühl. 

Da musste ich oft schmunzeln: Die Schüler sind
noch nicht ganz an die lateinische Schrift ohne
Schnörkel gewohnt. Sie bauen immer wieder Kringel ein, so wie sie
aus ihrer laotischen Schrift kennen. Siehe "m".
Ein weit weniger hübsches Gefühl vermittelt mir Ya zwei Tage später. Ich soll ein Spiel in seiner Klasse moderieren. Mein erstes Mal. Ich beginne den Schülern auf Englisch zu erklären, dass ich mit ihnen gerne Tic Tac Toe spielen möchte. Unterstütze meine Erklärungen auch indem ich das Spiel, dass wir als "Drei gewinnt" kennen, an die Tafel male. Die Schüler verstehen nur Bahnhof. Sind auf englische Erklärungen gar nicht eingestellt. Der Unterricht der Anfängerklassen im MEC wird laotisch gehalten. Ya reißt deshalb sofort das Ruder an sich. Übersetzt meine Angaben ins Laotische, und weist mich an, ich möge mein Tafelbild so zeichnen, dass es seinen Vorstellungen entspricht. Ich habe das Gitter in die Mitte der Tafel platziert, nicht wie es sein Wunsch ist auf die linke Seite. Muss ich das verstehen? Ich tue mich schwer. Ya übernimmt nun komplett die Moderation. Ich stehe da wie bestellt und nicht abgeholt, fühle mich leicht gedemütigt und reiche den Schülern nur noch die Stifte für die Tafel. Claus erzählt mir später, dass Ya Perfektionist sei. Ein Trost, aber ein schwacher. 

Aber ich werde immer wieder von den Schülern unbewusst, und von Richy bewusst motiviert. Er hört sich jeden Abend, wenn wir zusammen in der Suppenküche das Abendessen einwerfen, meine Sorgen und Erlebnisse an. Er hilft mir wo er nur kann. Ich war während unserer Reise noch nie so dankbar dafür, dass ich ihn an meiner Seite habe.

Was ich noch erlebt habe? Siehe nächster Blog :o)

Eure Doreen